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und eine Entschuldigung verlangt, schüttelt sie traurig den Kopf. »Ich wollte dir nur helfen«, sagt sie. »Und ich finde, du solltest dich entschuldigen für diesen Tonfall.«

      Mitchell ist verwirrt. Ihm gefällt seine neue Kleidung – aber vielleicht sieht er wirklich lächerlich aus. Und war er tatsächlich grob zu seiner Mutter?

      Katie, Liz und Mitchell haben eins gemeinsam. Sie alle leiden unter dem Gaslight-Effekt. Zu diesem Effekt kommt es zwischen zwei Menschen: einem Gaslighter, also »Gasanzünder«, der einwandfrei funktionieren muss, um den Sinn für sein eigenes Selbst zu bewahren und sich weiter seiner Macht über andere zu versichern. Und dem Gaslightee, also »Angezündeten«, der dem Gaslighter erlaubt, Einfluss auf seine Wirklichkeitswahrnehmung zu nehmen, weil er ihn verklärt und seine Zustimmung sucht. Diese zwei können beiden Geschlechtern angehören, und Gaslighting kann in jeder Art Beziehung vorkommen. Aber ich werde den Gaslighter mit »er« bezeichnen und den Gaslightee mit »sie«, weil ich diese Konstellation am häufigsten in meinem Berufsleben antreffe. Wir werden eine ganze Reihe von Beziehungen näher betrachten – zu Freunden, Familie und Kollegen. Aber im Zentrum wird doch die Beziehung zwischen Mann und Frau stehen.

      So besteht Katies Freund zum Beispiel darauf, dass es auf der Welt gefährlich zugeht und dass Katies Verhalten unangemessen und taktlos ist. Wenn er gestresst ist oder sich bedroht fühlt, dann muss er in diesen Punkten recht haben, und er muss Katie dazu bringen, ihm zuzustimmen. Katie legt Wert auf ihre Beziehung und will Brian nicht verlieren. Also fängt sie an, die Dinge von seinem Standpunkt aus zu betrachten. Vielleicht lachen die Leute ja wirklich über sie. Vielleicht flirtet sie wirklich zu gern. So fängt es an mit dem Gaslighting.

      Auch Liz’ Chef beharrt darauf, dass er ihr wirklich zugetan ist. Bedenken habe sie nur, weil sie paranoid ist. Liz möchte, dass ihr Chef eine gute Meinung von ihr hat. Schließlich geht es um ihre Karriere. Also zweifelt sie allmählich an ihrer eigenen Wahrnehmung und versucht, sich seine zu eigen zu machen. Aber die Ansichten ihres Chefs ergeben für Liz keinen Sinn. Wenn er wirklich nicht versucht, sie zu sabotieren, warum verpasst sie dann all die Meetings? Warum rufen ihre Kunden sie dann nicht mehr zurück? Warum ist sie dann so verwirrt und besorgt? Liz ist so treuherzig, dass sie sich einfach niemanden vorstellen kann, der so offenkundig manipuliert, wie ihr Chef es anscheinend tut. Es muss also an ihr liegen, denn was sonst könnte eine solch fürchterliche Behandlung rechtfertigen? Sie wünscht sich verzweifelt, ihr Chef möge recht haben. Eigentlich aber weiß sie, dass es nicht so ist. Liz ist völlig verunsichert darüber, was sie sieht und zu wissen meint. Bei ihr ist das Gaslighting in vollem Gang.

      Mitchells Mutter beharrt auf dem Recht, ihrem Sohn alles sagen zu dürfen, was sie will. Und wenn er widerspricht, ist das unhöflich. Mitchell möchte in seiner Mutter gern einen guten, liebevollen Menschen sehen und nicht jemanden, der gemeine Sachen zu ihm sagt. Wenn sie ihn verletzt, dann gibt er sich die Schuld daran, nicht ihr. Mutter und Sohn sind sich einig: Die Mutter hat recht, Mitchell hat unrecht. Zusammen arbeiten sie so am Gaslight-Effekt.

      Natürlich hätten Katie, Liz und Mitchell andere Möglichkeiten. Katie könnte die negativen Kommentare ihres Freundes einfach überhören oder ihn bitten, sie zu unterlassen. Als letzte Möglichkeit könnte sie auch mit ihm Schluss machen. Liz könnte sich sagen: »O Mann, der neue Chef ist ein hartes Stück Arbeit. Mit seinem Geschleime hat er vielleicht alle anderen hier hinters Licht geführt – aber nicht mich!« Mitchell könnte seelenruhig verlangen, »Sorry, Mom, aber du schuldest mir eine Entschuldigung.« Alle drei könnten beschließen, dass sie im Grunde bereit wären, mit dem Missfallen der Gaslighter zu leben. Selbst wissen sie schließlich, dass sie gute, tüchtige und liebenswerte Menschen sind, und das ist ja wohl entscheidend.

