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das sehr schön. Einst kam eine päpstliche Gesandtschaft in den Garten des Klosters, in dem Bonaventura lebte. Er sollte die Kardinalswürde erhalten und in jener Zeit ohne Telefon und Internet standen also nach tagelanger Reise die ehrwürdigen Vertreter des Papstes im Garten, um ihm den Kardinalshut aufzusetzen. Bonaventura war gerade damit beschäftigt, das Geschirr zu spülen, und soll gesagt haben: „Hängt den Hut dort in den Baum. Ich spüle noch eben zu Ende.“ Solch eine Spiritualität ist auf eine bestimmte Art und Weise bodenständig: „Vor der Erleuchtung: Boden wischen. Nach der Erleuchtung: Boden wischen“, heißt es passend dazu – und sehr weise – in einem buddhistischen Sprichwort.

      Eine christliche und speziell franziskanische Spiritualität des Alltags hebt also weder ab noch verschließt sie sich vor der Wirklichkeit. Ja, sie besteht im Wesentlichen darin, sich der Wirklichkeit möglichst ganz und gar zuzuwenden und nichts und niemanden auszuschließen. Sie sieht das Heilige im Profanen und das Profane im Heiligen. Sie erwartet Gott eben genau „dazwischen“, möchte ich sagen. Und Gott zu erwarten bedeutet, eben nicht zu wissen, wo Gott ist. Dieses Nichtwissen ist vielleicht sogar überhaupt die genuine Haltung der franziskanischen Spiritualität. Eine Herausforderung, die anzunehmen und zu erforschen sich lohnt. Denn daraus erwächst eine heilige Neugier, die uns fähig macht, kreativ zu sein und das Potenzial zu entfalten, das in jeder und jedem von uns angelegt ist. Franz von Assisi war in diesem Sinne durchdrungen von der Überzeugung, Gott in der Welt, mitten im Leben, mitten im Alltag, eben in diesem geheimnisvollen Dazwischen zu entdecken. Und „entdecken“ beschreibt die Erfahrung, dass Gott uns bereits erwartet, wenn wir ihm Raum schaffen. Als Stadteremit lebte Franziskus in jeder Hinsicht „dazwischen“: zwischen Kultur und Natur, zwischen Stadt und Land, zwischen Reichtum und Armut, zwischen profan und heilig. Deshalb also dieses Buch: Wie können wir solch einen Weg heute gehen?

      2. Aufbruch zwischen Ordnung und Unordnung

      NICHTS zeigt sich.

      NICHTS gibt mir Sicherheit.

      NICHTS nimmt mir die Angst.

      NICHTS kann mich von meiner Scham befreien.

      NICHTS macht mir Freude.

      NICHTS vermag meinen Hunger zu stillen.

      ALLES ist NICHTS.

      Und NICHTS ist ALLES.

      NICHTS gibt mir Kraft.

      NICHTS gibt mir ein Ziel.

      NICHTS muss ich schützen.

      NICHTS braucht meine Tatkraft.

      Für NICHTS lohnt es sich, zu sterben.

      ALLES ist NICHTS.

      Und NICHTS ist ALLES.

      NICHTS kann mich aufhalten.

      NICHTS steht mir im Weg.

      NICHTS stört meine Kreise.

      NICHTS stellt meine Entscheidungen in Frage.

      NICHTS ist größer als ich.

      ALLES ist NICHTS.

      Und NICHTS ist ALLES.

      Ich fordere NICHTS.

      Ich sehne mich nach NICHTS.

      Ich glaube NICHTS.

      Ich nehme NICHTS mit auf den Weg.

      Ich besitze NICHTS,

      und ALLES wird mir geschenkt.

      Ich erinnere mich an Ferien in den Bergen mit den Kindern. „Heute ist Sonntag“, sage ich und schlage vor, im Dorf in den Gottesdienst zu gehen. „Oh nein! Nicht in die Kirche!“ Also rege ich an, einen Gottesdienst im kleinen Kreis am Tisch zu feiern. „Muss das sein? Wir haben doch Ferien!“ Ich falte ernst die Hände zum Gebet: „Lieber Gott, lass uns bitte in Ruhe. Wir haben Ferien und möchten nicht gestört werden.“ Alle lachen. Wir machen fürs Erste einen großen Spaziergang.

