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Deutsch, die in italienisch-deutschen Familien von fünf Kindern einer ersten Klasse seit Lebensbeginn mit ihnen gebraucht wurde (= Input) sowie ihre produktiven Wortschatzkompetenzen (Nomen) im Deutschen und im Italienischen.

      a)

      b)

      Abb. 0.2:

      InputInput der Eltern und Nomenproduktion bei fünf italienisch-deutschen Kindern.

      a) Anteil des Italienischen und des Deutschen von Geburt bis zur 1. Klasse seitens der Mutter und des Vaters. Dieser Anteil wurde kumulativ aus Angaben aus einem Elternfragebogen errechnet. In b) ist die Summe der produzierten Nomen im Italienischen (dunkelgrau) und im Deutschen (hellgrau) in einem Wortschatztest (CLT, Rinker & Gagarina 2014, siehe Kap. 9.3) abgetragen. Maximal zu erreichende Rohwerte: 32. (Ausschnitt eigener Daten, T.R.)

      Wie sich die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder entwickeln, hängt maßgeblich von der Quantität und Qualität des Inputs ab. Der sozioökonomische Hintergrundsozioökonomische Hintergrund der Familien ist diesbezüglich ein gewichtiger Einflussfaktor. Gut ausgebildete (und verdienende) Eltern, vor allem Mütter, beeinflussen den Erhalt von Herkunftssprachen günstig (Lauro, Core & Hoff 2020). Zudem haben bereits viele Studien aus ein- und mehrsprachigen Familien belegt, dass in Familien mit einem höheren sozioökonomischen Hintergrund mehr mit Kindern gesprochen wird und die Gespräche kognitiv anspruchsvoller sind. Dadurch erreichen diese Kinder in der Regel bessere sprachliche Kompetenzen (Hart & Risley 1995; Hoff & Place 2012).

      Die Möglichkeiten des Sprachkontakts hängen oftmals auch vom PrestigePrestige der Sprachen der Sprachen innerhalb einer Sprechergemeinschaft ab. Welche Sprache wird beispielsweise an Schulen als Fremdsprache erworben (hohes Prestige), welche Sprache ist wirtschaftlich gesehen von größerer Bedeutung? In Deutschland hat das Englische einen sehr hohen Stellenwert (meistgewählte Fremdsprache, höchste Anzahl bilingualer Einrichtungen5), wobei die Anzahl der HerkunftssprecherInnen des Englischen sehr gering ist6.

      Eine weitere wichtige Rolle in der Entwicklung mehrerer Sprachen spielt die BildungsumgebungBildungsumgebung (siehe Abb. 0.3). Werden bestimmte Sprachen unterdrückt und sind an der Schule oder Kita unerwünscht, ist es für Kinder schwieriger, diese zu erhalten und weiter auszubauen. Gibt es herkunftssprachliche Angebote? Wie wird das Deutsche gefördert? Welche Sprachen sprechen die anderen Kinder? Auch die Einstellungen der Lehrkräfte zur Mehrsprachigkeit sowie ihre methodisch-didaktischen Kompetenzen im Umgang mit mehreren Sprachen sind relevant für die mehrsprachige Entwicklung.

      Hinzu kommen beim Erwerb mehrerer Sprachen zahlreiche in den Kindern liegende Faktoren wie nicht verbale kognitive Fähigkeiten oder phonologische Verarbeitungsfähigkeiten (Lauro et al. 2020). Kinder mit guten Fähigkeiten in diesen Bereichen haben eine größere Chance, mehrsprachig zu werden und zu bleiben. Gute phonologische Fähigkeiten, wie die Fähigkeit, sich eine kurze Sequenz von Silben zu merken oder Laute zu unterscheiden (siehe Díaz et al. 2016), sind Teil des sogenannten SprachtalentSprachtalents oder der Sprachbegabung (Ameringer et al. 2018). Ebenso sind Persönlichkeitsmerkmale wie die Motivation, eine Sprache zu erwerben oder zu erhalten oder auch eigene Einstellungen gegenüber Sprachen und ihren Sprechern gegenüber, einflussreich.

      Abb. 0.3:

      EinflussfaktorenEinflussfaktoren auf den Erwerb mehrerer Sprachen nach Kersten (2020: 83)

      Da diese Grafik sich insbesondere auf den schulischen Erwerb von Fremdsprachen bezieht, fehlen Angaben wie Sprachkontaktdauer oder ErwerbsalterErwerbsalter. Dennoch bildet diese Grafik die Komplexität der Einflussfaktoren und der Zusammenhänge gut ab.

      Wie hier deutlich geworden sein sollte, ist jedes mehrsprachige Aufwachsen individuell und der einzelne Lernende und der Komplex der EinflussfaktorenEinflussfaktoren auf den Erwerb der unterschiedlichen Sprachen einzigartig.

