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nach der Emergenz, nach dem Entstehen des Neuen, ist ein „articulus stantis et cadentis ecclesiae“. Hier entscheidet sich schlichtweg alles!

      Der Begriff der ‚Emergenz‘ kommt in zwei Versionen vor, in einer schwachen und in einer starken. Die schwache Version ist so schwach, dass es sich schon fast nicht mehr lohnt. Sie bezieht sich auf holistische Systemeigenschaften, die die Teile eines Systems nicht aufweisen. Man drückt das auch manchmal mit dem Satz aus „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Diejenigen, die diesen Satz im Munde führen, halten ihn für besonders tiefgründig, aber er ist in Wahrheit ziemlich trivial. Es gibt nämlich kaum ein System, das nicht Eigenschaften aufwiese, die seinen Teilen abgehen, so dass es so gesehen überhaupt nur Ganzheiten in der Welt gibt. Die Alten haben das mit dem Satz „omne ens unum“ ausgedrückt: Alles, was existiert, bildet eine Einheit, sonst könnte es gar nicht existieren.

      So haben z. B. einzelne Wassermoleküle keine Oberflächenspannung, wohl aber sehr viele Moleküle. Oder ein einzelnes Luftmolekül hat keine Temperatur und keinen Druck, wohl aber eine statistische Gesamtheit derartiger Moleküle. Man sieht an solchen Beispielen, dass sich schwache Emergenz und reduktionistische Wissenschaft sehr gut vertragen, denn die Oberflächenspannung von Wasser oder der Druck und die Temperatur von Gasen können wir ganz leicht physikalisch berechnen.

      Man kontrastiert gerne Ganzheiten mit Aggregaten. Bei Aggregaten soll alles wirklich nur die Summe seiner Teile sein. In diesem Sinn würde man z. B. einen Sandhaufen für ein Aggregat halten. Es hat sich aber – zur Überraschung der Physiker – gezeigt, dass an Sandhaufen Lawinen nach ganz bestimmten Gesetzen abgehen, d. h., selbst hier zeigen sich Systemeigenschaften, die man nicht erwarten würde und die den Teilen abgehen. Also selbst bei einem Sandhaufen ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Wir können deshalb den Begriff der ‚schwachen Emergenz‘ auf sich beruhen lassen und wenden uns der starken Form zu, denn wenn sogar ein Sandhaufen eine Ganzheit im schwachen Sinn ist, dann grenzt schwache Emergenz praktisch nichts mehr aus. Dann ist alles eine ‚Ganzheit‘ in diesem trivialen Sinn, was uns nicht weiter beschäftigen soll.

      Starke Emergenz liegt hingegen vor, wenn wir die Eigenschaften einer (nun echten) Ganzheit nicht aus den Teilen und den in ihnen herrschenden Gesetzen herleiten können und wenn wir nicht imstande sind, diese Eigenschaften vorherzusagen, auch wenn wir die Vorgeschichte eines Systems komplett begriffen haben. Starke Emergenz liegt also vor, wenn radikal Neues entsteht. Wäre der Darwinistische Standpunkt 1) wahr, dann würde es nichts radikal Neues in der Natur geben. Auch der Mensch wäre dann nichts, was aus den gängigen Modellen des Darwinismus herausfiele. Der Mensch, ein Tier unter anderen.

      Nun haben wir aber gesehen, dass es sich dennoch so verhält, dass wir Menschen stark emergente Eigenschaften aufweisen. Man wundert sich übrigens, dass es immer noch so viele Wissenschaftsgläubige gibt, die annehmen, der Mensch handle ebenfalls ausschließlich nach den Prinzipien, die der Darwinismus vorgibt. Man braucht doch nur in ein Krankenhaus zu gehen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen: In der Natur werden kranke Tiere als Erste gefressen. Die Tatsache, dass die Natur gnadenlos mit den Schwachen umgeht, ist der Motor der natürlichen Evolution. Diesen Motor der Evolution haben wir Menschen außer Kraft gesetzt. Alles, was den Menschen zu einem moralischen Wesen macht, widerspricht den evolutionären Mechanismen. Krankenhäuser, Altenheime, Behindertenheime, Irrenhäuser, all diese Art, menschlich mit den Schwachen umzugehen, kostet sehr viel Energie, die wir anderswo besser gebrauchen könnten, wenn es uns nur darum ginge, die Evolution voranzubringen.

      Man sollte nicht bestreiten, dass der Mensch immer noch ein Tier ist, und deshalb erhellt die Soziobiologie wichtige Zusammenhänge, wenn sie den Menschen als eine genetisch programmierte Überlebensmaschine darstellt. Aber geht der Mensch darin auf, eine solche Überlebensmaschine zu sein? Gerade seine höheren Eigenschaften, wie Moralität und Verantwortlichkeit, sind in einem Darwinistischen Schema nicht unterzukriegen. Man muss es ganz hart sagen, und die Reduktionisten sollten sich dies einmal vor Augen führen: Wenn wir uns verhielten wie reine Naturwesen, dann würden wir die Toten nicht etwa begraben, sondern essen, und der Kannibalismus wäre eine sinnvolle Angelegenheit. Das ist es nämlich, was die Natur macht. Die Natur recycelt alles, selbst die Toten, die vom Geier oder von den Würmern gefressen werden.

