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       Lew Tolstoi (1828–1910)

      Lew Tolstoi

      Keiner ist besser als der andere

      Worte eines menschheitlichen Menschen

      Herausgegeben von Anna Schloss

      »Die Hauptsache ist, daß du stets dessen eingedenk seist, wer du bist.«

       Lew Tolstoi, Tagebücher

      Inhalt

       »Die Menschen sind wie Flüsse«

       Philosophisches und Psychologisches zum menschlichen Wesen

       »Ein Merkmal der Entartung unserer Welt«

       »Die Hauptquelle ist die Liebe«

       Das Wesen der Liebe, Leidenschaften und Ehe

       »Der Despotismus der Regierung«

       »Weil die Weisheit der Gewalt nicht bedarf«

       Gegen Krieg, Gewalt und das Militärwesen

       »Die Kunst kann man nicht vernichten«

       Kunst, Literatur, Musik, Wissenschaft und Kultur

       »Der Glauben sind es viele, der Geist aber ist nur einer«

       Religion, Kirche und Gott

       »Die Erziehung ist die Einwirkung auf die Herzen«

       Erziehung und Kindheit

       »Anschauungen vom Sinne des Lebens«

       »Jeder kommt auf seinem Weg zur Wahrheit«

       Nachwort

       Literaturverzeichnis

      »Nur langweilige Naturen sind frei von Widersprüchen.«

       Erich Mühsam, Tolstois Vermächtnis

      »Er ging über die Straßen und Wege mit dem geschäftsmäßigen, schnellen Schritt des geschulten Erforschers der Erde, und mit scharfen Augen, vor denen nicht ein Kieselstein und nicht ein Gedanke sich verstecken konnte, schaute er, maß er, prüfte er, verglich er. Und um sich streute er die lebendigen Samen unbezwinglicher Gedanken.«

       Maxim Gorki, Erinnerungen an Lew Nikolajewitsch Tolstoi

      »Tolstoj will nichts anderes, als das wahre, ungeheuchelte Empfinden dem ererbten Fühlen und Denken gegenüberstellen. Wahrheit! Wahrheit um jeden Preis! Und koste sie das Leben, das des Einzelnen, der Menschheit!«

       Raphael Löwenfeld, Leo N. Tolstoj

      »Die Menschen sind wie Flüsse«

      Philosophisches und Psychologisches zum menschlichen Wesen

      Es gibt gar keine schlechten Menschen; alle Menschen sind eines Vaters Kinder, alle Menschen sind Brüder und untereinander gleich – keiner ist besser als der andere.

       (Briefe)

      Es ist einer der gewöhnlichsten und verbreitetsten Aberglauben, daß jeder Mensch nur eine ihm zugehörige, bestimmte Eigenschaft habe, daß ein Mensch gut, böse, klug, dumm, energisch, apathisch u. s. w. sei. Die Menschen pflegen nicht so zu sein. Wir können von einem Menschen sagen, daß er öfter gut als böse, öfter klug als dumm, öfter energisch als apathisch und umgekehrt sei, aber es ist nicht wahr, wenn wir von einem Menschen sagen, daß er gut oder klug, und von einem andern, daß er schlecht oder dumm sei. Wir aber teilen die Menschen immer so ein. Und das ist nicht richtig. Die Menschen sind wie Flüsse: das Wasser ist überall gleich, überall dasselbe, aber jeder Fluß ist bald schmal, bald rasch, bald breit, bald still, bald rein, bald kalt, bald trübe, bald warm. Ebenso auch die Menschen. Jeder Mensch trägt in sich die Keime aller menschlichen Eigenschaften, und manchmal offenbart er die einen, manchmal die andern, und ist oft sich selber ganz und gar nicht ähnlich, während er doch immer dasselbe Selbst bleibt.

       (Auferstehung)

      Brüderlichkeit ist den Menschen eigentümlich und natürlich. Unbrüderlichkeit, Entzweiung wird künstlich anerzogen.

       (Tagebücher)

      Der Mensch denkt das, was sein Herz begehrt.

       (Tagebücher)

      Der Mensch ist doch ein geistiges und tierisches Wesen. Man kann den Menschen in Bewegung setzen, indem man auf sein geistiges Wesen Einfluß übt, und kann ihn in Bewegung setzen, indem man auf sein tierisches Wesen Einfluß übt, so wie man eine Uhr am Zeiger und am Hauptrade in Bewegung setzen kann. Und wie es für die Uhr besser ist, ihre Bewegung durch den inneren Mechanismus zu leiten, so ist es auch angemessener, den Menschen – sich selbst oder andere – durch das Bewußtsein zu leiten.

       (Warum die Menschen sich betäuben)

      Jeder Mensch, besonders ein Christ, will ein Werkzeug sein, das geistig, nicht physisch wirkt.

       (Briefe)

      Der Mensch ist nie ein solcher Egoist, wie in Augenblicken seelischer Hochstimmung.

       (Die Kosaken)

      Der Mensch ist ein von allen anderen abgesondertes Wesen, das seine Grenzen fühlt.

       (Tagebücher)

      Der Mensch ist ein Wesen außerhalb der Zeit und des Raumes, er sieht sich aber in Bedingungen von Zeit und Raum gestellt.

       (Tagebücher)

      Damit sich ein Wesen als existierend erkenne, ist es nicht nötig, daß es begrenzt sei. Wenn die Wesen nicht begrenzt wären, existierten sie auch nicht. Wir sagen: der Mensch ist ein bewußtes Wesen, weil es begrenzt ist, aber man könnte ebenso gut sagen: der Mensch ist begrenzt, weil er ein bewußtes Wesen ist.

       (Tagebücher)

      Für die Menschen sind im Leben nicht Taten das Bestimmende, sondern Worte. Es kommt ihnen nicht sowohl auf die Möglichkeit an, etwas zu tun oder nicht zu tun, als vielmehr auf die Möglichkeit, mit Bezug auf allerlei Gegenstände

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