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unnütz und unsinnig erscheinenden Tiersprachen erweisen sich am Ende als Gewinn. Sie sind Wegweiser zum individuellen Lebenssinn. Sie führen den Grafensohn über viele Mutproben und Gefahren zu seiner eigenen Bestimmung und Vollendung.5

      Märchen überzeugen durch ihre Symbolsprache. Darin verdichten sich menschliche Erfahrungen über Jahrhunderte hinweg. Heilsame Wandlungsprozesse werden verschlüsselt und doch erkennbar dargestellt. Sie laden dazu ein, sich selbst in dieser Geschichte zu spiegeln und zu erkennen. Die Symbolsprache der Märchen ist ein wohltuendes

      Heilmittel für unser Innen- und Seelenleben. Das Märchen Die drei Sprachen macht trotz des grausamen Anfangs Hoffnung. Sie können sich mit dem Grafensohn identifizieren und hoffen, dass Sie aus Fehlstarts, Bedrohungen und Verwundungen heil herauskommen und Ihr Lebensziel erreichen. Die Heilkraft liegt in der Ermutigung, auf das Naturgegebene zu vertrauen, auf die innere Stimme zu hören und den Glauben an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten nicht zu verlieren. Der innere Heiler bricht sich Bahn, spürt seine Helferinnen und Helfer auf und aktiviert sie. Verwandlung und Heilung gelingen.

      Dies alles haben Entwicklungspsychologen und Psychoanalytiker für uns erforscht.6 So hat Donald W. Winnicott herausgefunden, dass dieser Entwicklungsprozess bereits ab dem sechsten Monat beginnt, sobald der Säugling unbewusst spürt, dass er nicht mehr – wie vor der Geburt – eins mit seiner Mutter, sondern ein Individuum ist. Diese Entdeckung ist die Initialzündung für das Symbolisieren, eine besondere Fähigkeit des Menschen, seine erste Kommunikationsschiene. Um die Ängste zu beherrschen, die sich durch die vom Kind erspürte Trennung regen, greift der Säugling und später das Kleinkind zu sogenannten Übergangsobjekten wie Daumen, Tuchzipfel oder Teddy. Sie vertreten die abwesende Mutter und helfen dem Säugling, seine Einsamkeit zu überwinden und das Gefühl der Geborgenheit nicht ganz zu verlieren. Welch heilsame Wirkung!

      In den ersten Lebensjahren bis ins frühe Jugendalter hinein baut das Kind eine fast unzertrennlich-innige Beziehung zu seinen Übergangsobjekten wie seinem Kuscheltier auf – durch Liebkosungen, Lallen und einzelne Wörter. Der Teddybär wird von ihm gedrückt und geherzt. Übergangsobjekte bilden über Abgründe der Angst hinweg eine Brücke in die ersehnte Geborgenheit, sind Trostspender und Heilmittel schlechthin. Das Kind erlernt durch bloßes Erleben den Prozess der Symbolbildung und erfährt zugleich intuitiv deren Wirkung. Ganz wichtig ist das Lernen durch Nachahmen. Das Kind übernimmt die in der Familie gebräuchlichen Rituale wie den Austausch von Zärtlichkeiten oder Essgewohnheiten und erprobt sie spielerisch mit seinem Kuscheltier oder real mit (Groß-)Eltern und Geschwistern. So lernen Kinder auch, mit Konflikten umzugehen und sie selbst oder mit fremder Hilfe zu lösen.

      Bis in die ersten Schuljahre hinein durchschaut das Kind den spezifischen Charakter von Ritualen und Symbolen nicht. Es kann nicht erkennen, dass diese über sich hinausweisen in eine andere Wirklichkeit. Deshalb kann es nicht verstehen, was Erwachsene mit übertragener Bedeutung oder Doppelsinn meinen. Wie Till Eulenspiegel bei seinen lustigen Streichen beharrt es auf dem wortwörtlichen Sinn.

      Erst am Ende der Grundschulzeit durchschauen Kinder die Mehrschichtigkeit der Symbolsprache und Redewendungen. Dann regen sich Zweifel, werden Rituale und Symbole als erklärungsbedürftige Gebilde erkannt und mithilfe der wachsenden Vernunft erst infrage gestellt, dann allmählich durchschaut. Das ist der kritische Punkt, der zunächst zu Irritationen, dann über Lerneffekte zum mehrschichtigen Symbolverständnis führt. Dieser Entwicklungsprozess braucht die Unterstützung von Menschen, die dem Kind Geschichten, Märchen und Mythen vorlesen, sie nachspielen bzw. mit Imaginationsübungen und Fantasiereisen sein Symbolverständnis anregen und es den Doppelsinn und die Brückenfunktion der Symbole entdecken lassen. In dieser Phase lernen die Kinder allmählich auch, verstandesmäßig den Sinn und die Kraft von Ritualen und Symbolen zu durchschauen. Sie werden zu Entwicklungshelfern für die eigene Person und zu Verbindungselementen zwischen dem Kind und anderen Menschen.

