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Voraussetzung besteht darin, dass ich überhaupt mit Gott verbunden sein will, ihn als die Mitte meines Lebens ansehe und mit Entschiedenheit die Verbindung mit ihm suche, wie es im „Prinzip und Fundament“ (GÜ 23; GGJ 110) ausgedrückt ist. Dies führt mich dann dazu, dass ich ihn immer besser kennenlernen will. Wer Gott ist, kann ich am klarsten ablesen, wenn ich auf Jesus schaue. Die Betrachtungen des Lebens Jesu nehmen darum in den Exerzitien den größten Raum ein. Das Kennenlernen weckt die Liebe und verleiht das Gespür, was der Verbundenheit mit Gott förderlich ist.

      Der Wille Gottes für den/die Einzelne(n) bedeutet nicht, dass schon von vorneherein und im Detail festgelegt wäre, was seine/ihre Aufgabe ist und worin er/ sie Erfüllung findet.10 Zum einen wäre es seltsam, vom Menschen etwas zu verlangen, das nicht klarer und sicherer zu erkennen wäre, zum anderen würde Gott dem Menschen die Freiheit wieder nehmen, die er ihm als Schöpfer gegeben hat. Er würde ihn im Nachhinein wieder zum bloßen Befehlsempfänger degradieren. Indem Ignatius vor den Betrachtungen des Lebens Jesu bitten lässt „um innere Erkenntnis des Herrn, damit ich mehr ihn liebe und ihm nachfolge“ (GÜ 104; GGJ 148), zeigt er an, dass es um eine Beziehung geht, die einer tiefen Verbindung unter Menschen vergleichbar ist. Die Liebe, mit der Gott dem Menschen zuvorkommt, bewegt und befähigt den Menschen zu einer Antwort, die dem ergangenen Anruf und zugleich seiner Freiheit entspringt.

      Wie Ignatius Gott und die Verbindung zu ihm sieht, kommt in der „Betrachtung, um Liebe zu erlangen“ am umfassendsten zum Ausdruck. Sie steht unmittelbar nach der Anleitung zur Vierten Woche, ohne ausdrückliche zeitliche Zuordnung und kann als eine verdichtete Zusammenfassung der Exerzitien angesehen werden wie auch für den Übergang in den Alltag eine Ausrichtung aufzeigen, die es dort zu verwirklichen gilt.11

       Die Betrachtung, um Liebe zu erlangen

      Ziel dieser Betrachtung ist die „innere Erkenntnis von so viel empfangenem Guten (…), damit ich, indem ich es gänzlich anerkenne, in allem seine göttliche Majestät lieben und ihr dienen kann“ (GÜ 233). Liebe beschreibt Ignatius als Mitteilung von beiden Seiten, indem jeder dem anderen gibt von dem, was er hat oder kann (GÜ 231; GGJ 204), und diese Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden (GÜ 230; GGJ 204).

      In einem ersten Durchgang wird Gott betrachtet als derjenige, der gibt: Gaben der Schöpfung, der Erlösung und besondere Gaben (GÜ 234; GGJ 204). Unter den besonderen Gaben ist wohl gemeint, was der/die Einzelne als für ihn/sie spezifisch erhalten hat, vielleicht auch das, was er/sie in den Exerzitien bekommen hat. Dabei geht der Blick über das Allgemeine hinaus auf mich als den/die unmittelbar betroffene(n) Empfänger(in) der Gaben. Als nächstes wird Gott betrachtet als einer, der in den Geschöpfen bleibend gegenwärtig ist, angefangen von der unbelebten Natur, zu den Pflanzen, den Tieren, den Menschen, bis zu mir, der/ die „ich nach dem Bild und Gleichnis seiner göttlichen Majestät geschaffen bin“ (GÜ 235; GGJ 204/206). Der dritte Durchgang zeigt Gott als einen, der sich für mich abmüht (GÜ 236; GGJ 206). Dieses Sich-Mühen begegnet schon in der „Betrachtung vom Ruf des Königs“ (GÜ 95; GGJ 146), ferner in der „Betrachtung von der Menschwerdung“ (GÜ 101–109; GGJ 148/150), in der „Betrachtung von der Geburt“ (GÜ 152/154, hier besonders GÜ 116; GGJ 152/154) und schließlich in der „Betrachtung der Passion“ (GÜ 195; GGJ 184/186). Im Leben und in der Passion Jesu Christi wird am deutlichsten sichtbar, was umfassend gilt: dass Gott sich in allem um mich müht – wie er mir schon alles gegeben hat und in allem gegenwärtig ist. Er ist nicht nur zu erfahren in den schönen Seiten des Lebens, seine Gegenwart und Zuwendung umfasst auch Leiden, Schuld und Tod.

      Schließlich gibt Ignatius zu betrachten, wie alle Güter und Gaben von oben herabsteigen, wie von der Sonne die Strahlen oder vom Quell die Wasser (GÜ 237; GGJ 206). Als Beispiele werden Eigenschaften und Tugenden genannt, die in Gott ihren Ursprung haben. Zwar sind sie in mir nur in begrenztem Maße vorhanden, sind aber etwas, worin Gott sich mir mitteilt und schenkt, „sich mir nach seiner göttlichen Anordnung zu geben wünscht, sosehr er kann“ (GÜ 234; GGJ 204). So gibt es auch in mir schon etwas von dem göttlichen Leben, das in Jesus Christus als dem Auferstandenen sichtbar geworden ist.

