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und die franziskanische Tradition mit den biblischen Grundlagen Ernst machen.

      Im Alten Testament fällt es zunächst einmal auf, dass die großen Führer des Volkes Israels wie Abraham, Noah und Mose von Gott angegangen worden sind, eine Leitungsrolle im Volk Israel zu übernehmen. Sie sind von Gott dazu berufen worden, der es ihnen nicht nur zutraut, sondern ihnen ebenso vermittelt, dass er mit ihnen ist und sich als Immanuel, als „Gott ist mit uns“, erweist. Eine Leitungsrolle kommt also vornehmlich dem zu, der von Gott dazu berufen worden ist. Leitung benötigt dabei besondere Fähigkeiten, auf welche die Berufung durch Gott aufbaut : organisieren, planen, delegieren, vermitteln und schlichten, kontrollieren und betreuen, rekrutieren und anwerben, trainieren und evaluieren.

      Besonders die Gestalt des Mose wird oft in heutiger Interpretation als eine Figur interpretiert, an der exemplarisch deutlich wird, was Leitung und Führung bedeuten und beinhalten : eine Risikobereitschaft, sich auf das Unmögliche einzulassen und mit Leidenschaft dieses Unterfangen anzugehen; mit Überzeugungskraft und einem klaren Profil den Weg voranzugehen und das Volk mitzunehmen; auf Gott zu vertrauen und ihm das Unmögliche zuzutrauen, ja mit ihm zu rechnen.

      Gleichzeitig gehört dazu ein Stehen „zwischen den Stühlen“: dem mürrischen und unverständigen Volk auf der einen und einem Gott, der fordert und führt, auf der anderen Seite; ebenso wie ein Spüren, sich geleitet zu wissen und mit einer Verheißung, einer Vision unterwegs zu sein und immer wieder dem Volk voranzugehen; mit Enttäuschungen und Unverständnis, mit Einsamkeit und Ablehnung zu rechnen und damit umgehen zu müssen. Schließlich auch selbst nicht mehr zu erleben, ob die Verheißung sich erfüllt, aber dem Volk den letzten Weg zu weisen. In diesen Punkten ist Mose in der Tat eine Gestalt, die heutigen Führer/-innen und Leiter/-innen, heutigen Manager/-innen und CEOs ebenso wie Ordensober/-innen und Leitungsgestalten in der Kirche ein Vorbild bzw. eine Gestalt der Reflexion sein kann.

      An der Gestalt des Mose wird ein Prinzip des Leitungshandelns deutlich, das sich auch später im Neuen Testament wiederfinden lässt: Leitung bedeutet, wenn sie gelingen und gut sein soll, in vielen Fällen eine partizipatorische Leitung: andere mit in die Entscheidungen hineinnehmen und ihnen Verantwortung übertragen, so wie Mose es mit seinem Bruder Aaron gemacht hat.

      Weitere Aspekte von Leitung und Führung im Alten Testament sind die Momente von Verlässlichkeit und Verantwortung (vgl. Lev 4,22).

      Die Leiter des Volkes Israel sind in all ihrer Verantwortlichkeit vor allem spirituelle Leiter ihres Volkes, die aufgrund ihrer besonderen Berufung durch Gott und ihres besonderen Verhältnisses zu Gott eine spezifische Rolle innehaben. Es geht dabei darum, das Volk auf den Weg zu Gott zu führen und gegebenenfalls zurückzuführen. Gott hat seinen Bund mit den Menschen und seinem Volk geschlossen. Gott weiß gleichzeitig um die Schwäche seines Bundespartners und beruft besondere Menschen dazu, seinem Volk immer wieder auf dem Weg zu ihm voranzugehen und anderen den Weg zu weisen. Das ist eine primär spirituelle Aufgabe, die zwar, um im modernen Jargon zu sprechen, Management- und „Leitungsskills“ benötigt, die aber vornehmlich eine spirituelle Kompetenz darstellt.

      Im Zentrum des neutestamentlichen Leitungsverständnisses steht die dienende Haltung dessen, der leitet. Orientierungsmaßstab für künftige Generationen ist das Verhalten Jesu, so vor allem ersichtlich in der Fußwaschung, die bildlich wie keine andere Handlung Jesu Aussage unterstreicht, dass er gekommen ist, um zu dienen und nicht um zu herrschen. Leitung und Führung sind im neutestamentlichen Sinne nicht von der diakonia zu trennen. Sie stehen unter der Prämisse der Diakonia, des Dienstes am Menschen und am Volk (vgl. Röm 12,8). Leitung bedeutet, dem Menschen zu dienen, die gegebene Macht also im Sinne des Menschen und zum Wohle des Menschen und der Gemeinschaft einzusetzen. Nicht umsonst wird Franziskus später in seiner Nicht-bullierten und Bullierten Regel von den Oberen als Minister, als Diener, sprechen: Es ist ein Dienst an der Gemeinschaft und am Menschen. Diakonia und Leitung finden ihren Höhepunkt im Neuen Testament in der Passion, im Tod und in der Auferstehung Jesu. Hier opfert sich Jesus für die Menschen, wird seinem Dienst und Auftrag in einzigartiger Weise gerecht und stirbt sein ‚pro nobis‘ am Kreuz, um in der Auferstehung den Bund Gottes mit seinem Volk zu erneuern und in einzigartiger Weise zu bestätigen. Letztlich geht es in allem Leitungshandeln aus neutestamentlicher Sicht um die Verwirklichung und die Transformation des Handelns Jesu in die Verantwortung gegenüber dem Einzelnen und einer Organisation (vgl. Mt 11,25–30). Leitung im evangeliumsgemäßen Sinne ist eine besondere Berufung Gottes in der konkreten Nachfolge und Jüngerschaft Jesu oder, um es mit den Worten des hl. Franziskus auszudrücken : Leitung ist ein Weg in der Nachfolge des armen und gekreuzigten Jesus Christus.

