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als unveränderliches Gotteswort mit ewig gültiger Wahrheit zu verstehen? Zwischen diesen Extremen, die sich beide in den Kirchen finden lassen, tut sich sowohl die historisch-kritische als auch die literaturwissenschaftliche Exegese schwer, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in die Theologie einzubringen und dem Gottesvolk zu vermitteln. Irmtraud Fischer

      Da das Christentum – wie das Judentum und der Islam – eine Buch- und Offenbarungsreligion ist, bewirkt die Vernachlässigung der Bibel in der katholischen Kirche ein Verdorren der Wurzeln.

      Dabei hatte es, nach der verweigerten Aufklärung und der Verwerfung der historisch-kritischen Forschung an der Bibel seit Ende des 17. Jahrhunderts, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eigentlich gut angefangen: Die Bibel wurde als Gotteswort in Menschenwort in ihrem Kontext verankert. Dadurch wurde klar, dass viel Zeitbedingtes in den Texten zu lesen ist (vgl. Dei Verbum 11f.). Zudem sollte der „Tisch des Wortes“ in der Liturgie reichlicher gedeckt werden (vgl. Sacrosanctum Concilium 51), was zu einer Besinnung auf den christlichen Grundtext und dessen intensiverem Studium führen sollte. Die Jahrzehnte nach dem Konzil waren auch von einem großen Aufbruch in der katholischen Bibelwissenschaft, die in Relation zu jener in den Kirchen der Reformation viel Aufholbedarf hatte, geprägt. Aber dieser Elan scheint heute in der Kirche weitgehend versiegt zu sein. Kirchliche Dokumente, seien es Bischofsworte oder päpstliche Verlautbarungen, sind häufig immer noch von einer Steinbruchexegese geprägt, die die Bibel nur zur Untermauerung eigener Meinungen heranzieht, sie aber nicht wirklich zu Wort kommen lässt. Ist dieses innerkirchlich festzustellende Desinteresse an der Schrift ein allgemeines Phänomen?

       VIEL ZEITBEDINGTES: DIE BIBEL ALS HISTORISCHES BUCH

      Wer heute die Bibel liest, muss bereit sein, in eine ferne Welt einzutauchen: Es ist das Ambiente des Vorderen Orients und des Zeitraums von etwa einem Jahrtausend, von ca. 850 v. Chr. bis ca. 150 n. Chr., in dem die Texte entstanden sind. Sie spiegeln eine Kultur wider, die ein anderes Rechtsverständnis hatte, in der Theologie vorrangig durch das Erzählen von Geschichten betrieben wurde, deren Metaphern von der Ikonographie des Alten Orients inspiriert waren. Die biblischen Texte sind in einem hierarchischen Gesellschaftssystem entstanden, in dem es versklavte Menschen ohne Personenrechte gab, ältere Männer das Sagen hatten und in manchen Epochen ausländische oder religiös Fremde bloß geduldet oder auch direkt diskriminiert wurden.

       Irmtraud Fischer

      Dr. theol. habil., Dr. phil. h. c., seit 2004 Prof.in für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Graz; 1997–2004 Prof.in für Altes Testament und Theologische Frauenforschung an der Universität Bonn; Gastprofessuren in Marburg, Bamberg, Wien, Jerusalem und Rom.

      Die Bibel ist also in ihrer kulturellen Fremdheit als historisches Buch zu lesen. Sie ist zudem keine Autor*innenliteratur, sondern in einem langen Zeitraum mit mehreren Epochenbrüchen (Königszeit, neuassyrische Epoche, Exil, Perserzeit, Hellenismus, Römerzeit) sukzessive durch die Arbeit von hunderten Generationen entstanden und dokumentiert daher teils zu ein und demselben Sachverhalt durchaus divergente Ansichten (vgl. Schmid). Um diese verstehen zu können, braucht es historische Forschung, die rechts- und literaturvergleichend die Bibel in der Kultur des Vorderen Orients und der Antike verankert.

       AKTUELL WIE EH UND JE: DIE BIBEL ALS KANONISCHES BUCH

      Die Bibel ist aber nicht nur ein historisches Buch, sondern auch ein kanonisches. Das bedeutet einerseits, dass man von ihrem Text nichts weglassen und auch nichts hinzufügen darf (vgl. Dtn 4,2; 13,1), sie also als Ganze, Altes wie Neues Testament, „heilig und kanonisch“ (DV 11) ist, andererseits aber ihre Bedeutung von jeder Generation neu aktualisiert werden muss. Deswegen kommt der Abschluss des Kanons der Geburt des Kommentars und damit der Schriftgelehrsamkeit gleich. Dabei ist zu beachten, dass die christliche Bibel einen Kanon darstellt, der bereits einen Kanon rezipiert. Das Christentum hat also große Teile aus der Heiligen Schrift seiner Mutterreligion, dem Judentum, übernommen. Insofern ist die Bibel – wie auch manche späten Texte des Alten Testaments – Offenbarungs- und Kommentarliteratur zugleich und legitimiert damit in sich selbst den aktualisierenden Auslegungsprozess in neuen Zeiten und geänderten sozialen Verhältnissen. Wer solche Texte fundamentalistisch auslegt und ihnen einen einzigen, für alle Zeiten ewiggültigen Sinn zuschreiben möchte, stellt damit ihre Kanonizität in Frage und nimmt der Bibel ihre Würde als Heilige Schrift.

