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alltäglichen Dingen an, die nicht so laufen, wie wir es gerne hätten. Und schließlich erzählt uns die Geschichte von Hiob, dass wir die Unordnung nicht vermeiden können, auch nicht, indem wir alles „richtig“ machen. Hiob, der Gerechte, der definitiv alles richtig gemacht hat, erlebt dennoch Schreckliches: Er verliert seine Kinder, wird krank und hat am Ende nichts mehr, an dem er festhalten kann. Das Leben kann sehr ungerecht sein – auch das ist eine Erfahrungsform von Unordnung. Und gerade dort – zwischen Ordnung und Unordnung – begegnet Hiob Gott.

      Die „Leute der Ordnung“ haben ein Gefäß, das Geborgenheit spendet und an dem sie festhalten können. Die Ordnung gibt auch den Weg vor: Wie auf einer Leiter können sie Sprosse für Sprosse emporsteigen. Der Versuch aber, irgendeine Ordnung mit Gewalt durchzusetzen, führt zu einer Art Allmachtswahn, dem sich dann nichts in den Weg stellen darf, wie das Kapitel „Begegnung mit Gott“ zum Ausdruck bringt. Man könnte sagen: Das Gefäß wird dann wichtiger als sein Inhalt. Meist verbirgt sich hinter dieser Haltung eine tiefe Angst vor der Unordnung. Das ist auch die Quelle von Rassismus oder Hass gegen irgendeine Art von Andersartigkeit, meist gegen Minderheiten. Es ist dann leichter, die Unordnung – oder die, die sie repräsentieren – auszuschließen, als sich von ihr in Frage stellen zu lassen. Auch dann, wenn irgendeine religiöse Praxis oder die Kirche als Institution selbst wichtiger werden als ihr Zweck, treten sie praktisch an die Stelle Gottes, dem sie eigentlich Raum schaffen sollen. Das Gefäß selbst, also z.B. die Kirche, wird dann verehrt und „erbittert“ verteidigt. Aber das bringt uns Gott kein Stück näher, sondern führt eben früher oder später in die Verbitterung. Die Unordnung und überhaupt jegliche Ungewissheit des Lebens lassen sich nicht mit Gewalt beseitigen – zumindest sind alle Versuche bisher gescheitert und haben kaum mehr als Leid und Opfer gebracht.

      Wir Leute der „Unordnung“ haben dagegen weder ein festes Gefäß noch eine sichere Leiter, auf der wir emporsteigen können. Wir können Gefäße und Leitern nach Belieben wechseln, wenn sie uns nicht mehr das Gefühl von Sicherheit, Zugehörigkeit, Bestätigung geben. Aber wir bleiben eben heimatlos. Wenn nichts letztgültig und wahr ist, muss alles angezweifelt werden. Und im schlimmsten Fall ist dann am Ende alles nur noch gleichgültig. Das ist aber nichts anderes als Zynismus, und der taugt auch nicht zum Leben, sondern nährt eine „Kultur der Gleichgültigkeit“ und des Wegschauens, wie sie Papst Franziskus immer wieder anprangert (vgl. EG 54). Wesentliche Fragen bleiben nicht nur unbeantwortet, sondern werden am Ende gar nicht mehr gestellt, z.B. was mir innere Sicherheit gibt und mir sagt, wer ich bin, was mir Angst und Scham nimmt, was mich tiefe Freude und Fülle erfahren lässt, was meinen inneren Hunger nach Lebendigkeit, Liebe und Geborgenheit stillt und wofür es sich lohnt, die eigene Schaffenskraft einzusetzen.

      – Mit welcher Art von „Unordnung“ hat dich dein Leben konfrontiert?

      – Wie begegnest du Ereignissen oder Menschen, die deine Ordnung stören?

      – Was ist deine größte Sehnsucht?

      Im Grunde kommen wir alle – so oder so – alsbald an diesen Punkt, wo wir mit unserem Latein am Ende sind. Dann stehen wir tatsächlich vor dem Nichts und sind herausgefordert, uns mit Leere, Unordnung, Nichtwissen usw. auseinanderzusetzen. Theologisch ausgedrückt, stehen wir früher oder später alle vor der Frage: Wo ist Gott? Und Gott ist nicht da. Jedenfalls nicht da, wo wir es gerne hätten. Wir können genau darin anknüpfen an Erfahrungen derer, die uns vorausgegangen sind: „Bin ich nur ein Gott aus der Nähe – Spruch des Herrn – und nicht auch ein Gott aus der Ferne?“, fragt der Prophet Jeremia (Jer 23,23). Wir wären also in bester Gesellschaft mit unserer Erfahrung der Gottesferne, was aber nur ein schwacher Trost ist.

