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Geist & Leben 3/2017. Christoph Benke
Читать онлайн.Название Geist & Leben 3/2017
Год выпуска 0
isbn 9783429063207
Автор произведения Christoph Benke
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
In seinem Vermächtnis für San Damiano erinnert Franz an die gemeinsame Berufung und ermutigt die Schwestern, sich von keiner Autorität davon abbringen zu lassen. Als die böhmische Prinzessin Agnes von Prag mit dem eigenen Kloster die Observanz wechselt, statt der päpstlichen Konstitutionen San Damianos Vorbild folgt und dadurch den Unwillen von Papst Gregor IX. herausfordert, gibt Klara die Ermutigung an ihre Prager Freundin weiter:29
Franziskus‘ Rat an Klaras Schwestern
Ich, der ganz kleine Bruder Franziskus,
will dem Leben und der Armut unseres höchsten Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter nachfolgen und darin bis zum Ende verharren.
Und ich bitte euch, meine Herrinnen,
und gebe euch den Rat, ihr möchtet doch allezeit
in diesem heiligsten Leben und in der Armut leben.
Und hütet euch sehr, jemals in irgendeiner Form davon abzuweichen, weder auf die Lehre noch auf den Rat von irgend jemand hin.
Klaras Rat an Agnes von Prag
Wenn Dir aber jemand etwas anderes sagen, etwas anderes einreden wollte,
was Deiner Vollkommenheit hinderlich wäre
oder Deiner göttlichen Berufung zu widersprechen schiene,
folge dem Ratschlag eines solchen Menschen nicht,
auch wenn Du ihm Verehrung schuldig wärest,
sondern umarme als arme Jungfrau
den armen Christus!
Ein poetisch schönes und spirituell dichtes Zeichen des untrennbaren Zusammenspiels von Schwestern und Brüdern ist Franziskus‘ Sonnengesang. In einer gesundheitlichen Krise der Sorge von San Damiano anvertraut und da von der Liebe Gottes neu umarmt, besingt Franz mit den laudes creaturarum die Harmonie einer Schöpfung, in der schwesterliche und brüderliche Geschöpfe in der einen Welt zusammenspielen. Was das Lied kosmisch besingt, hat der Poverello auch vor Ort in der geschwisterlichen Lebensgemeinschaft erfahren.30
Weibliches in Franziskus‘ Spiritualität
Der Mittelalterforscher J. Dalarun stellt erstaunt fest, wie sehr Franz mit einer ausgesprochen weiblich geprägten Spiritualität aus dem Rahmen seiner Zeit fällt:31 Der Ordensgründer ermutigt seine Brüder zu mütterlicher Sensibilität für die Bedürfnisse der Gefährten, spricht und handelt selber „wie eine Mutter“ und wird von Brüdern mater carissima genannt.32 Seine eigene Nachfolge hat Christus und Maria vor Augen, und sein Brief an alle Gläubigen traut auch Männern zu, Christus „mütterlich im Herzen zu tragen“ und durch das eigene Leben „zur Welt zu bringen“.33 Tugenden werden personifiziert und treten als dominae und Freundinnen des Herrn auf. Christus erscheint in den Liedern des Mystikers von Freundinnen und Schwesterpaaren begleitet: der edlen Frau Weisheit und Frau Schlichtheit, Frau Armut und Frau Erdnähe, Frau Liebe und Frau Wachheit.34 Leitungsverantwortung sieht der Poverello dann gottgefällig und lebensdienlich, wenn sie am governare von Schwester Mutter-Erde Maß nimmt: nicht patriarchal und herrschaftlich, sondern schwesterlich und mütterlich – tragend, nährend, Leben hervorbringend. Der Sonnengesang zeichnet auch ein ungewöhnlich vertrauensvolles Bild von „Schwester Tod“: nicht tragisches Geschick oder grausamer Wegelagerer, sondern eine Gefährtin, die den Sterbenden an der Hand nimmt und in die neue Schöpfung Gottes führt.35 Es liegt nahe, hinter solchen Bildern im Schöpfungslied, das in San Damiano entstand, Klaras schwesterlich-mütterliche Art der Leitung und die weibliche Sorge zu sehen, die Franz durch fünfzig Tage innerer und äußerer Dunkelheit in neues Licht begleitet hat. Schließlich fällt Franz auch damit auf, dass er Gott mit einer reichen Auswahl weiblicher Namen preist:36 Liebe, Weisheit und Geduld, Schönheit, Ruhe und Freude, Hoffnung, Gerechtigkeit und Besonnenheit, Anmut, Sanftheit und Stärke, Hoffnung, Glaubenskraft und Liebe, Glück, Zärtlichkeit und Wonne finden Eingang in seinen Lobpreis von La Verna. Franz singt als Troubadour Liebeslieder auf seinen Herrn, den Dominus – und sieht Klaras Schwestern als edle Herrinnen derart eng mit Christus verbunden, dass er Klara christiana nennt: Freundin, Gefährtin und Jüngerin seines Herrn.37 Nicht Franz ist der Geliebte, dem Klara folgt, sondern Christus. Klara nennt den Bruder denn auch einen Gärtner, der ihrer Gemeinschaft und ihr selbst beste Entfaltungsmöglichkeiten bot, und in einer intimen Vision erlebt sie Franz ihrerseits als mütterliche Gestalt, die sie auf ihrem Weg der Christusnachfolge nährt und ebenbürtig werden lässt.38 Mit M. Kreidler-Kos, der wohl besten KlaraForscherin im deutschen Sprachraum, kann man wünschen, dass Papst Franziskus seinen Namen auch da zum Programm macht, wo es dem „weiblichen Genius“ in der Kirche konkreten Entfaltungsraum zu schaffen gilt – beherzt, wie es Franz und Klara in ihrer geschwisterlichen Bewegung und der realen Kirche damals taten.39
1 N. Kuster, Franz und Klara von Assisi. Eine Doppelbiografie. Ostfildern 2011, 22012, aktualisiert und neu als Topos Prämium: Kevelaer 2016. Übersetzungen erscheinen 2014 in Madrid und in Paris; eine englischsprachige Version wird demnächst in den USA druckfertig.
