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in eine Wunde des Physikalismus und unserer heutigen Weltauffassung.

      Nagel hat – auch in seinen älteren Werken – das Verdienst, ohne Rücksicht auf den Zeitgeist das zu sagen, was ihm vernünftig erscheint, sei es gelegen oder ungelegen. Er denkt zu Ende, was andere nicht zu denken wagen, denn es gibt in Bezug auf die Frage nach der Herkunft des Menschen aus der Evolution nur zwei konsistente Antworten: 1) Entweder ist der Mensch mit allen Eigenschaften das ausschließliche Produkt der Evolution, wie sie von der Biologie beschrieben wird, also ein Tier unter Tieren, oder aber der Mensch hat 2) emergente Eigenschaften, die nicht in ein evolutionäres Schema hineinpassen. In diesem Fall wird der Darwinismus für diese Eigenschaften unzureichend sein, wie Nagel zu Recht betont.

      Position 1) läuft darauf hinaus, dass der Mensch nichts Besonderes in der Natur ist. Schon Darwin hat das so gesehen. In seiner Sichtweise ist der Mensch zwar anders als die übrigen Tiere, aber noch längst nicht besser. Das heißt: Der Mensch kann zwar besser denken, aber nicht so virtuos klettern wie die Affen, und er fliegt auch nicht und sieht nicht so gut wie die Geier oder die Adler und er hackt auch nicht in die Bäume wie der Specht. Alle Lebewesen haben sich danach an ihre jeweilige Umwelt angepasst, und weil die Umwelten so verschieden sind, sind auch die Eigenschaften der Lebewesen grundverschieden und ihrer jeweiligen Umgebung bestens angepasst. So gesehen ist also der Mensch nicht mehr als ein Bakterium. Man könnte diese Auffassung eine ‚horizontale Weltanschauung‘ nennen, wenn wir unter ‚Vertikale‘ eine Wertehierarchie verstehen, die nach oben ausgerichtet ist. Im Handeln sind wir so etwas gewöhnt. Alle Menschen haben bestimmte Werte, die ihnen ganz wichtig sind, und andere, die sie auf der hierarchischen Skala weiter unten lokalisieren, sie denken also vertikal. Aber was wir in Bezug auf Handlungszusammenhänge ohne Weiteres als richtig unterstellen, nämlich eine solche vertikale Hierarchie, das bestreiten wir in Bezug auf die Natur. Dort gibt es keine Vertikale, keine Wertunterschiede, sondern alles liegt auf demselben Niveau, jedenfalls, wenn wir den Darwinisten folgen. Der Mensch ist in dieser Sichtweise nicht mehr, wie einstmals, die Krone der Schöpfung, ein Wesen mit einer hervorgehobenen Stellung in der Natur, sondern er rangiert sich gleichbedeutend ein in die Kette der übrigen Lebewesen. Es gibt Einzeller, Quallen, Pumas, Eichhörnchen und Menschen, und ihr Sein ist jeweils dasselbe, nämlich das Sein eines Organismus, der Nahrung braucht und sich fortpflanzt und der sich seiner Umgebung anpasst.

      Wir könnten dies eine Art von ‚Demokratisierung‘ nennen. Noch im Mittelalter war jeder von der Sonderstellung des Menschen überzeugt und davon, dass die Natur eine vertikale Gliederung aufweist: Zuerst kommen die Steine, dann die Pflanzen, dann die Tiere und ganz zuoberst schließlich der Mensch als die Krone der Schöpfung. Dieser Hierarchie entsprach eine hierarchische Gliederung in der Ständegesellschaft: Bauern, Bürger, Krieger, Adlige, Klerus und ganz oben der Kaiser oder auch der Papst. Man könnte nun vermuten, dass die Einführung der Demokratie seit der Französischen Revolution dazu geführt hat, auch die Natur ‚demokratischer‘ zu verstehen, und dann hieße dies, dass diejenigen, die wieder eine Werteordnung in die Natur einführen wollen, antidemokratisch sind und dass sie sich auf die Art eines unzeitgemäßen Konservativismus in eine autoritäre Staatsform zurücksehnen. Aber so kurzschlüssig ist das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur nicht. Eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung mag bestimmte Naturauffassungen nahelegen, sie sind dennoch nicht durch die gesellschaftlichen Verhältnisse determiniert, wie einstmals die Marxisten glaubten. Natur hat ihre Eigenständigkeit, und sie geht nicht darin auf, ein soziales Konstrukt zu sein.

      Es wird sich in diesem Kapitel zeigen, dass der Mensch über Eigenschaften verfügt, die sonst nicht in der Natur vorkommen, und dass es sehr künstlich ist, sie in eine rein horizontale Weltauffassung einzuebnen. Glaubt denn irgendein Darwinist im Ernst, dass Bakterien und Menschen auf derselben Stufe stehen? Der Biologe glaubt so etwas nur, solange er sich im Laboratorium befindet. Tritt er in die Welt hinaus, dann denkt er hierarchisch, wie jeder andere Mensch auch. Man könnte also sagen : Hier ist das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Lebenswelt ungeklärt. Natürlich werden wir im Rahmen einer reduktionistisch vorgehenden Laborwissenschaft keine Werturteile zulassen. Wir werden die reduktionistisch vorgehende Biologie nicht als solche kritisieren, sondern nur den materialistisch-weltanschaulichen Rahmen, innerhalb dessen sie so gerne gesehen wird. Wir kritisieren also die Biologie nicht als solche, denn nur um den Preis der methodologischen Reduktion ist sie eine exakte, intersubjektiv kontrollierbare Wissenschaft. Aber als Menschen können wir nicht umhin, die Tatsache zu ignorieren, dass es eine echte Höherentwicklung gegeben hat und dass damit ein Wertezuwachs verbunden war. Niemand hält sich für eine Qualle oder einen Wurm, geschweige denn für ein Bakterium.

