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lallte Josef trübsinnig und griff nach dem frischen Krug, „nicht die heilige Jungfrau Maria, sondern die andere von den beiden, die Dirne unseres Heilands …“ Die Wirtsmagd hörte ihn nicht mehr, sie war bereits wieder im Trubel der Gastschenke verschwunden. Josef gönnte sich noch einen Schluck. „Ach Maria, …“

      Zwei Bankreihen weiter, tiefer im Inneren des großen Schankraumes, der früher einmal den Versammlungen des Rates und auch gemeinsamen Treffen der Zunftoberen gedient hatte, saß eine Gruppe von Knechten und Gesellen beieinander, die noch lauter grölte als es die feiernden Mainfischer an diesem Abend ohnehin schon taten. Sie gehörten zur Werkstatt des Martin Lederer, einem angesehenen und gar gerühmten Bildschnitzer in Holz. Die dralle Magd mit den frech hervorquellenden Brüsten stellte dort gerade die übrigen Krüge ab, als sie von vielen Händen angefasst, lüstern gekniffen wurde und sich lautstark zur Wehr setzte.

      „Nehmt bloß eure Drecksflossen von mir! Ich bin Schankmagd und keine Hure!“ Der Blick ging in Richtung der offenen Küche mit dem riesigen Herd und den Fässern für Wein und Bier, aber dort sah der beschäftigte Schankwirt ihre Blicke nicht und hörte auch ihr zusehends kreischendes Flehen nicht im Lärm der Schenke. Angestachelt von ihrer Widerborstigkeit machten sich die Männer grabschend nur umso mehr an ihr zu schaffen. Die Magd suchte sich loszumachen um fortzueilen, dabei riss der Stoff und die rechte Brust sprang heraus, quittiert von Gejohle und noch mehr Grabschern. Den Stoff mit der Hand über ihre Blöße zurückdrückend, schrie die Magd spitz auf, was den Wirt der Sturmglocke nun doch aufschrecken ließ sowie auch Josef aus seiner dumpfen Biergrübelei holte.

      „Ihr da! Lasst die Gundel los! Die ist ein ordentliches Schankmädel, die tut nur ihre Arbeit.“ Josef stand aufrecht, aber leicht schwankend vor der Gruppe der Lederer-Gesellen und Knechte. Und nach einer kleinen Weile der Verblüffung fügte er noch an: „Wird’s bald oder muss ich nachhelfen?“

      Ein Kerl wie ein Baum nahm seine Arme hinaus aus dem Gewirr von Gliedmaßen um die Schankmagd herum und erhob sich von der Bank, sodass er Josef mehr als einen Kopf überragend sich direkt vor diesem aufbaute.

      „Wie war das? Was hast du gesagt? Bist du nicht der Geselle von diesem Meister Til, der unseren heimischen Meistern mit Ketzereien und Teufelswerk die besten Aufträge stiehlt. Du kommst gerade recht, … von Gott geschickt. Mit dir und deinem Meister wollten wir uns heute Nacht sowieso noch befassen.“

      Josef verstand nicht. Der randvolle Bierhumpen traf ihn krachend ohne jede Vorwarnung, ließ seinen Wangenknochen splittern, als sei er nur ein brüchiges Stück trockenen Holzes und streckte ihn zu Boden. Josef versuchte hektisch zappelnd und kämpfend wieder auf die Beine zu kommen, aber es war zu spät.

      1

      Bertoldo schlurfte schleppend über den mit groben Steinen gepflasterten Weg im Skulpturengarten Lorenzo di Medicis; die nackten, in einfachen Sandalen steckenden Füße hob er dabei kaum mehr vom Boden ab, er schob sie vielmehr rutschend Stück für Stück voran. Den Rücken von der Last des Alters beinahe schon zu einem Buckel gebeugt, die Haut faltig und so ledrig wie Pergament.

      Nur das hellwach funkelnde Sprühen zweier in tiefen Höhlen liegenden Äuglein zeigte an, dass in der verhutzelten kleinen Gestalt noch jede Menge Leben steckte. Tilman kam nicht umhin, dem alten Mann Respekt zu zollen, denn an diesem Frühjahrstag schien die Sonne schon jetzt am Vormittag so heiß auf sie herab, dass auch ihm mit seinen kaum 30 Jahren jeder Schritt neue Schweißperlen auf die Stirn trieb.

