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Schutz. Kein Geringerer als der oberste Gott Zeus persönlich ist jene Instanz, die diesen Schutz gewährleistet. In dieser Eigenschaft wird er von den Griechen Zeus Xenios genannt. Wer einen Fremden nicht freundlich aufnimmt, achtet den Gott nicht und begeht einen religiösen Frevel. Nicht umsonst wählt Homer für diese Szene einen Sauhirten und einen (verkleideten) Bettler. Die Pflicht zur gastlichen Aufnahme gilt auch gegenüber Menschen, die in der sozialen Skala nicht ganz oben rangieren. Und der Sauhirt Eumaios gehört zwar nicht zu den Repräsentanten der Oberschicht, hält sich aber selbstverständlich an die Regeln der Gastfreundschaft. Sie sind allgemein verbindlich.

      Dass es auch ganz anders laufen kann, zeigt eine dritte Episode aus der Odyssee. Odysseus landet an einer Küste, die von den riesenhaften, grobschlächtigen Zyklopen bewohnt wird. Einer von diesen einäugigen, unzivilisierten Gestalten ist Polyphem, ein Sohn des Gottes Poseidon. Odysseus kommt mit seinen Begleitern in die Höhle des Zyklopen, und dieser verstößt nun eklatant gegen alle Regeln des göttlich garantierten Gastrechts. Der Riese weiß nicht, was sich gehört, er ist unfreundlich und sorgt nicht für seine Gäste. Als er grob fragt, mit wem er es eigentlich zu tun hat, erteilt ihm der erboste Odysseus eine verbale Lektion in Sachen Gastfreundschaft gegenüber Fremden (9,269–271): »Habe Respekt vor den Göttern! Wir Armen flehen dich um Hilfe an. Ist doch Zeus der Rächer für Schutzflehende und Fremde – Zeus Xenios, der die Fremden, die man achten muss, begleitet.«

      Den Riesen beeindrucken diese Worte nicht. Im Gegenteil: Er verschließt die Höhle mit einem Felsen und frisst, bevor er sich zur Ruhe legt, zwei der Gefährten des Odysseus. Spätestens jetzt ist diesem klar, dass der Zyklop kein primärer Verfechter der hehren Prinzipien der Gastfreundschaft ist. Dank seines nie versiegenden Listenreichtums gelingt es ihm, sich und seine Gefährten aus der Gefahr zu befreien. Der einäugige Zyklop wird geblendet und bleibt in ohnmächtiger Wut zurück. Die Lehre, die von der Polyphem-Geschichte ausgehen soll: So ergeht es dem Ungeheuer (und wer so handelt, kann eigentlich nur ein Ungeheuer sein), weil es das heilige Gesetz der Gastfreundschaft verletzt.

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      Die Blendung des Polyphem durch Odysseus und seine Gefährten, schwarzfigurige Malerei auf einer Schale aus Kyrene, 6. Jh. v. Chr.

      Ein anderes Gesetz gibt es in dieser frühen Phase der griechischen Geschichte noch nicht. Es gibt keine Rechtssätze, die den Umgang mit Fremden regeln. So muss der Gott Zeus einspringen, in dessen Obhut sich die Fremden begeben und dabei hoffen, dass die Menschen, denen sie in der Fremde begegnen, sich diesem göttlichen Gesetz ebenfalls verpflichtet fühlen.

       2. Fremde willkommen? Griechen unterwegs

      Homers Odysseus repräsentiert mit seinen fiktiven (Irr-)Fahrten über das Meer die historischen Fahrten, die 200 Jahre lang, zwischen 750 und 550 v. Chr., Griechen aus dem Mutterland zu fremden Gestaden führten. Man hat sich angewöhnt, diese massenhafte Migration als »Große Griechische Kolonisation« zu bezeichnen. Dieser Begriff ist insofern missverständlich, als die Wanderungsbewegungen der Griechen nichts mit Kolonialismus im modernen Sinn zu tun hatten. Die Griechen kamen nicht, um zu erobern und zu unterwerfen, sondern um eine neue Heimat zu finden.

      Die Gründe, aus denen so viele Griechen die gewohnte Umgebung verließen und die Beschwernisse einer Reise, die häufig ins Ungewisse führte, auf sich nahmen, waren vielfältig. Eine Zunahme der Geburten und damit verbundene Ernährungsengpässe sowie Landnot mögen in einzelnen Fällen eine Rolle gespielt haben, waren als Motive zur Auswanderung jedoch nicht so gravierend, wie man früher angenommen hat. Wichtiger waren wirtschaftliche und handelspolitische Gründe. Die Migranten erhofften sich in der Fremde eine Verbesserung ihrer Lebenssituation und spekulierten auch auf die reichen Märkte im Mittelmeerraum und im Schwarzmeergebiet. Unter ihnen befanden sich auch reine Abenteurer, die, auf welche Weise auch immer, ihr Glück in der Fremde suchten.