      Wie bereits in der Erzählung über Franziskus und sein Gespräch mit den Brüdern, wie sie Gott am besten dienen könnten, zu sehen war, geht es bei Leitung um Authentizität und Echtheit. Das wird im Neuen Testament ähnlich gesehen und unterstrichen : Leitung bedeutet ein modellhaftes Verhalten, ein Verhalten, an dem andere erkennen können, worum es geht und was wichtig ist. Die Leitungsperson steht somit mit ihrer Existenz und ihrem Wirken für etwas, für das Ganze, und gibt die Art und Weise vor, an der sich andere orientieren können, wenn es in einer Organisation um Veränderung und Innovation geht. Im Neuen Testament können dafür exemplarisch die Aussagen des ersten und zweiten Timotheusbriefes angeführt werden (vgl. 1 Tim 4,11; 2 Tim 3,10–15). Die Organisation, um die es hier in der Leitung geht, ist dabei der Leib Christi mit seinen vielen verschiedenen Charismen. Leitung drückt sich auch in einer Teilnahme am und Mitgliedschaft im Leib Christi und einer Arbeit für den Aufbau und Erhalt desselben, der Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche (vgl. Röm 12,4–5, vgl. 1 Kor 12), aus. Wenn dieser Leib Christi ernst genommen wird, dann ist Leitung im evangeliumsgemäßen Sinne zwangsläufig immer auch geteilte Macht, Partizipation und Teilnahme, ein Miteinander der verschiedenen Charismen unter der Leitung dessen, dem das Charisma der Leitung von Gott geschenkt worden ist (vgl. Phil 2,4).

      Diakonia, Macht und Leitung, das sind wichtige Stichworte für franziskanisches Leitungshandeln. Hier trifft sich die franziskanische Perspektive nicht nur mit der Bibel und insbesondere mit dem Evangelium, vielmehr auch mit modernen Leitungstheorien, allen voran der Theorie des Servant Leadership, über die an späterer Stelle noch einmal ausführlicher zu sprechen sein wird.

      Leitung und Führung in der Bibel stehen ebenso unter diesen Vorzeichen wie eine biblisch-christliche Existenz generell. So stellt sich allem voran die Frage nach der Umkehr und der Nachfolge. In Mk 1,15 steht die zentrale Aufforderung Jesu: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ Unter dieser Prämisse steht auch Leitung.

      Biblische Anforderungen an Leitung und Führung lassen sich unter anderem in folgenden Bibelstellen finden: 1 Tim 3,1–13; 2 Tim 2,1–13; Tit 1,5–9; Apg 6,1–6; Ex 18,21–22.

      Letztlich sind nach dem Verständnis der Bibel, und insbesondere des Neuen Testamentes, besondere Tugenden in der Leitung gefordert: Demut, persönliche Hingabe, das Aushalten und Aufsuchen von Einsamkeit, Schweigen, das zweckfreie Lesen der Schrift, Versöhnung und Barmherzigkeit, Dienen, asketische Übungen wie Fasten und Almosengeben sowie Anstrengung und Wahrheitsliebe (vgl. 2 Tim 2,1–6).

      Allem voran sollte ein Mensch mit Leitungsverantwortung ein Mensch der Bibel sein, der in der Bibel – um ein Bild aufzugreifen, das Thomas von Celano für Franziskus gebraucht – seine Wohnung gefunden haben sollte, so wie auch Franziskus in der Schrift beheimatet ist : ‚ipsum semper inhabitasse Scripturas‘ (vgl. 2 C 104, FQ 357). Sein Leben und sein Schreiben sind mit der Bibel sozusagen verwoben. Franziskus atmet den Geist der Schrift, will sie mit allem, was ihm zur Verfügung steht, in seinem Leben umsetzen und ihr Form geben. Sie ist ihm Quelle, Wohnung und Heimat. So wird er von seinen Zeitgenossen wie selbstverständlich mit der Schrift in Verbindung gebracht. Menschen, die sein Leben sehen, bezeichnen ihn als den biblischen Menschen, so der Biograph Thomas von Celano, für den Franziskus der lebendige Kommentar des Evangeliums ist. Aus dem wachsenden, reifenden Leben heraus denkt und handelt Franziskus nach dem Evangelium. Er wird als ein Mensch erlebt, der in der Schrift daheim gewesen ist und sie anderen zur Heimat werden lassen will. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments ergibt sich also zwingend, dass ein Beheimatet-Sein in der Schrift eine der Basishaltungen und Grundtugenden eines verantwortlichen Handelns und Leitens ist.

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