      Weil wir aber die Toten begraben, die Kranken heilen und die Schwachen schützen, sind wir keine reinen Naturwesen, und es gibt folglich starke Emergenz, etwa im Sinn von Moralität. Natur bringt also radikal Neues hervor, und der Mensch ist mit seinen unableitbaren Eigenschaften etwas radikal Neues. Es stellt sich allerdings weiter die Frage, ob es nicht auch andere starke Emergenzen in der Natur gibt. Sind wir analogielose Ausnahmeerscheinungen in der Natur? Das wäre einigermaßen erstaunlich. Daher spricht vieles dafür, dass z. B. auch das Entstehen des Lebens ein Fall von starker Emergenz war.

      Die Fachleute nehmen an, dass dieses Entstehen des Lebens abhängig war von einer unglaublichen Serie von Zufällen. Hätte einer dieser Zufallsprozesse nicht stattgefunden, dann hätte sich das Leben auf der Erde niemals entwickeln können. Nun ist aber der Zufall die Negation von Gesetzlichkeit. Wir nennen das ‚zufällig‘, was sich nicht unter ein Naturgesetz subsumieren lässt. Da wir aber den Begriff der ‚Erklärung‘ an den des Naturgesetzes gebunden haben, ist der Zufall das Unerklärliche in der Natur, und wenn beim Entstehen des Lebens eine große Menge von Zufällen eine entscheidende Rolle gespielt hat, dann hieße das, dass das Entstehen des Lebens auf ewig unerklärlich bleiben muss.

      Im Labor versucht man natürlich, dieses Entstehen nachzuvollziehen, und man hat auch schon einige Übergänge simulieren können. Aber selbst wenn es uns gelänge, alle Übergänge technisch nachzuvollziehen, wäre keinesfalls das Entstehen des Lebens erklärt, denn eine Simulation ist noch längst keine Erklärung. Niemand würde die Reproduktion eines van-Gogh-Gemäldes für eine Erklärung dieses Kunstwerks halten. Wenn es uns gelänge, meinetwegen über 50 Etappen, aus anorganischem Material eine Zelle hervorgehen zu lassen (in Wahrheit werden es mindestens 10 000 Etappen sein), selbst wenn wir also künstliches Leben erzeugen könnten, würde das nur möglich sein, weil wir eine große Serie von Umweltbedingungen im Labor nachgeahmt hätten, die wir jedoch nicht erklären, sondern einfach nur voraussetzen. Wir hätten die Zufallsereignisse, die für das Leben notwendig waren, reproduziert, aber nur so, wie wir einen van Gogh reproduzieren, ohne deshalb im Akt der Reproduktion zu verstehen, was der Künstler eigentlich gewollt hat. Es spricht also vieles dafür, dass starke Emergenz kein einmaliges Phänomen ist. Vermutlich schafft die Natur ständig Neues, aber es fällt uns eben nur in besonderen Fällen auf, wie beim Entstehen des Lebens oder beim Entstehen des Menschen. Allerdings ist für viele Eltern die Geburt ihres Kindes ein Wunder, etwas spektakulär Neues, Erstaunliches. Vielleicht ist dieses Gefühl nicht einfach nur ein romantisch-nostalgischer Blick zurück, so wie wir gerne unsere Kindheit verklären, sondern wenn ein Kind geboren wird, erfahren wir spontan die fundamentale Eigenschaft der Natur, Neues hervorzubringen, denn jedes Leben, das entsteht, ist ein Neuanfang. Die Philosophin Hanna Arendt führte den Begriff der ‚Natalität‘ in die philosophische Diskussion ein. Alle Welt spricht von ‚Mortalität‘, weil der Mensch ein sterbliches Wesen ist. Aber weniger wird beachtet, dass jeder Mensch ein unerhörter Neuanfang ist, ein jeweils besonderer Fall von ‚Natalität‘.

      Aber wenn das so ist, möchten wir gerne wissen, was es mit der starken Emergenz auf sich hat, denn zunächst einmal ist das Wort ‚Emergenz‘ nur ein Etikett auf einer Flasche, deren Inhalt wir nicht kennen. Wir haben ja starke Emergenz negativ bestimmt als dasjenige, was wir nicht erklären können, weder synchron noch diachron, d. h. weder in Bezug auf das gleichzeitige Verhältnis zweier Komplexitätsebenen noch in Bezug auf das prozessuale Entstehen des Neuen.

      Der vielfache Gebrauch des Begriffes ‚Emergenz‘ ist ein erstaunliches Phänomen. Dieser Begriff klingt wissenschaftlich und erklärt doch eigentlich gar nichts. Es gibt allerdings viele solcher Begriffe. Später werden wir den Begriff der ‚Kausalität‘ näher darstellen. Man spricht auch gerne von ‚Selbstorganisation‘ oder von ‚Information‘ und vielem anderen, was gut und wissenschaftlich klingt. Blickt man jedoch näher hin, dann zeigt es sich, dass solche Begriffe ganz verschieden gebraucht werden, so dass sie keinen gemeinsamen Inhalt haben. Es sind wissenschaftliche Etiketten, aber was in der Flasche drin ist, wissen wir nicht. So ist auch der Begriff der ‚Emergenz‘ ein

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