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zum eigentlichen Lager (etwa 5 Kilometer) werden die Selektierten unter Kolbenschlägen und Hundebissen zum Laufschritt getrieben. Der ganze Weg muss barfuß im Schnee und Schmutz zurückgelegt werden. Mit Faustschlägen auf den Kopf, in den Rücken und mit Fußtritten befehlen die SS-Männer zu laufen. Manche Menschen sind schon starr vor Schrecken und ihre Beine versagen ihren Dienst. Die, die umfallen, werden mit Kolbenschlägen niedergemacht oder erschossen. Und über allem das Heulen dieser verrückten Hunde.

      Hinter der Kolonne folgen die Sammellastwagen, auf denen die Toten aufgehäuft werden. Niedere Dienstgrade oder Freiwillige werfen sie hoch wie verbogene alte Eisenstangen.

      AUSSENLAGER KAUNEN

      Bei ihrer Ankunft wird die Kolonne ausgerichtet und es wird ihnen verboten, sich zu setzen oder zu sprechen oder Schnee zu essen. Einige, darunter Franz, klauen trotzdem etwas Schnee. Von Zeit zu Zeit fällt einer um. Vor dem Eintritt ins Lager Prüfung der Häftlinge. Jeder Gefangene wird aufgerufen und muss seinen Namen angeben. Wer wegen Kälte und Frost an den Lippen undeutlich oder für die Deutschen in einer unverständlichen Sprache antwortet, beispielsweise Französisch, erhält einen Schlag mit dem Gummiknüppel. Die jungen Mädchen und Frauen müssen sich nach vorn bücken und werden ausgepeitscht. Sie erhalten 30 Peitschenhiebe auf das nackte Gesäß. Mittlerweile sind hinzugekommen der Lagerführer, ein Arzt und die Oberaufseherin. Vor dem Eingangstor zum eigentlichen Lager sind junge SS-Leute aufgestellt, die auf die Ankömmlinge einschlagen, sei es mit der Faust, mit dem Gewehrkolben, oder mit den Füßen nach ihnen treten. Wie immer und über allem das Gebrüll der Befehle auf Deutsch. Da das Lager bereits überfüllt ist, gibt es ein kleines, von Stacheldraht umzäuntes Geviert im Freien, in das die Gefangenen geprügelt werden. Dort verharren sie ohne Nahrung bei 12 °C unter null nackt im Schneefall.

      KONZENTRATIONSLAGER KAUNEN

      In der Nacht müssen die Menschen in Reihen zu dritt und im Laufschritt marschieren, um die etwa 1.000 Meter zu den Baracken zurückzulegen. Wenn einer nicht im Gleichschritt läuft oder den Kopf wendet, bekommt er einen Schlag mit dem Gewehrkolben oder einen Fußtritt. Gleich bei der Ankunft in der Baracke werden Tätowierungen auf dem linken Unterarm angebracht, aber nicht mit Tinte, sondern den Menschen werden Ziffern mit einem glühenden Eisen eingebrannt. Komischerweise sieht Franz sogar Babys und überlebende Kinder, die tätowiert werden.

      In der Desinfektion werden alle Körperteile, Ohren, Gesäß etc. untersucht, ob auch nichts versteckt ist. Beine auseinander, bücken, Finger in den Anus, wenn da, Vorhaut zurück, Finger in die Vagina, alles ohne sich die Hände zu waschen, in Gegenwart der SS-Männer und ihrer Hunde, die auf die nackten Gefangenen springen, wenn sie sich zu nähern wagen. Nun beginnt ein vollständiges Rasieren aller Haare mit elektrischen Rasierapparaten oder der Schermaschine. Kein behaarter Teil des Körpers entgeht dem Rasiermesser. Franz nimmt wahr, dass nicht allen Frauen die Haare geschnitten werden.

      Eine dralle, kurzbeinige Oberaufseherin mit ekelhafter, heller, schneidender Stimme. „Immer mit der Ruhe! Nun beruhigt Euch schon. Tierische Webstoffe sind wärmer als pflanzliche. Also beruhigt Euch, nichts geht verloren! Die deutsche Industrie verwertet alles. Mit euren Haaren werden wir Decken, Kleidungsstücke usw. machen. Die, die nichts anzuziehen haben, bekommen gleich ein paar SS-Decken. Wie sie auch unsere Hunde tragen. Diese sind aus euren Haaren gemacht.

      Nicht drängeln, Ruhe und Ordnung!“

      Franz‘ ungläubiger Blick fällt auf ein paar Schäferhunde, die tatsächlich Decken mit der Aufschrift „SS“ tragen.

      Im zweiten Zimmer ist die Desinfektion untergebracht. Die Desinfektion sieht bei den Gefangenen ein Absprühen mit einer ekelerregenden Kotzhusten verursachenden weißen Melange vor, welche die Aufseher allerdings nur mit einem Atemgerät vornehmen.