      In der Pubertät entscheidet sich, welche Funktion den Ritualen und Symbolen zukünftig beigemessen wird. Nun müssen sie auf ihre Zukunftstauglichkeit untersucht werden. Probehandeln ist angesagt, um die eigene Rolle und Wirkung in Abgrenzung zu den Eltern auszutesten: Was passt zu mir? Was nicht? Altes wird zunächst über Bord geworfen, Neues (etwa Stars und Idole) imitiert – ihre Frisur, Tattoos und Kleidung. Darin steckt aber auch eine ernsthafte Suche nach Werten und Menschen, die diese Werte verkörpern und ihnen einen Weg zeigen können. Dann ist die Frage: Setzt man sich also mit Ritualen und Symbolen auseinander, hinterfragt man sie kritisch oder ist das alles zu anstrengend? Der einfachste Weg ist, den herkömmlichen, beobachteten und gelernten Ritualen blindlings zu folgen, völlig unreflektiert. Ein anderer Weg ist, dies alles, genauso unreflektiert, aus reiner Opposition über Bord zu werfen. Der sinnvollste Weg ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie als Chance zur Persönlichkeitsbildung zu erkennen: Rituale und Symbole bieten Hilfen zur Lebensbewältigung an, zu einem neuen Selbstbewusstsein, sie sind Halt und Geländer in Krisensituationen, sind Verbindung vom Suchenden zum Ratgeber.

      Gute Erfahrungen haben wir mit einem Modell des Philosophen und Theologen Heinrich Ott gemacht, das wir durchgängig in diesem Buch verwenden. Den Ausgangspunkt bildet die Mehrschichtigkeit von Sprache und Wirklichkeit. Sie spiegelt sich in drei Bedeutungsebenen.

      Das Beispiel Brot

      • Die alltäglich-reale Bedeutungsebene erschließt sich uns, indem wir Brot mit allen Sinnen betasten, sehen, riechen, schmecken, also wahrnehmen und es entdecken als Grundnahrungsmittel, das uns stärkt und gesund erhält.

      • Die übertragene Bedeutungsebene begegnet uns in Sprichwörtern, Märchen, Bildworten (Metaphern). In ihnen verdichtet sich die Erfahrung vieler Menschen über einen langen Zeitraum hinweg. Nehmen Sie als Beispiel »Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing’.« Es verweist auf die riskante Abhängigkeit des Brot-Nehmers vom Brot-Geber und bietet dazu eine Lösung: Rede/singe ihm nach dem Mund. Alles andere ist gefährlich.

      • Die religiöse Bedeutungsebene finden wir in biblischen Erzählungen vom Manna (Brot, das vom Himmel fällt) oder in der Erzählung vom Letzten Abendmahl Jesu (Brotteilen zum Abschied – ein dauerhaftes Erinnerungszeichen). Alle drei Ebenen ergänzen und durchdringen sich gegenseitig und lassen über den Entstehungsund Verwendungszusammenhang den Sinn erkennen. In der Vaterunser-Bitte um das tägliche Brot bilden alle drei Ebenen ein Ganzes. Mit den Worten Jesu dürfen wir von Gott alles Lebensnotwendige erhoffen.

      Ein zweites Modell zur Erschließung haben Sie beim Märchen Die drei Sprachen kennengelernt. Es lädt ein, alle äußeren Gegebenheiten und Gestalten des Textes so zu interpretieren, dass sie die eigenen inneren Kräfte, Zustände und schicksalhaften Verknüpfungen (subjektive Variante) oder die der anderen Menschen (objektive Variante) widerspiegeln. Ich kann probehalber mich selbst oder andere Menschen damit identifizieren und so eine heilsame, neue Sicht über mich selbst oder über andere gewinnen.

      Der französische Sprachphilosoph Paul Ricœur nennt dieses Vorgehen auch den Weg vom ersten zum zweiten Sinn. Dieser Weg bildet in seiner Theorie zugleich die Brücke von der ersten zur zweiten Naivität. Auch für ihn gilt: Der erste Sinn, vergleichbar der natürlichen Bedeutungsebene, ist durch möglichst eingehende Wahrnehmung sowie mehrfachen Perspektivwechsel freizulegen. Denn der zweite Sinn wohnt dem ersten inne. Das ist der springende Punkt, damit Märchen und Träume ihre heilenden Kräfte im Menschen wecken und den inneren Heiler aktivieren können. Rituale und Symbole können ihre Heilkraft entfalten, wenn sich der Mensch mit ihnen auseinandersetzt und so ihren Sinngehalt, den inneren Bedeutungsgehalt freilegt.

      Was ist ein Symbol, ein Ritual?

      Das erzählt uns eine alte Sage zur Erklärung des Wortes Sym-bol (griech. sym-balein = zusammenfügen): Zwei Freunde im alten Griechenland nehmen Abschied voneinander. Sie ritzen ihre Namen auf eine Tonscherbe und brechen sie in zwei Stücke. Jeder nimmt eine Hälfte mit; er weiß, dass er den Freund lange nicht sehen wird. Das Brechen von Ton und Namen

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