      Nun aber hatten sie ihr Ziel erreicht, die Bildhauer-Schule der Medici. Tilman war fast ebenso aufgeregt, wie er es damals als Lehrjunge bei van Leyden gewesen war, nachdem er auf der Grundlage einer Vorzeichnung zum ersten Mal den Schlegel in einen jungfräulichen Stein getrieben hatte. In den vergangenen Tagen hatte er bereits die Arbeiten Donatellos, Pisanos, Ghibertis und so vieler anderer Meister gründlich studiert, wie sie in dieser wundersamen Stadt fern seiner Heimat Würzburg offenbar zahllos aus dem Boden zu sprießen schienen. Nichts was er jemals gesehen hatte, war auch nur annähernd vergleichbar mit der unfassbaren, vielleicht gar von Gott selbst inspirierten Kunst an diesem Ort. Manche Werke, die er hier in Florenz oder auch in Pisa gesehen hatte, waren schon 200 Jahre alt und zeigten doch eine Tiefe in Ausdruck und Glauben sowie eine Meisterschaft im Handwerk, wie es diese nördlich der Alpen nie gegeben hat. Seit Tagen schon hatte Tilman ein Fieber der faszinierten Aufregung und Besessenheit befallen, in dem er in den Besitz dieser meisterlichen Kunstfertigkeit zu gelangen trachtete. Und nun war es soweit, jetzt endlich würde er den ersten Schritt hinein in eine neue Welt tun. Sie kamen zu den Werkstätten. Jeder Schüler des Bertoldo hatte dort einen ihm im Garten zugewiesenen Platz, manche mit einem groben Holzverschlag gegen Sonne und Wetter ausgestattet. Jeder Schüler arbeitete mit seinem eigenen Werkzeug und zu Tilmans Erstaunen an gänzlich unterschiedlichen Werken. Von der Büste im antiken Stil, wie er hierzulande schon viele gesehen hatte, über lebensgroße Statuen bis zu dem aus Holz konstruierten Vormodell war alles dabei. Ein überdachter Verschlag beherbergte das Material, aus dem die Schüler Bertoldos ihre Arbeiten fertigten. Tilman gab einen Ausruf der Verblüffung von sich: weiße Marmorblöcke verschiedener Größen und von einer Reinheit und Güte, die ihm geradezu den Atem raubte. Die funkelnden Augen des alten Meisters bemerkten es.

      „Marmor aus den Steinbrüchen von Carrara, der würdigste Stoff auf Gottes Erdenscheibe daraus eine Skulptur zu schaffen. Sahest du ihn denn bisher nicht in den Arbeiten unserer Stadt?“

      „Ich sah es, aber ich hätte nicht geglaubt, dass Schüler ihre Lehrarbeiten in einen solchen Stein hauen dürften.“

      Ein zahnloses Grinsen huschte durch das faltige Gesicht des Alten. „Lorenzo wird nicht umsonst Il Magnifico genannt, er hat den Stein und alles andere bezahlt. Und nun entschuldige mich, ich muss den Jungen die Finger zurecht biegen, bevor sie ihre Werkstücke zugrunde richten und meine Tage zu Ende gehen. – Wenn du aus unserem Garten für deine Arbeit etwas mitnehmen willst, so sprich mit diesem dort. Er ist nicht sehr gesellig, lass dich also nicht abschrecken. Aber er ist die Zukunft unseres Handwerks.“

      Bertoldo zeigte auf einen Arbeitsplatz etwas abseits von den anderen, an dem ein junger Mann mit ihnen zugewandtem Rücken in seine Arbeit vertieft war, fast ein Knabe noch, dann wandte der Alte sich ab und schimpfte mit unerwarteter Heftigkeit auf einen grobschlächtigen Kerl ein, der gerade im Begriff war, einem Werkstück die Seele zu nehmen.

      Tilman schlenderte voll der Eindrücke hinüber zu dem ihm gehießenen Werkplatz. Der Jüngling, hinter dem er hier stand, musste ihn bemerkt haben, unterbrach seine Arbeit aber nicht, für welche er den Stein auf einem Holzgerüst vor sich unermüdlich polierte. Tilman war des italischen Zungenschlages dank seiner Erfahrungen in den Werkstätten von Straßburg und Ulm leidlich mächtig, sodass er auch hier das Wort zu ergreifen wusste.

      „Bertoldo sagt, du seist die Zukunft des Bildhauens in Stein. Gerne würde ich deine Arbeit studieren. Ich bin Tilman Riemenschneider, Bildhauermeister der Sankt-Lucas-Gilde zu Würzburg von weit nördlich des hohen Alpengebirges.“

      Der junge Mann mit den zarten Schultern eines Knaben wandte sich weder seinem Besucher zu noch hielt er in der Arbeit inne, die Stimme jedoch tief wie diejenige nach einem ganzen Menschenalter. „Bertoldo ist ein Greis mit einem gütigen Herzen. Ich bin der Arbeit seines Meisters Donatello und derjenigen des Ghiberti oder Brunelleschi nicht würdig. Ich werde es nie sein.“

      „Wie ist dein Name?“

      „Ich bin Michelangelo Buonarroti, Sohn des Ludovico Buonarroti Simoni. Il Magnifico nahm mich in seinen Haushalt auf, aber ich bin seines Vertrauens nicht würdig.“ Michelangelo wischte sich mit dem Tuch in der Hand Schweiß und Staub aus dem Gesicht, warf es sodann weg und stand auf, womit er den Blick auf seine Arbeit freigab. Tilman stockte der Atem, ihn schwindelte es. Er sah ein im Stein gerahmtes, helles Flachrelief. Die sitzende Mutter Gottes mit dem Jesuskind auf dem Schoß, welches sie säugt. Die Körper so wirklich und anrührend, das Gewand der Madonna so natürlich die Gestalt zeigend, durchsichtig und alles verhüllend zugleich. Tilman wollte etwas ausrufen, brachte aber keinen Ton heraus, stattdessen studierte er das Relief weiter, um es zu verstehen. Unfassbar fleischig war das dem Betrachter abgewandte Jesuskind gebildet. Die Mutter Gottes blickt die Treppe hinauf, an der sie sitzt und erblickt den ihrem Sohn bestimmten Leidensweg mit dem

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