      Ich kenne viele in meiner Generation, die würden nicht einmal auf die Idee kommen, einen Gottesdienst zu besuchen. „Wir brauchen Gott nicht“, sagen sie. Und ich weiß, dass viele in der Generation meiner Eltern und Großeltern das nur schwer ertragen. Sie sagen dann, dass wir in „gottlosen“ Zeiten leben. Für sie gehen selbstverständlich alle sonn- und feiertags in den Gottesdienst. Es sind überwiegend diese „Leute der Ordnung“, wie ich sie nennen möchte, die in den Kirchen noch Sonntag für Sonntag präsent sind, pflichtbewusst die Tradition pflegen und auch sonst im Alltag Ordnung halten. Sie wissen genau, was richtig und was falsch ist.

      Meine Generation tickt anders. Ich bin in eine Zeit hineingewachsen, in der es keine letztgültige Ordnung mehr gibt. Wir sind die „Leute der Unordnung“. Unser Lebensgefühl ist von einer grundlegenden Orientierungslosigkeit geprägt. Kaum etwas ist von vornherein festgelegt. Wir können grundsätzlich selbst entscheiden, was wir tun und wie wir es tun. Daher wissen wir aber auch nie, was genau richtig und was falsch ist. Niemand gibt den Weg vor. Schon gar nicht mehr „die Kirche“. Wir können selbst wählen. Wir müssen aber auch selbst wählen. Viele in meiner Generation nehmen deshalb ganz bewusst eine bestimmte Ordnung an: eine politische Ideologie, irgendeine Konfession oder esoterische Lehre oder was auch immer uns für unser Leben sinnvoll erscheint. Und die Auswahl ist groß.

      Als ich mit 20 Jahren in den Franziskanerorden eintrat, war ich überzeugt, dort eine Ordnung für mein Leben finden zu können. Orden – von lateinisch ordo – heißt ja nichts anderes als Ordnung. Ich erinnere mich noch gut an den ersten Tag. Ich hatte aus irgendeinem Grund das Mittagessen verpasst. Zusammen mit einem Mitbruder holte ich die Mahlzeit nach. Wir setzten uns in der großen Klosterküche an den Tisch. „Guten Appetit“, sagte ich und begann fröhlich zu essen. „Wollen wir erst beten?“, fragte mein Gegenüber. Ich schämte mich. Ich fühlte mich bloßgestellt. Die Situation hatte sichtbar gemacht, dass ich aus einer anderen Welt kam. Tischgebete gab es dort nicht. Es gab überhaupt keine religiöse Alltagspraxis. Jetzt war ich fremd. Und ich passte mich an, um dazuzugehören. Dennoch blieb – und das kennzeichnet uns „Leute der Unordnung“ – eine Distanz, dieses Gefühl von „Fremdsein“. Vielleicht ist dieses Gefühl auch der Grund, warum ich nach fünf Jahren wieder aus dem Orden austrat. Ich wählte die nächste „Ordnung“ und hoffte, auf diese Weise dem Schmerz des Fremdseins zu entkommen. Was natürlich nicht funktionierte. Heute weiß ich: Das Fremdsein gehört dazu. Es ist geradezu notwendig. Ich habe noch einige Jahre gebraucht, um den Schatz zu entdecken, der im Fremdsein liegt. Gerade das Fremdsein und Sich-nicht-Auskennen ist für mich ein Schlüsselbegriff franziskanischer Spiritualität geworden.

      – Zählst du dich eher zu den Leuten der Ordnung oder der Unordnung?

      – In welche Ordnung bist du hineingewachsen? Welche hast du selbst gewählt?

      – Wie gehst du um mit Situationen des Sich-nicht-Auskennens?

      Die Sache mit der Ordnung und der Unordnung hat letztendlich nur bedingt etwas mit „Generationen“ zu tun. Das ganze Leben spielt sich ab zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Verbundensein und Getrenntsein, zwischen Gemeinschaft und Alleinsein. Die Natur ist bipolar: Es gibt hell und dunkel, Tag und Nacht, Himmel und Erde, Tod und Geburt. Und alle, die Gott suchen, müssen früher oder später lernen, dass er weder im einen noch im anderen ganz zu finden ist, sondern „dazwischen“. Und wenn ich „er“ sage, dann ist das genau ein Beispiel für das Problem, denn Gott ist natürlich nicht nur „er“, sondern zugleich „sie“. Uns Menschen fällt es schwer, über die Polaritäten hinauszusehen. Gott ist aber keine Frage von „entweder – oder“. Gott zeigt sich im „Und“. Zwischen Ordnung und Unordnung.

      Es geht nicht ohne Ordnung, sonst würde das Chaos herrschen. Aber es geht auch nicht ohne Unordnung, sonst würde nie etwas Neues entstehen. Entwicklungspsychologisch betrachtet, brauchen wir Ordnung, wenn wir heranwachsen, um uns sicher zu fühlen und zu orientieren. Aber spätestens in der Pubertät beginnen wir, aus der Ordnung herauszuwachsen.

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