      Wären unsere drei Betroffenen in der Lage, diese Haltung einzunehmen, dann gäbe es kein Gaslighting. Die Gaslighter würden vielleicht immer noch schlecht handeln, doch ihr Verhalten hätte nicht länger solch schädliche Auswirkungen. Gaslighting funktioniert nur, wenn man glaubt, was der Gaslighter sagt, und wenn man will, dass er gut von einem denkt.

      Aber Gaslighting ist heimtückisch. Es spielt mit unseren schlimmsten Ängsten, unseren furchtsamsten Gedanken, unserem sehnlichen Wunsch danach, verstanden, geschätzt und geliebt zu werden. Wenn jemand, den wir respektieren oder lieben, sehr sicher in seinen Aussagen ist – insbesondere wenn ein Körnchen Wahrheit in seinen Worten steckt oder wenn er einen wunden Punkt bei uns trifft, dann kann es sehr schwer sein, ihm nicht zu glauben. Und wenn wir den Gaslighter auch noch verklären – wenn wir in ihm die Liebe unseres Lebens, einen bewundernswerten Chef oder ein wunderbares Elternteil sehen wollen –, dann fällt es noch schwerer, am eigenen Sinn für die Wirklichkeit festzuhalten. Der Gaslighter muss einfach recht haben, und wir wollen seine Anerkennung erlangen. Und so geht das Gaslighting immer weiter.

      Es kann durchaus sein, dass keiner von beiden sich bewusst ist, was da abläuft. Der Gaslighter mag aufrichtig jedes Wort glauben, das er an sein Opfer richtet, oder ernsthaft überzeugt sein, es vor sich selbst zu schützen. Vergessen Sie nicht, dass er von seinen eigenen Bedürfnissen angetrieben wird. Der Gaslighter mag wie ein starker, mächtiger Mann erscheinen, oder er wirkt wie ein unsicherer kleiner Junge, der einen Trotzanfall kriegt. Auf jeden Fall fühlt er sich schwach und machtlos. Um sich stark und sicher zu fühlen, muss er beweisen, dass er recht hat. Er muss sein Gegenüber dazu bringen, ihm zuzustimmen.

      Das Opfer dagegen hat ihn längst verklärt und sehnt sich nach seiner Anerkennung, obwohl ihm das vielleicht gar nicht bewusst ist. Aber wenn auch nur ein kleiner Zweifel daran besteht, für sich genommen nicht gut genug zu sein – wenn nur ein klitzekleiner Teil des Opfers den Eindruck hat, es brauche die Liebe und die Anerkennung des Gaslighters, um glücklich zu sein, dann ist es empfänglich für das Gaslighting. Und ein Gaslighter wird diese Verletzlichkeit ausnützen, damit man an sich zweifelt, immer und immer wieder.

      SIND SIE OPFER VON GASLIGHTING?

      Schalten Sie Ihr Frühwarnsystem ein. Achten Sie auf diese 20 verräterischen Anzeichen. Um von Gaslighting sprechen zu können, müssen nicht all diese Erfahrungen oder Gefühle zutreffen. Aber wenn Sie sich in einem der Punkte wiederfinden, schauen Sie genauer hin.

       1. Sie kritisieren sich ständig im Nachhinein selbst.

       2. Sie fragen sich ein Dutzend Mal am Tag: »Bin ich zu empfindlich?«

       3. Bei der Arbeit sind Sie oft konfus oder überdreht.

       4. Sie entschuldigen sich ständig bei anderen, ob Mutter, Vater, Freund oder Chef.

       5. Sie fragen sich oft, ob Sie als Partnerin, Ehefrau, Mitarbeiterin, Freundin oder Tochter »gut genug« sind.

       6. Sie können nicht verstehen, warum Sie nicht glücklicher sind, obwohl Ihr Leben doch eigentlich gut läuft.

       7. Sie kaufen sich Kleidung, Möbel oder andere Dinge für den persönlichen Gebrauch, denken dabei ständig an Ihren Partner und fragen sich, was ihm wohl gefallen würde, statt zu fragen, was Sie selbst toll finden.

       8. Sie entschuldigen das Verhalten Ihres Partners ständig gegenüber Freunden und Familie.

       9. Sie halten Neuigkeiten vor Freunden und Familie zurück, damit Sie nichts erklären oder sich entschuldigen müssen.

      10. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht, das wissen Sie. Aber Sie können es nicht benennen, auch nicht vor sich selbst.

      11. Lieber lügen Sie, als Sticheleien und verdrehte Wirklichkeit zu ertragen.

      12. Es fällt Ihnen schwer, einfache Entscheidungen zu treffen.

      13. Sie denken zweimal nach, bevor Sie bestimmte, scheinbar harmlose Gesprächsthemen anschneiden.

      14. Bevor Ihr Partner nach Hause kommt, checken Sie in Gedanken eine Liste, ob Sie an diesem Tag etwas falsch gemacht haben.

      15. Sie haben das Gefühl, früher ein anderer Mensch gewesen zu sein – zuversichtlicher, lebenslustiger, entspannter.

      16. Sie sprechen lieber mit der Sekretärin als mit Ihrem Mann, damit Sie ihm nicht Sachen sagen müssen, die ihn aufregen

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