      In den Neurowissenschaften hat sich daher auch die Betrachtungsweise der neuronalen Grundlagen des Erwerbs mehrerer Sprachen deutlich verändert. In der vielfach zitierten Studie von Kim et al. (1997) wurden, noch unter Annahme eines stark wirkenden Altersfaktors, unterschiedliche AktivierungsmusterAktivierungsmuster bei erwachsenen Probanden, die zwei Sprachen von Geburt an erworben hatten und Probanden, die eine weitere Sprache erst mit rund 11 Jahren erworben hatten, beobachtet. Die Sprachkompetenzen wurden allerdings nicht berichtet. Hingegen konnten Perani et al. (1998) Effekte der SprachkompetenzSprachkompetenz und nicht des Erwerbsalters nachweisen: Während bei niedriger Sprachkompetenz in der L2 andere Areale als in der L1 aktiviert werden, sind es bei hoher Sprachkompetenz identische Aktivierungsmuster für beide Sprachen.

      In einer neueren Studie, rund 20 Jahre später, zeigen De Luca, Rothman, Bialystok und Pliatsikas (2019) differenzierte Effekte der sog. „language experience factors“ (L2-Alter, Dauer des L2-Sprachkontakts, L2-Gebrauch in sozialen Settings, L2-Gebrauch zu Hause) auf der neuronalen Ebene. Sowohl die Dauer als auch der Sprachgebrauch zeigen Veränderungen auf der strukturellen aber auch auf der funktionellen Ebene des Gehirns und belegen, wie sich das Gehirn optimal auf seine Umwelt einstellt. Vielversprechend sind auch Ansätze, die z. B. die individuelle Inputsituation bei der Analyse neuronaler Gruppendaten berücksichtigen (z. B. die individuelle Anzahl von Stunden im Kontakt mit einer Sprache und die Ausprägung einer neuronalen Reaktion auf einen Lautkontrast; García-Sierra et al. 2011, 2016).

      Dieses einleitende Kapitel sollte zunächst einmal sensibilisieren für die Komplexität und Vielschichtigkeit des Spracherwerbs im Kontext von Mehrsprachigkeit. Die nachfolgenden Aufgaben regen an, die eigene Mehrsprachigkeit zu reflektieren und gängige Einstellungen gegenüber der Mehrsprachigkeit kritisch zu hinterfragen.

      Aufgaben

       1.* Nennen Sie drei zentrale EinflussfaktorenEinflussfaktoren, die den Erwerb mehrerer Sprachen beeinflussen.

       2.** Beschreiben Sie möglichst detailreich Ihre eigene Mehrsprachigkeit und gehen Sie auch darauf ein, wie sich diese über die Jahre verändert hat. Verwenden Sie in Ihrer Darstellung auch visualisierende Elemente (z. B. Sprachenfigur oder einen Zeitstrahl).

       3.** Warum ist es hilfreich, sich als (angehende) Lehrkraft mit der eigenen Mehrsprachigkeit auseinanderzusetzen?

       4.*** Bislang haben wir uns nur auf die sog. „äußere MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, äußere“ konzentriert – auf das Beherrschen mehrerer Einzelsprachen (u.a. des Deutschen.). Das Deutsche (wie jede andere Sprache auch) stellt allerdings ein Gesamtsprachsystem dar, das aus verschiedenen Varietäten besteht und zusammengehalten wird durch die Standardvarietät. Lesen Sie in Girnth (2007) nach, welche Dimensionen von Varietäten zu unterscheiden sind und ergänzen Sie Ihre Mehrsprachigkeitsdarstellung von Aufgabe 2 um Ihre sog. „innere MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, innere“, d.h. um innerdeutsche Varietäten, die Sie (mehr oder weniger) beherrschen.

       5.*** Es kursieren eine Reihe von Mythen rund um Mehrsprachigkeit und so manches Vorurteil hat sich in vielen Köpfen festgesetzt. Lesen Sie von den sieben Mythen, die Rosemarie Tracy im Jahr 2006 auf einem Kongress zur frühen Mehrsprachigkeit dar- und widerlegte (https://www.sagmalwas-bw.de/uploads/tx_news/BWS_FrueheMehrsprachigkeit_2011.pdf, abgerufen am 06.03.2021). Welche der beschriebenen Mythen und Vorurteile begegnen Ihnen noch immer im Alltag und welche Möglichkeiten sehen Sie, diesen entgegenzutreten?

Teil I Deutsch aus der Lernendenperspektive: Schwierigkeiten verstehen und überwinden helfen

      Einleitung

      Wohl kaum etwas erscheint uns so selbstverständlich und natürlich wie die eigene(n) Erstsprache(n), in die wir mühelos hineingewachsen sind – ohne über Regelhaftigkeiten, Ausnahmen

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