      Schließlich verließen viele ihre Heimat wegen politischer und sozialer Unruhen. Griechenland bestand damals aus vielen, Poleis genannten Stadtstaaten. Die Polis war die zentrale politische Organisationseinheit – ein Personalverband mit einem urbanen Zentrum und einem agrarischen Umland, politisch autonom und frei. Konflikte innerhalb des regierenden Adels oder zwischen Armen und Reichen führten zu Destabilisierung der Verhältnisse. Die Sieger blieben, die Verlierer gingen. Sie schlossen sich wie diejenigen, die wirtschaftliche Motive hatten, einer der vielen Auswanderergruppen an, die sich in dieser Zeit auf den Weg machten. Um einen zuvor bestimmten, aus der Adelsschicht stammenden Anführer scharten sich meist junge Männer, 100 bis 200 an der Zahl, die gemeinsam ein oder mehrere Schiffe charterten und in See stachen.

      Die Reise gestaltete sich nicht als eine reine Fahrt ins Blaue. Die Kapitäne wussten, wohin sie wollten. Dafür sorgte die zentrale Auskunftsinstanz in Delphi, wo eine Pythia genannte Priesterin als orakelndes Sprachrohr des Gottes Apollon den Migranten Hinweise auf geeignete Zielorte gab. Wie üblich, geschah dies in einer eher nebulösen, zweideutigen Formulierung, die im Falle eines Scheiterns des Unternehmens dem Orakel die Möglichkeit zu der Versicherung gab, die Pythia sei falsch verstanden worden.

      Das göttliche Votum war nicht nur deswegen wichtig, weil sich die Auswanderer den Segen für ihre Unternehmungen verschaffen wollten. Es war zugleich ein Argument in den Zielgebieten. Denn die Plätze, die die Neuankömmlinge für ihre neue Heimat aussuchten, waren nicht immer frei. Dort, wo es gute Häfen, fruchtbare Böden und eine ausreichende Wasserversorgung gab, waren sie häufig schon besetzt. Die Einheimischen waren daher nicht nur begeistert über den Zuzug von Fremden, sondern sahen in ihnen auch Konkurrenten. Um Widerstände zu beseitigen, konnte der Verweis auf göttlichen Ratschluss hilfreich sein. Und dazu verfügte man über die Waffe des Mythos. Mit ihm konnten die Griechen alles erklären. Eine Allzweckwaffe war der umtriebige Heros Herakles, der viel unterwegs gewesen war und von dem die Griechen behaupteten, er habe das Land, um das es ging, schon früher einmal in seinen Besitz genommen, und daher gehöre es ohnehin den Griechen.

      Nicht immer ließen sich die Indigenen von solchen Argumenten überzeugen. So kam es im Rahmen der griechischen Kolonisation häufig zu Auseinandersetzungen, die in der Mehrzahl damit endeten, dass die Zuwanderer die Einheimischen unterwarfen, versklavten oder vertrieben. Das war zum Beispiel auf Sizilien der Fall, das zu den bevorzugten Siedlungsgebieten der Griechen gehörte. Bei der Gründung der Stadt Syrakus an der Ostküste der Insel wurden die ansässigen Sikuler besiegt und hatten als Heloten Frondienste für die neuen Herren zu leisten. Ähnlich verhielt es sich auf der Insel Pithekoussai, dem heutigen Ischia. Besonders perfide war der Umgang der fremden Kolonisten mit den ihnen fremden Bewohnern in Süditalien. Sie kamen aus der griechischen Landschaft Lokris und nahmen ein Territorium ins Visier, das sich im Eigentum der Sikuler befand. Hier weiß der gewöhnlich gut unterrichtete griechische Historiker Polybios (12,6) Erstaunliches zu berichten – journalistisch korrekt in indirekter Rede, weil er die Information aus zweiter Hand erhalten hat:

      »Damals, als sie bei ihrer Ankunft in Italien die Sikuler im Besitz des Landes fanden, das sie jetzt selbst bewohnen, wären jene so in Schrecken geraten, dass sie sie in ihrer Angst aufnahmen. Sie hätten nun mit den Sikulern ein Übereinkommen geschlossen, mit ihnen Freundschaft zu halten und gemeinsam mit ihnen das Land zu bewohnen, solange ihr Fuß die Erde beträte und sie den Kopf auf den Schultern trügen. Bei der Ableistung des Eides aber hätten die Lokrer auf die Sohlen ihrer Schuhe Erde gelegt und unter dem Gewand auf ihrer Schulter Knoblauchköpfe versteckt und so den Eid geleistet. Dann hätten sie die Erde aus den Schuhen entfernt, die Knoblauchköpfe weggeworfen und nicht lange danach, als sich die Gelegenheit bot, die Sikuler aus dem Land vertrieben.«

      Geschickter stellten es die Bewohner von Libyen an. Kolonisten aus Thera (Santorin) suchten nach einem geeigneten Platz, wo sie sich niederlassen konnten. Nach einigen Schwierigkeiten gründeten sie die Stadt Kyrene. Im Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte dieser Stadt berichten antike Quellen davon, dass die Fremden für ihre Stadt zunächst einen anderen Platz gewählt hatten. Diesen Ort bewohnten sie, wie es bei dem griechischen Historiker Herodot (4,158) heißt, sechs Jahre:

      »Im siebten Jahr aber boten Libyer ihnen an, sie an eine bessere Stelle zu führen, und gewannen sie

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