       STEINBRUCHEXEGESE: EINE TECHNIK VORNEHMLICH BEI GENDER-RELEVANTEN FRAGEN

      Obwohl die offizielle Lehre der Kirche einen ‚Kanon im Kanon‘ immer abgelehnt hat und sogar Texte in der christlichen Bibel belassen wurden, die von neutestamentlichen Texten als nicht bindend deklariert wurden (z. B. Beschneidung, Kaschrut), ist das Phänomen in der Praxis alltägliche Realität. Es gibt Texte, die wichtiger erachtet werden als andere. Welche dies sind, ist allerdings teils zeitbedingt, teils abhängig von den Gruppen, die die Bibel lesen und für ihren Kontext auslegen. So wurden etwa zu Beginn des Ersten Weltkriegs die kriegerischen Texte wertgeschätzt und für die eigenen Truppen aktualisiert, gegen Ende jedoch wurden von allen Konfessionen und beteiligten Religionen die großen Friedensvisionen hervorgehoben.

      Bis heute findet man eine solche Steinbruchexegese, die vorrangig jene Stücke herausnimmt, die ins Konzept passen, vor allem bei Genderthematiken. So wird behauptet, die Bibel liefere ein eindeutiges Zeugnis bei der Ablehnung von Homosexualität. Da das Altertum kein Konzept der sexuellen Orientierung kannte, muss man bedenken, dass von unterschiedlichen Dingen gesprochen wird, wenn man sich auf die Untersagung beruft, sich nicht zu einem Mann zu legen, wie man sich zu einer Frau legt (vgl. Lev 18,22; 20,13). Davon abgesehen findet sich die Vorschrift ausschließlich im Kontext des Heiligkeitsgesetzes. Alle anderen Rechtssammlungen, wie etwa das Bundesbuch oder das deuteronomische Gemeindegesetz, schweigen zu diesem Sachverhalt, wenngleich sie viele ähnliche Sexualrichtlinien wie Lev 18–20 thematisieren. Zudem werden bei der Behauptung eines einheitlichen negativen Zeugnisses der Bibel zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen die erzählenden Texte, die von lebenslanger gleichgeschlechtlicher Liebe zeugen (vgl. 1 Sam 18,3; 19,1; 20,3.17; 2 Sam 1,26; Rut 1,16f.; 4,15), völlig ignoriert.

      Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei der Diskussion um Ämter von Frauen aufzeigen: Während man unkritisch, die Entwicklung der Ämter negierend, die Bischöfe auf die Apostel zurückführt, übersieht man geflissentlich, dass Junia als unter den Apostel*innen sogar herausragend beschrieben wird (vgl. Röm 16,7). Wenn in der unmittelbaren Nachfolge des Mose, des Propheten par excellence, die Prophetin Debora steht, so tritt diese Frau nach dem Ämtergesetz (vgl. Dtn 18,9–22) ins höchste der Ämter ein (vgl. Fischer 2002). Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet solche Texte beim Rosinenpicken nie aufgenommen werden, denn sie widersprechen den Meinungen oberster kirchlicher Hierarchen.

       KANN MAN DIE BIBEL AUCH FALSCH VERSTEHEN?

      Die Frage, wann die Bibel richtig oder falsch verstanden wird, lässt sich nicht generell, sondern nur innerhalb derselben Auslegungstradition beantworten. Innerhalb der historischkritischen Forschungstradition ist es klar, dass alles, was nicht aus dem Text in der Original-sprache zu belegen oder zu argumentieren ist, als Fehlrezeption bezeichnet werden muss. Von diesem Standpunkt her muss etwa die paulinische Exegese der Schöpfungsgeschichte von Gen 1–3 als Fehlrezeption bewertet werden, denn 1 Kor 11 vermischt die sehr unterschiedlichen Aussagen der Schöpfungstexte von Gen 1 und Gen 2 frischfröhlich. Aber wer – wie die längste Zeit in der Exegesegeschichte üblich – die Bibel typologisch oder allegorisch auslegt, für den zählt die Texttreue nicht, vielmehr ist Kreativität dabei angesagt.

      Die Rezeptionsgeschichte zeigt, dass die Breite der biblischen Auslegung mit der Devise ‚anything goes‘ zu beschreiben ist, da sich von haarsträubenden Deutungen bis hin zu schöpferischen Auslegungen in strikter Texttreue alles finden lässt. Freilich gibt es in unterschiedlichen Kontexten Auslegungstraditionen, die sich durchgesetzt haben, aber das müssen noch lange nicht die im historisch-kritischen Paradigma besten oder gar ‚richtigen‘ sein. Wer bestimmt, was richtig ist, ist immer auch eine Machtfrage. Nicht nur bei den biblischen Texten ist zu fragen, wessen Sichtweise sie widerspiegeln, sondern

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