      Wenn wir ganz ehrlich sind, wollen wir an diesem Punkt meistens doch aussteigen, statt uns auf die unbequeme Suche nach Gott zu machen. Wir versuchen dann lieber, die Leere selbst zu füllen (bzw. die Unordnung zu beseitigen), und basteln uns ein „Goldenes Kalb“, wie es die Exodus-Geschichte erzählt (vgl. Ex 32,1–29). Am liebsten wollen wir gar nicht wirklich viel mit Gott zu tun haben, denn das würde ja bedeuten, dass es ungewiss, abenteuerlich, gefährlich und anstrengend werden könnte und höchstwahrscheinlich auch wird. Irgendetwas kann im Grunde nicht so weitergehen, wie es bisher läuft, sonst wären wir ja nicht an diesen kritischen Punkt gekommen, aber wir versuchen, den Punkt des Aufbruchs soweit es geht hinauszuschieben. Oder wir nehmen nicht alles mit und halten uns heimliche Hintertürchen offen, wie es Yves Raguin formuliert: „Viele brechen nur scheinbar auf. Sie tragen nur ein Gespenst ihrer selbst mit sich fort, eine abstrakte Puppe. Sich selber bringen sie vor dem Aufbruch in Sicherheit … Sie bilden sich eine künstliche Persönlichkeit, eine ausgeliehene, nach Büchern zurechtgemachte, und diesen Roboter, diesen Schatten ihrer selbst schicken sie auf die Suche nach Gott. Nie treten sie mit ihrem ganzen Wesen in die Erfahrung ein.“1

      Es sind unter den Kirchenmenschen meist die Mystiker, die sich trauen, diese Dinge unverblümt beim Namen zu nennen. Zu ihnen gehört die evangelische Pastorin Nadia Bolz-Weber in den USA. Auf die Frage eines Seminaristen, was sie persönlich unternehme, um Gott näherzukommen, antwortet sie spontan: „Was? Gar nichts! Das klingt für mich nach einer schrecklichen Idee!“ Und sie führt aus, dass sie Gott nicht in der Meditation begegne, sondern in Momenten, in denen Gott gewissermaßen dazwischenkommt: „ … in denen mir klar wird, dass Gott durch mich etwas Schönes getan hat, obwohl ich ein Arschloch bin. In denen ich die Sünde anderer nicht verurteilen kann (was ich, ehrlich gesagt, sonst gerne tue), weil mein eigener Mist zu sehr im Weg ist, oder wenn ich Zeugin menschlichen Leids werde, obwohl ich viel lieber in Ruhe gelassen würde, wenn mir jemand vergibt, obwohl ich es nicht verdient habe. Gott näherkommen klingt wunderbar, aber es kann sich ganz schön hart anfühlen.“2

      Wenn wir sagen, dass wir Gott „brauchen“, meinen wir wahrscheinlich meistens, dass wir Gott „gebrauchen“ wollen. Für irgendetwas, das unsere Sicht der Dinge bestätigt. Erst wenn wir aufhören, Gott zu „gebrauchen“, entsteht Raum für die Begegnung mit ihm, behaupte ich. Aufhören, Gott zu „gebrauchen“, bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen. Die eigene Überlegenheit, das Bescheidwissen, die Urteile, Ausreden und alle Sicherheiten. Es bedeutet gleichsam, die Leiter wegzuwerfen, auf der wir bisher hochgestiegen sind, wie es der Philosoph Ludwig Wittgenstein einmal formuliert hat. Es ist wie in einer Partnerschaft oder Ehe: Die Beziehung beginnt eigentlich erst, wenn wir aufhören, den anderen Menschen nach unseren Vorstellungen verändern zu wollen. Erst wenn wir damit aufhören, beginnen wir zu lieben. Wir treten ein in eine neue Lebenswirklichkeit, in der wir nicht mehr passiv sind (geliebt werden), sondern aktiv (lieben). Und wenn zwei (oder drei; vgl. Mt 18,20) das tun, öffnen sich Räume für Wunder. Wir schenken der Wirklichkeit die volle Aufmerksamkeit, und die ist „wichtiger als die Idee“, um noch einmal Papst Franziskus zu zitieren (vgl. EG 231–233).

      – Wofür „brauchst“ du Gott?

      – Welche goldenen Kälber gibt es in deinem Leben?

      – Was willst du hinter dir lassen?

      Gott ist gegenwärtig im „Dazwischen“. Dort lässt er sich finden, wenn wir das Abenteuer auf uns nehmen, ihn dort zu suchen. Zwischen Chaos und Schöpfung, zwischen Kreuzestod und Auferstehung, zwischen Festtag und Alltag. Sein Reich ist schon und noch nicht zugleich. Gott zu begegnen heißt, sich von ihm wandeln zu lassen. So erfuhr Franz von Assisi ausgerechnet in der Begegnung mit einem Aussätzigen, wie das, was ihm „bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt“ (Test 3, FQ 59) wurde, wie er in seinem Testament schreibt. Gott ist nicht Süßigkeit und nicht Bitterkeit, sondern zwischen beidem. Es bedarf beider Erfahrungen, um wahrhaft zu ihm zu gelangen. Menschen, die großes Leid erleben, werden vom Leben selbst oft auf dramatische Weise an diesen Ort gespült, wo nichts mehr einen Sinn ergibt, wo sie nichts mehr haben, an dem sie festhalten können, wo Gott nicht mehr zu „gebrauchen“ ist. Ähnlich ist es mit großer Liebe oder eben auch Leidenschaft – Passion –, die uns an diesen Ort führen können. Den Ort, an dem uns alles zum Geschenk werden kann. Das ist die Verheißung.

      Dieser Ort des „Dazwischen“ hat in der jüdisch-christlichen Tradition einen Namen: „eremos“. Das ist griechisch und heißt

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