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Er sprach freimütig von eigenen Erlebnissen, aber auch von der Entwicklung seines persönlichen Glaubens. Auch diese Seite seines Lebens werden wir nachzuzeichnen versuchen.

      Weizsäckers tiefe Menschlichkeit wird erst dann voll verständlich, wenn man sein Gefühl für die religiöse Wahrheit, seine Achtung vor den höchsten Fragen des Geistes, seine eigene Spiritualität, vielleicht sogar das persönliche Gespür für die göttliche Gegenwart im Dasein, im Kosmos sowie im Wesenskern der Menschen, gebührend berücksichtigt.

      Zweifellos kam auch eine gesteigerte Geistigkeit in Weizsäcker selbst zum Ausdruck. Man sah dies schon an den Gesichtszügen, und man hörte es am überlegen ruhigen Sprechen, besonders auch am wohltuend warmen Tonfall seiner Stimme.1

      Er war ein Suchender und ein Wissender, sich wohl bewusst, dass man nie vollständig zu Ende denken kann. Man darf angesichts seines Werkes und seiner persönlichen Ausstrahlung vielleicht annehmen, dass dieser Mann mehr als bloß eine Ahnung von den höchsten Ebenen des Geistes besaß – und genau darum kann er durchaus als moderner Weiser bezeichnet werden.

      Ein guter Wissenschaftler muss neue Thesen aufstellen und ungewöhnliche Gedankengänge wagen. Die übliche Methode dafür ist, nach Analogien zu suchen. Dies beherrschte Weizsäcker absolut meisterhaft, da er die Themen in ihrer komplexen Tiefendimension überblickte. Dies machte noch etwas anderes erst möglich: Weit über den Tellerrand der Physik, aber auch über die üblichen Deutungen von politischen, wirtschaftlichen und historischen Zusammenhängen hinaus zu schauen. Weizsäcker tat dies mit unvergleichlicher Akribie und Sorgfalt, doch auch mit dem großen Mut für wirklich kreative, ja sogar zukunftsweisende Denkansätze. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an einem relativ groben Schema, analog zu Weizsäckers Hauptthemen: Physik, Politik, Philosophie und Religion. Seine Interessens- und Arbeitsgebiete waren sehr differenziert, und die genannte Einteilung kann dies nur schlagwortartig andeuten. Sie erleichtert aber den Zugang.

      Alle wichtigen wissenschaftlichen Sachgebiete hatte er in Grunderkenntnissen stets präsent, so dass er aus dem Stehgreif darüber sprechen konnte. Zudem vermochte er die notwendigen Querverbindungen herzustellen, um seinen Zuhörern, ebenso wie den Lesern seiner tiefschürfenden Texte, eine Erkenntnis auf höchstem Niveau, gleichsam eine ganzheitliche Erkenntnis, zu ermöglichen. Das Talent, gut zu sprechen und sich klar auszudrücken, ist auch unter hochkarätigen Wissenschaftlern äußerst selten. Aufgrund seiner vielseitigen Begabungen und Interessen war es fast unvermeidlich, sich auch auf dem Gebiet philosophischer Grundfragen zu bewegen. Besonders dieses Interesse gereicht uns heute zum Vorteil, denn wir können die allgemeinen Gedankengänge, die sich hier finden lassen, auf das praktische Leben beziehen und somit leichter aufnehmen. Seine schonungslos vorgebrachte und gut begründete Kultur- und Ideologiekritik zeigt bereits die entscheidenden Ansatzpunkte, um eine bessere Zukunft zu gestalten, und insofern eröffnet sie weitreichende Perspektiven. Nicht nur von den Regierenden, sondern von der gesamten Gesellschaft forderte er ein radikales Umdenken, einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel. Das Kapitel „Wissenschaft und Politik“ zeigt im Detail, was er kritisierte und forderte, während das Schlusskapitel „Nachwirkungen“ den Blick auf die praktische Nutzanwendung der Weizsäckerschen Gedanken lenkt und dabei auch eine etwas freiere Deutung wagt.

      Weizsäcker regt zum Nachdenken an. Er vermag dies aufgrund seiner Persönlichkeit, noch mehr aber durch seine Themenwahl. In der Philosophie, speziell in den klaren Konzepten zur modernen Ethik, liegt sicher die größte Nachwirkung seines Lebens. Weizsäcker war ein das eigene Denken fördernder Philosoph. Zurückhaltend in seinen Forderungen an andere, gab er aus Prinzip keine konkreten Handlungskonzepte oder Empfehlungen, und daher entwickelte er auch kein geschlossenes philosophisches System. So sind wir auf Deutungen angewiesen, die einerseits den Geist richtig erfassen, andererseits zur konkreten Praxis überleiten können.