      Die Einsicht, dass Gott sich dem Menschen durch die Welt hindurch mitteilen will und sich um den Menschen müht, ist für Ignatius charakteristisch. Diese Sicht ist auch biblisch gut begründet. In der Menschwerdung, im Leben Jesu Christi und in der Hingabe seines Lebens sind der Abstieg Gottes und der Einsatz für den Menschen/für mich in besonders deutlicher Weise sichtbar geworden. Im Blick auf das Gottesbild, das uns Ignatius zeigt, sehen wir nochmals die Verschränkung unserer Fragerichtungen: sowohl Gottes Gegenwart in allen Dingen finden als auch seinen Willen zu erkennen, um ihn zu erfüllen. Die „Betrachtung, um Liebe zu erlangen“, leitet dazu an, die Gegenwart Gottes auf verschiedenen Ebenen zu betrachten und zu erkennen. Dabei wird deutlich: Es ist eine sehr dynamische Gegenwart.12 Gott ist einer, der sich um den Menschen müht, sich um der Liebe willen entäußert und sich dem Menschen zu geben wünscht, sosehr er nur kann. Die Dinge/Situationen etc. sind nicht neutrales Material, vielmehr Mittel und Ort für diese (Selbst-)Mitteilung Gottes an den Menschen. Die Betrachtung ist geeignet, eine entsprechende Antwort hervorzulocken, d.h. eine Liebe zu wecken, die sich dann auch im Tun äußert (vgl. GÜ 231; GGJ 204). Sie stellt den Menschen vor die Frage, was er seinerseits Gott geben kann.13 Er kann sich nicht mit Gott messen, aber er kann das geben, was er hat. Er kann alle seine Fähigkeiten Gott in freier Wahl zur Verfügung stellen.

      Die Antwort besteht im Mitvollzug dessen, was Ignatius als göttliche Dynamik erkannt hat: Das Wirken Gottes in der Welt und für die Welt ist mit ihrer Entstehung, dem Auftreten des Menschen und den Ereignissen um Jesus Christus nicht zu Ende, sondern setzt sich fort und drängt auf eine Vollendung hin. Die Verbundenheit des Menschen mit Gott konkretisiert sich darin, dass er sich rufen und herausfordern lässt, die Wege Gottes mit der Welt mitzugehen. Die dem Wirken Gottes gemäße Antwort ist also in letzter Konsequenz nicht ein ruhendes Schauen, sondern ein Einstimmen in Gottes Bewegung für die Welt.14 Der Mensch kann dann gerade in der Aktion mit Ihm verbunden sein. P. Nadal hat dies in die Formel gefasst: In actione contemplativus. Ein Autor unserer Tage drückt es aus mit dem Wort: Der ignatianische Name für die Einheit mit Gott ist „Wahl“ – verstanden als fortwährende Ausrichtung des Tuns auf Gott hin.15 Damit die Aktion tatsächlich auf Gott ausgerichtet ist und in der Verbundenheit mit ihm geschieht, bedarf es aber auch der ausdrücklichen Kontemplation, vorzugsweise der Betrachtung des Lebens Jesu, um den Einklang mit dem Willen Gottes zu finden. Für die Konkretisierung bieten die Exerzitien mit den Hinweisen zur Wahl (GÜ 169–189; GGJ 172–183) und den Regeln zur Unterscheidung der Geister (GÜ 313–344; GGJ 244–255) eine wichtige Hilfe. Für deren Verständnis kann der oben genannte Vergleich mit einer menschlichen Beziehung erhellend sein.

      Den Weg zur Entscheidung im Lichte Gottes im Einzelnen auszuführen wäre ein eigenes Thema. Für unsere Fragestellung bleibt festzuhalten, dass die Suche nach der Gegenwart Gottes und die Frage nach seinem Willen einander ergänzen und ihre Antwort finden im Blick auf Gott, der sich in der Schöpfung mitteilt und den Menschen zur Gemeinschaft und zur Mitarbeit ruft. Der Weg, den Ignatius aufzeigt, führt vom Betrachten Gottes, der sich um mich müht und sich mir schenken will, zur dankbaren Bereitschaft, mit ihm mitzuwirken, weiter zum konkreten Verspüren, was seinem Willen entspricht, und schließlich zum entsprechenden Tun. Des Menschen Bemühen muss dahin gehen, dass er „mit der göttlichen Liebe in eins geht“ (GÜ 370; GGJ 268). Mit diesen Worten schließt das Exerzitienbuch des Ignatius.

      1 Gott oder Gottesgegenwart suchen und finden begegnet bei Ignatius in unterschiedlichen Zusammenhängen. Synonyme, die in diesem Artikel verwendet werden und je eigene Nuancen ausdrücken, sind: Gott bzw. Gottes Gegenwart entdecken/zu erfassen suchen/finden/betrachten, erkennen.

      2 Vgl. J. Sudbrack, „Gott in allen Dingen finden“: Eine Ignatianische Maxime und ihr metahistorischer Hintergrund, in: Ignacio de Loyola y su tiempo. Congresso Internacional de Historia. Ediciones Mensajero. Bilbao 1992, 343–368. Sudbrack geht diesem Motiv anhand von Meister Eckhart und Mechthild von Magdeburg nach.

      3 Die Zitate des Ignatius von Loyola sind entnommen: Ignatius von Loyola, Deutsche Werkausgabe, übersetzt von P. Knauer. Würzburg 1993 u. 1998. Bd I, Briefe und Unterweisungen [= BU], Bd II, Gründungstexte

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