      Drittes Zimmer: Bekleidungszimmer. In der sogenannten Bekleidungskammer werden den Gefangenen Lumpen ausgehändigt von Toten oder Ermordeten mit Flecken, Blut, Fäkalresten und Löchern übersät. Nur Hose, Jacke und Hemd sind erlaubt. Pullover und Mäntel sind verboten. Holzsandalen, die nur aus einer Sohle aus Buchenholz bestehen, mit einem einfachen Band über dem Fußspann.

      Wohnbaracke: Durch die Kälte wie gelähmt und selbstverständlich ohne Essen und Trinken müssen die Neuankömmlinge im Laufschritt in ihre Wohnbaracken eilen. Fünfzig Holzbaracken und zwanzig Zementbaracken für 16.000 Menschen eingerichtet, bilden das eigentliche Konzentrationslager. Franz kommt mit seinem Trupp in die Baracke. Der Stubendienstälteste, ein Berufsverbrecher, teilt die Ankömmlinge in die Schlafräume. Franz wird mit elf anderen in ein Gefach von 4 m Breite, 1,85 m Länge und 1,60 m Höhe eingepfercht. Etwa 900 Häftlinge liegen so. Das heißt, sie haben nicht genug Platz, um auf dem Rücken zu schlafen, der Kopf jedes Häftlings ruht auf den Füßen seines Vordermannes. Wenn sie sich umdrehen wollen, müssen sich ihre Nachbarn ebenfalls umdrehen. Nach einer Weile gibt Franz es auf, Schlaf zu suchen, er inspiziert lieber seine Decke. Es wimmelt nur so von Ungeziefer.

      Er will raus zum Abort. Frauen schlafen in den Aborten und sogar im Freien. Franz verrichtet sein Geschäft. Beim Herausgehen sieht er auf einem Thermometer: - 32 °C. Er schließt die Tür hinter sich.

      Wecken um halb vier morgens mit infernalisch lautem Trillerpfeifenlärm. Wer nicht schnell genug aus dem Bett kommt, wird mit kaltem Wasser begossen. Franz wird schlaftrunken in der Masse der Gefangenen mitgezogen und reiht sich ein. Kapos, Blockführer und der Lagerälteste lassen antreten und durchzählen. Als die Gefangenen fertig sind, müssen sie auf ein Zeichen des Lagerältesten beim letzten Mann wieder anfangen, und die Zählung geht von hinten wieder aufs Neue los. Es ist kalt an diesem tristen Morgen. So geht das weiter bis halb sechs. 16.000 Menschen in Reih und Glied unbeweglich und zu Eis erstarrt. Viele Kameraden fallen beim Morgenappell um. Niemand darf sie aufheben, das ist verboten. Dann kommen allmählich die ersten SS-Männer. Natürlich schwankenden Schrittes. Teilweise mit Hunden an der Kette.

      Einer fragt den Blockältesten: „Wie viel Abfall?“

      Blockältester: „Zehn Mann.“

      „So wenig? Durchzählen!“

      Blockältester: „Haben wir schon gemacht.“

      SS-Mann: „Durchzählen, Mann. Bist du taub?“

      Blockältester: „Jawohl, Untersturmführer. Durchzählen!“

      Alle, die bewusstlos umgefallen sind und nicht antworten beim Appell, werden von den Kapos auf die Totenliste gesetzt und mit Stockschlägen umgebracht. Unterdes geht das Zählen weiter.

      Plötzlich geht ein Raunen durch die Reihen.

      SS-Mann-Unterscharführer: „Schnauze! Ihr Dreck!“

      Über die lange, schnurgerade Chaussee vom SS-Block her kommen der Lagerführer, der SS-Chefarzt und der Lagerkommandant.

      Einer tuschelt zu Franz: „Ich warn‘ dich, der ist verrückt. Vor dem musst du dich in Acht nehmen.“

      Hinter dem Chef, dem Kommandanten, dessen ausgesucht gepflegte Erscheinung in seiner hochdekorierten SS-Uniform an die Unwirklichkeit eines Operetten-Offiziers inmitten des Schmutzes und des Drecks erinnert, gehen zwei SS-Männer mit Wolfshunden, deren Augen durch zu viel Fleischfütterung blutunterlaufen sind. Theatralisch hält er vor einem kleinen Podest, Fackelträger entzünden links und rechts von ihm bengalische Feuer. Er steigt auf das Podest. Auf ein Zeichen von ihm beginnt eine KZ-Trio-Besetzung Beethoven zu spielen und er redet ins Mikrofon:

      „Sie haben das Recht auf Leben verwirkt. Aufgrund von Rasse, Nationalität, Religion oder Politik. Wir schulen Sie hier in unserer Gemeinschaft, ein besserer Mensch zu sein. Um einen deutschen Ausdruck zu gebrauchen, wir organisieren Euch neu. Die linke und die rechte Hand des Führers, die des Künstlers und die des Baumeisters, werden in uns ihre Werkzeuge finden. Ich gebe den Gefangenen bekannt: Eine Lagerordnung ist nirgendwo angeschlagen oder wird den Gefangenen auf andere Art und Weise bekannt gegeben, denn eine Lagerordnung existiert nicht. Nichts wird verboten, weil alles verboten ist. Etwas, das an einem Tag erlaubt ist, ist am nächsten Tag verboten und bedeutet Korrektur durch

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