      Klugheit ist keine Charaktereigenschaft, sondern ein Umstand, der teils in die Wiege gelegt wird, den man sich aber zum größeren Teil durch harte Arbeit erwerben muss. Klugheit an sich kann andere Menschen kaum beeindrucken, wirkt oft sogar sehr abstoßend. Bei Weizsäcker jedoch wirkte sie nie auf diese negative Weise. Menschliche Wärme, Verständnis, Toleranz und stete Lernbereitschaft, das waren seine herausragenden Charaktereigenschaften. Ein entscheidend wichtiges Element kommt noch hinzu – Weizsäckers tiefe Gläubigkeit. Diese legte er in freier Denkweise offen dar, intensiv und authentisch, vom Intellekt kontrolliert, doch ehrlich bewegt. Er hat seinen christlich-protestantisch geprägten Glauben mutig zum Ausdruck gebracht, sogar öffentlich. Als Freidenker war er sehr aufgeschlossen für alle Weltreligionen und ihre jeweiligen Blickwinkel auf die Wahrheit. Er meditierte täglich und zog daraus nicht nur Kraft, sondern auch geistige Erkenntnisse. Erst in dieser außergewöhnlichen Kombination entsteht der Mensch Carl Friedrich von Weizsäcker als Ganzheit. Dieses Zusammenwirken aus Wissen und Gefühl, die Paarung aus suchender Willenskraft und Gelassenheit, aus Hoffnung und gesundem Skeptizismus, macht ihn zum Vorbild für viele. Er kann mit Fug und Recht als Wegbereiter unseres modernen Zeitalters betrachtet werden, der die Wissenschaft in neuem Licht erscheinen lässt, aber auch vor ihren Gefahren ausgiebig warnt. Doch er versäumt nicht, die notwendige Besinnung auf menschliche Werte, auf eine universelle Ethik, als positives Gegengewicht in Erinnerung zu rufen.

      Wie kaum ein anderer dachte Carl Friedrich von Weizsäcker vorrangig global. Er war ein Weltbürger, dem die ganze Menschheit am Herzen lag, der aber im selben Maß jeden einzelnen Menschen als eigenständiges Individuum wahrnahm und respektierte. Was wirklich beeindruckend ist: Weizsäcker lebte diese Ethik mustergültig vor, als ungemein fleißiger Arbeiter in den endlosen Welten des Geistes. Sein Streben und Wirken reichte bis weit in die reale Politik hinein. Alle diese Aktivitäten übte er sehr bewusst, dezent und zurückhaltend aus, immer auf die Wahrheit und eine möglichst gute und seriöse Wirkung bedacht. Weizsäcker trug sein Wissen und sein geistiges Innenleben aktiv nach außen, in Reden und Vorträgen, im Briefwechsel mit namhaften Persönlichkeiten und vor allem in zahllosen Gesprächen, die er bereitwillig suchte. Diese Form der Aktivität ist nicht nur wissenschaftlich geprägt, sie ist vom philosophischen Willen nach einer wirklichen Erfahrung, speziell der Erfahrung des allgemein Menschlichen, beseelt. Carl Friedrich von Weizsäcker war und ist ein Vorbild, ein vorbildlicher Mensch mit charakterlicher Größe. Sein Werdegang ist einzigartig. Was man aber sehr wohl übernehmen oder jedenfalls stark auf sich wirken lassen kann, ist sein humanistisches Denken, getragen von nüchterner Vernunft und liebevoller Weitsicht. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, dieses wichtige, aber im alltäglichen Gang der Gesellschaft und Wirtschaft leider oft völlig missachtete Gebot, bekommt in der Person Weizsäckers eine neue und sehr reale Bedeutung.

      Es gibt nur sehr wenige Menschen der Neuzeit, die man mit Recht als weise bezeichnen kann. Bei Carl Friedrich von Weizsäcker darf es geschehen, ohne sich einer Übertreibung schuldig zu machen; denn das Element der Klugheit tritt deutlich zurück hinter einer wahrhaft philosophischen Lebenshaltung. Auf seine vornehme, zurückhaltende Art übte er sehr wohl auch Kulturkritik. Dies war aufgrund seiner klaren Analyse der Wirklichkeit unausweichlich. Jedoch blieb er überaus selbstkritisch und bescheiden, lebte eine absolut mustergültige Haltung vor. Was kann die Nachwelt von einem Universalgelehrten solchen Ranges lernen? Diese Studie will eine Antwort versuchen, versteht sich aber vorrangig als Schlüssel zu Weizsäckers gewaltigem geistigen Werk.

       – Lebenslauf und Familie

      Kindheit, Jugend

      und wissenschaftliche Karriere in Grundzügen

      Carl Friedrich von Weizsäcker wurde am 28. Juni 1912 in Kiel geboren und starb im Alter von 94 Jahren in Starnberg bei München, nur zwei Monate vor Vollendung des 95. Geburtstags.

      Kiel war nur eine Zwischenstation im beruflichen Werdegang des Vaters Ernst von Weizsäcker (bis 1918 Marineoffizier). Schon 1915 lebte die Familie wieder in Stuttgart, wo beide Elternteile ursprünglich herstammten. Dort wuchs auch der junge Carl Friedrich auf. Heimatgefühle verband er daher zeitlebens mit dieser Stadt und mit der Württembergischen Landschaft, trotz des Geburtsortes im hohen Norden Deutschlands.

      Stuttgart kann sogar als Zentrum und Stammsitz der weitverzweigten Weizsäcker-Familie gelten. Schließlich war der

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