2 F. Zeffirelli, Fratello Sole – Sorella Luna (Spielfilm, I – GB 1972); englisch Brother Son – Sister Moon; deutsch im gleichen Jahr Bruder Sonne – Schwester Mond.
3 E. Pahud de Mortanges, Unheilige Paare? Liebesgeschichten, die keine sein durften. München 2011. Das Buch stellt das Getrenntsein der Heiligen Assisis in eine Reihe mit den Liebesgeschichten zwischen Heloïse/Abälard, Martin Luther/Katharina von Bora, Jeanne Françoise de Chantal/François de Sales, Adrienne von Speyr/Hans Urs von Balthasar sowie Luise Rinser/Karl Rahner.
4 H. Feld, Franziskus von Assisi und seine Bewegung. Darmstadt 1994, 406–420; das Buch erschien weitgehend unverändert mit werbewirksam neuem Titel und Cover sowie einem Vorwort von H. Wolf, Franziskus von Assisi, der Namenspatron des Papstes. Darmstadt 32014.
5 C. Frugoni, Storia di Chiara e Francesco. Torino 2011, schildert als kleines Bändchen nicht die Biografien als solche, sondern einige Aspekte, welche die beiden Heiligen verbinden.
6 D. Berg / L. Lehmann (Hrsg.), Franziskus-Quellen (Zeugnisse des 13. u. 14. Jhs. zur Franziskanischen Bewegung 1). Kevelaer 22014 (= FQ); J. Schneider / P. Zahner (Hrsg.), Klara-Quellen. Die Schriften der heiligen Klara. Zeugnisse zu ihrem Leben und ihrer Wirkungsgeschichte. Kevelaer 2013 (= KQ).
7 M. Bartoli, Chiara d’Assisi. Rom 1989; dt.: Klara von Assisi. Die Geschichte ihres Lebens. Werl 1993.
8 Den Forschungsstand spiegeln zwei Sammelbände: B. Schmies (Hrsg.), Klara von Assisi. Zwischen Bettelarmut und Beziehungsreichtum. Beiträge zur neueren deutschsprachigen Klara-Forschung. Münster 2010; D. R. Bauer / H. Feld / U. Köpf (Hrsg.), Franziskus von Assisi. Das Bild des Heiligen aus neuer Sicht. Köln 2005; s. auch Beiträge u. Rezensionen in der Fachzeitschrift Wissenschaft und Weisheit.
9 So die Klassiker R. Manselli, Franziskus – Der solidarische Bruder. Eine historische Biografie. Zürich 1989, Freiburg 1995; J. LeGoff, Franz von Assisi. Stuttgart 22007; A. Vauchez, François d’Assise. Entre histoire et mémoire. Paris 2009 (dt. Übersetzung in Vorbereitung), sowie – zu Unrecht als Standardwerk gepriesen – H. Feld, Franziskus von Assisi und seine Bewegung. Darmstadt 32014.
10 N. Kuster, Francisco y Clara de Asís: ¿enamorados, amantes, amigos, aliados? La relación de los dos santos interpretada por autores renombrados, in: Estudios Franciscanos 114 (2013), 97–119, mit Bezug auf die Dissertation von M. Kreidler-Kos, Klara von Assisi. Schattenfrau und Lichtgestalt. Tübingen – Basel 2000; erweitert 22003.
11 F. Costa, Chiara e Francesco (Miniserie RAI), Italien 2007.
12 Über B. Schmies, Klara [s. Anm. 8] hinaus zu nennen sind für den dt. Sprachraum die Tagungsakten H. Schneider