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"... damit eure Freude vollkommen wird!". Sebastian Kießig
Читать онлайн.Название "... damit eure Freude vollkommen wird!"
Год выпуска 0
isbn 9783429064044
Автор произведения Sebastian Kießig
Жанр Документальная литература
Серия Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Издательство Bookwire
Die breite Kritik an bisherigen kirchlichen Strukturen um 1968 schaffte es, bei den Bischöfen und katholischen Laienverantwortlichen Gehör zu finden. Prozessen der Willensbildung und Entscheidungsfindung wurde nun größerer Raum zugestanden, wie nicht zuletzt das „deutsche Konzil“52 verrät: Die Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975) vollzog nicht zuletzt mit ihrem Beschluss zur Jugendarbeit einen Paradigmenwechsel. „Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendarbeit“53, so der offizielle Dokumententitel, wurden nun über die Formel des personalen Angebotes definiert. Die zuständigen Synodalen, die insgesamt acht Mal im Würzburger Kiliansdom zusammenkamen, vollzogen eine Abkehr von der Rekrutierung Jugendlicher für die Kirche, stattdessen definierte man kirchliche Jugendarbeit als Begleiter auf dem Weg junger Menschen zu einem gelingenden Leben. Diesem Anliegen wollte Kirche dienen (diakonischer Ansatz). Das bis dato vorherrschende Konzept der material-kerygmatischen Glaubensweitergabe war damit endgültig an sein Ende gelangt – zugunsten von Personen und Gemeinden, „die ihr Christsein überzeugend leben und am eigenen Glauben Anteil geben“. Denn die Glaubwürdigkeit von Inhalten wird in allererster Linie über Personen, nicht über Strukturen vermittelt.54 So ähnlich auch der Beschluss zum Religionsunterricht, auf den sich angehende Lehrer für katholische Religionslehre bis heute verpflichten lassen. Er erteilt dem Katecheseunterricht eine eindeutige Absage; vielmehr begründet er die Rolle von Theologie in der Schule neu: Den Schülern wird ein Angebot zur religiösen Orientierung gemacht, aus dem sie ihre religiöse Identität schöpfen können – aber am Ende nicht zwangsweise als aktive Christen die Schule verlassen müssen.55
Gleichzeitig zu dieser Intensivierung von schon seit den 1960er-Jahren einsetzenden Reformgedanken sind die 1970er-Jahre jedoch weiterhin durch handfeste Erosionsprozesse gekennzeichnet, was das Themenfeld katholische Jugend angeht. Die hochgradige Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile, gebündelt unter dem Begriff „Wertewandel“56, erfasste auch jüngere Katholiken: Die geplante Lockerung des Paragraphen 218 im Jahr 1971, der laut Gesetzbuch einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte, lösten über Jahre enorme Debatten auch und vor allem unter katholischen Jugendlichen aus. Ähnlich wie bereits zuvor bei Humanae vitae standen Rollen- und Geschlechtsbilder von Männern und Frauen, letztlich ihre Einstellung zu Sexualität und Partnerschaft im Brennpunkt der Diskussion. Ebenfalls im Jahr 1971 kam es zur Einstellung der katholischen Wochenzeitung „Publik“, in der eine jüngere, intellektuelle Redaktion ihre Interpretation des Zweiten Vatikanums gegen die Widerstände eines Großteils der Bischöfe und trotz eines nachlassenden Leserinteresses innerhalb des Katholizismus durchzusetzen versuchte. Motiviert durch größere Protestaktionen wagte die Leserinitiative „Publik“, die sich vor allem aus dem studentischen Milieu zusammensetzte, schließlich mit der Gründung von „Publik-Forum“ den konsequenten Aufbau einer kirchenkritischen Nachfolgezeitschrift.57