      Der bekannte Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat sich in seinem Buch „Zur Naturgeschichte der Aggression“ die Sache so zurechtgelegt, dass er ein irrationales Wertempfinden von der Objektivität der Wissenschaft unterscheidet. Er sagt: „Wer da als Naturforscher um jeden Preis ‚objektiv‘ bleiben und sich dem Zwange des ‚nur‘ Subjektiven um jeden Preis entziehen will, der versuche einmal – natürlich nur im Experiment des Denkens und der Vorstellung – hintereinander eine Salatpflanze, eine Fliege, einen Frosch, ein Meerschweinchen, eine Katze, einen Hund und schließlich einen Schimpansen vom Leben zum Tode zu befördern.“ Es ist offenkundig, dass uns diese Tötungen immer schwerer fallen. Es gibt also ein qualitatives Wertempfinden, eingebunden in eine ontologische Hierarchie.

      Aber was heißt es, wenn wir dieses Wertempfinden ins Irrationale verschieben? Ist es denn nicht so, dass wir durchaus vernünftig über solche Wertfragen diskutieren können, und gibt es nicht eine kompetente Literatur zur ökologischen Ethik, die sich gerade um solche Fragen des intrinsischen Wertes von Lebewesen kümmert? Ist das, was Lorenz vorbringt, nicht etwa auch ein Argument, und wäre nicht der Begriff eines ‚irrationalen Arguments‘ ein Widerspruch in sich? Tatsächlich geht Lorenz davon aus, dass menschliche Vernunft in der wissenschaftlichen Vernunft aufgeht, und dann bleibt ihm eben nur noch das Irrationale für die überlappenden Wertfragen, die in der Biologie als solcher nicht vorkommen.

      Wir haben also den folgenden Sachverhalt: Die Biologie erklärt die Entwicklung der Lebewesen rein kausal, ohne alle Wertung, d. h. rein horizontal. Als Menschen können wir uns aber so nicht verstehen. Unabhängig davon, welche Moral wir vertreten, unterstellen wir doch immer eine gewisse Hierarchie von Werten, die uns mehr oder weniger wichtig sind. Wir denken also vertikal, und in diese Vertikale beziehen wir auch den Rest der Natur mit ein. Menschen sind die geborenen Metaphysiker. Sie lassen sich nicht einsperren in das Gehäuse der Wissenschaft, so nützlich sie im Übrigen sein möge, und deshalb ist die wissenschaftliche Vernunft nur Teil der Vernunft als Ganzer, und wir haben sehr wohl die Möglichkeit, im Rahmen einer solchen umfassenden Vernunft Wertfragen rational zu klären. Nicht zuletzt hierin zeigt sich, dass Vernunft nicht enggeführt werden darf. Sie transzendiert den innerwissenschaftlichen Bereich. Aber damit zeigt es sich, dass Thomas Nagel recht hatte, wenn er bestimmte Eigenschaften des Menschen aus dem evolutionären Schema herausnahm. Aber dann müssen wir uns mit dem anderen Horn des Dilemmas 2 beschäftigen: Wie macht es die Natur, Phänomene hervorzubringen, die ontologisch mehr sind als das, was die evolutionären Mechanismen nach Darwin hergeben? Wie ist echte Emergenz möglich? Was bedeutet das Entstehen von Neuem in der Evolution?

      Solche Fragen sind nicht rein akademisch, so als handele es sich um Probleme, die die klugen Professoren in ihren Seminaren abhandeln, weil sie nichts anderes zu tun haben. Wenn wir die Meinung der meisten Biologen übernehmen, wonach die Evolutionstheorie die Eigenschaften aller Lebewesen unter Einschluss des Menschen erklärt, dann ist der Atheismus unausweichlich, denn die Erklärungsgründe der Evolutionstheorie beziehen sich nur auf materielle Prozesse. Hier kommt nichts Metaphysisches ins Spiel. Das erklärt auch, weshalb so viele Biologen Materialisten sind, was für die Physiker nicht gilt. Die Physik erklärt die Natur mit Hilfe von mathematischen Formeln, die eine gewisse Schönheit und Eleganz aufweisen. Das hat viele Physiker dazu veranlasst, diese Formeln als Ausdruck eines göttlichen Intellekts aufzufassen, aber in der lebendigen Natur geht es drunter und drüber und die Darwinschen Prinzipien sind nicht etwa elegant, sondern sie beschreiben einen tödlichen Krieg aller gegen alle.

      Wenn dieser Krieg Erklärungsgrund aller Lebensphänomene unter Einschluss des Menschen ist, dann sind atheistische Schlussfolgerungen unvermeidlich. Von daher ist ein gläubiger Mensch in dieser Frage gehalten,

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