Andere Themen kamen hingegen neu auf die Agenda – wie z.B. ein verstärktes Engagement für die ‚Dritte Welt‘.58 Die starke Sensibilität für eine Option für die Armen schwappte auch auf jüngere Christen im europäischen Raum über. Was freilich ihre Faszination für Lateinamerika noch steigerte, dürfte auch das bescheidene Auftreten gewesen sein, das Persönlichkeiten wie Leonardo Boff (*1938), Dom Hélder Câmara (1909-1999) und Oscar Romero (1917-1980) boten. Die südamerikanischen Basisgemeinden unterlagen einer zunehmenden Idealisierung und begeisterten zudem als lebendig, ‚von unten‘ organisiert und gegen Unterdrückung ausgerichtet.59 Doch auch wer hierzulande in einem vom Sozialkatholizismus geprägten Umfeld aufwuchs, konnte den Abschied vom ‚hochwürdigsten‘ Jugendkaplan äußerlich miterleben: Nur noch ein kleines silbernes Kreuz am Revers unterschied den Gemeindepfarrer von anderen politischen Aufklärern auf so mancher Anti-Atomkraft-Demonstration oder Gewerkschaftstagung für mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Dieser Priestertypus hielt es für genauso relevant, „Allerwelts-Gespräche“ mit jungen Leuten auf der Straße zu führen oder bei der Bewältigung von Lebenskrisen beizustehen, ohne zwangsläufig „zum theologisch Wesentlichen“ vorzustoßen.60
Auch in den überall ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre aus dem Boden schießenden Neuen Sozialen Bewegungen entdeckten jüngere Katholiken das Potenzial, ihrem christlichen Glauben Ausdruck zu geben: So waren die ersten Wähler der „Grünen“ um 1980 fast zur Hälfte katholischer Konfession; rückblickend lassen sich unschwer beträchtliche, bis in die Gegenwart fortwirkende Schnittmengen katholisch-kirchlicher und ‚grüner‘ Positionen ausmachen, vor allem in der Ökologie (Bewahrung der Schöpfung). Die engagierte Katholikin und ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (*1960) antwortet auf die Frage, was sie in ihrer Jugend in die Politik getrieben habe, rückblickend ohne Umschweife: „die Kirche.“61 Offenkundig agierten katholische Jugend-Organisationen als Transporteure von Ideen und Handlungsmustern zwischen „Grünen“ und der katholischen Kirche – und zwar vice versa, in beide Richtungen.
7. Ausblick: „Megaparty Glaubensfest“ oder „Jesus ja – Kirche nein“?
Spätestens mit dem Pontifikat Johannes Pauls II. (1978-2005), einem der längsten der gesamten Kirchengeschichte, wurde die katholische Kirche zu einem global player. Dazu dürfte nicht unerheblich das hohe Programm an Reisen, der interreligiöse Dialog und die politische Stellungnahme des Karol Wojtyła im Umfeld der polnischen Solidarność-Bewegung zu Beginn der 1980er-Jahre beigetragen haben.62 Während gegen Lehrworte seine Vorgänger mitunter erbittert von einem Teil der katholischen Jugend protestiert wurde, man denke nur an Humanae vitae, gelang es diesem Pontifex, nicht nur jüngere polnische Katholiken aus dem Umfeld der obengenannten Gewerkschaft zu begeistern, sondern auch Jugendliche weltweit für den Katholizismus (neu) einzunehmen: Der Medienstar Johannes Paul II. etablierte seit 1984 Weltjugendtage, die regelmäßig Hunderttausende Jugendliche in die Großstädte dieser Welt locken, um gemeinsam den Glauben zu zelebrieren. Auch seine Nachfolger, allen voran Joseph Ratzinger (2005-2013), konnten von diesem Phänomen profitieren – die „Generation Benedikt“ (seit 2013: katholisches Mediennetzwerk „Pontifex“) umfasst ein jüngeres Team von Katholiken, die sich aufs Engste mit dem Papstamt verbunden weiß und im wahrsten Sinne des Wortes als Brückenbauer zwischen Kirche und Gesellschaft wirken wollen.63 Kritiker fragen, ob den Teilnehmenden mit einer „Megaparty Glaubensfest“ die wesentlichen christlichen Glaubensinhalte präsent sind. Macht für viele nicht schon der Event als solcher den besonderen Reiz aus?64
Gleichzeitig muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch der Wojtyła-Papst polarisierte – vor allem mit Lehrentscheidungen zur Amtshierarchie, zur Stellung der Frau und zur Familie. Nicht wenige katholische Jugendliche entschieden sich in den 1980er- und 1990er-Jahren für die Parole „Jesus ja – Kirche nein“. Was sich bereits seit den 70er-Jahren abzeichnete, hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr verdeutlicht: Jugendliche haben in einer Gesellschaft wie der gegenwärtigen bundesdeutschen mannigfaltige Optionen zur persönlichen Sinnfindung und spirituellen Verdichtung. Ihnen eine Sinnperspektive als Christ und innerhalb der katholischen Kirche neu aufzuzeigen – dafür ist die für Oktober 2018 anberaumte 15. Bischofssynode „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“ ein wichtiger Meilenstein, wie diese historische tour de force aufgezeigt hat.
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