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gut wir unsere eigenen frühen Erlebnisse verarbeitet haben. Indem wir unser Leben verstehen, verstehen und integrieren wir unsere eigenen Kindheitserfahrungen, positive wie negative, und akzeptieren sie als Teil unserer fortlaufenden Lebensgeschichte. Wir können nicht ändern, was uns als Kind widerfahren ist, wohl aber unsere Sichtweise dieser Erlebnisse.

      Um anders über unser Leben denken zu können, müssen wir uns unsere heutigen Erfahrungen mitsamt all unseren Gefühlen und Wahrnehmungen bewusst machen, und wir müssen verstehen, wie sich Ereignisse aus unserer Vergangenheit auf unsere Gegenwart auswirken. Wenn wir wissen, wie sich unsere Erinnerungen formen und wie wir zu unserem Bild von uns selbst als Teil der Welt, in der wir leben, gelangen, können wir besser verstehen, welchen Einfluss unsere Vergangenheit noch immer auf unser Leben ausübt. Wie hilft das unseren Kindern? Wenn wir uns aus den Fesseln unserer Vergangenheit lösen, können wir genau die spontanen und verbindenden Beziehungen zu unseren Kindern aufbauen, die sie benötigen, um zu gedeihen. Je besser wir unsere eigenen emotionalen Erfahrungen verstehen, desto besser können wir uns auf unsere Kinder einstellen und ihr Selbstverständnis und ihre gesunde Entwicklung unterstützen.

      Ohne Aufarbeitung wiederholt sich die Geschichte häufig, und Eltern laufen Gefahr, ungute Verhaltensmuster aus ihrer eigenen Vergangenheit an ihre Kinder weiterzugeben. Wenn wir unser eigenes Leben verstehen, kann uns das aus der sonst sehr wahrscheinlich entstehenden Situation befreien, dass wir unseren Kindern das Gleiche antun, was uns in unserer Vergangenheit widerfahren ist. Studien haben deutlich gezeigt, dass die Bindung unserer Kinder an uns von all dem beeinflusst wird, was uns in unserer Jugend geschah, wenn wir diese Erfahrungen nicht aufarbeiten. Indem wir unser eigenes Leben verstehen, verstehen wir auch uns selbst besser und gelangen zu einem stimmigen Bild von unseren Gefühlen, von unserer Sichtweise und von unserem Austausch mit unseren Kindern.

      Natürlich wird die Persönlichkeitsentwicklung jedes Kindes durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, unter anderem durch Veranlagung, Temperament, körperliche Gesundheit und Erfahrung. Eltern-Kind-Beziehungen sind eine wichtige Quelle früher Erfahrungen, die einen direkten Einfluss darauf haben, wie sich die gerade entstehende Persönlichkeit eines Kindes formt. Emotionale Intelligenz, Selbstwertgefühl und kognitive und soziale Fähigkeiten basieren auf dieser frühen Bindungsbeziehung. Wie Eltern über ihr eigenes Leben nachgedacht haben, wirkt sich unmittelbar auf die Art dieser Beziehung aus.

      Selbst wenn wir gelernt haben, uns selbst gut zu verstehen, werden unsere Kinder doch ihren eigenen Weg durchs Leben gehen. Auch wenn wir ihnen durch unsere Selbsterkenntnis eine sichere Grundlage bieten mögen, so können wir in unserer Rolle als Eltern die Entwicklung unserer Kinder lediglich unterstützen, ein Ergebnis garantieren können wir nicht. Untersuchungen liefern jedoch Anhaltspunkte dafür, dass Kinder mit einer positiven Beziehung flexibler mit den Herausforderungen des Daseins umgehen können. Um eine positive Beziehung zu unseren Kindern aufzubauen, müssen wir für unser eigenes Wachstum und für unsere Entwicklung offen sein.

      Durch Reflexion können wir zu einem stimmigeren Bild unserer eigenen Lebensgeschichte gelangen und unsere Beziehung zu unseren Kindern verbessern. Es gibt keine „perfekte“ Kindheit, und manche von uns mussten mehr Herausforderungen begegnen als andere. Doch selbst Menschen mit einer überaus schwierigen Vergangenheit können diese aufarbeiten und eine sinnvolle und bereichernde Beziehung zu ihren Kindern erlangen. Das spannende Ergebnis einiger Untersuchungen zeigt, dass auch Eltern, die selbst keine „guten“ Eltern oder sogar eine traumatische Kindheit hatten, ihr Leben aufarbeiten und gesunde Beziehungen eingehen können. Für unsere Kinder ist nicht so wichtig, was uns in unserer Vergangenheit widerfahren ist, sondern vielmehr, wie wir damit umgehen. Und wir haben ein Leben lang die Gelegenheit, uns zu verändern und zu entwickeln.

      Über dieses Buch

      Dieses Buch ist keine Gebrauchsanleitung für Erziehung, sondern ein Wegweiser zu uns selbst. Wir werden neue Erkenntnisse über das Leben mit Kindern auskundschaften, indem wir untersuchen, wie wir uns erinnern, wie wir wahrnehmen, fühlen, kommunizieren, uns binden, Bedeutung erfahren, uns trennen und wieder verbinden, und mit unseren Kindern über die Natur ihrer inneren Erfahrungen nachdenken. Wir werden die neuere Forschung hinsichtlich Eltern-Kind-Beziehungen erkunden und dabei neue Erkenntnisse über die Hirnforschung einbeziehen. Indem wir wissenschaftliche Erkenntnisse über unser Erleben und unsere Bindungen untersuchen, erhalten wir eine neue Perspektive, die uns helfen kann, uns selbst, unsere Kinder und unsere Beziehungen zueinander besser zu verstehen.

      Die „Übungen von innen heraus“ am Ende jedes Kapitels können dazu verwendet werden, neue Möglichkeiten für unser inneres Selbstverständnis und unseren Austausch mit anderen zu erforschen. Die Überlegungen, zu welchen diese Übungen Anlass geben, haben vielen Eltern geholfen, aktuelle und vergangene Erlebnisse besser zu verstehen, und sie befähigt, ihr Verhältnis zu ihren Kindern zu verbessern.

      Wenn Sie Ihre Er fahrungen aus diesen Übungen niederschreiben, kann Sie das zu einem intensiveren Nachdenken und zu einem besseren Selbstverständnis führen. Das Schreiben kann Ihnen dabei helfen, den Kopf von den Verstrickungen der Vergangenheit frei zu bekommen. Tragen Sie in Ihr Tagebuch ein, was immer Sie möchten: Zeichnungen, Überlegungen, Beschreibungen, Geschichten … Manche mögen überhaupt nichts aufschreiben, sondern reflektieren lieber in Ruhe für sich oder sprechen mit einem Freund oder einer Freundin. Andere schreiben gern jeden Tag in ein Tagebuch oder immer dann, wenn ein Erlebnis oder ein Gefühl sie dazu bewegt. Tun Sie das, wonach Ihnen ist. Der Wert der Übungen erschließt sich durch eine offene Einstellung und sorgfältiges Nachdenken.

      Die Abschnitte „Im Licht der Wissenschaft“ am Ende jedes Kapitels bieten dem interessierten Leser zusätzliche Informationen über Forschungsergebnisse zum Leben mit Kindern. Diese Abschnitte sind nicht essentiell notwendig, um dieses Buch zu verstehen und damit arbeiten zu können. Sie enthalten weiterführende, leicht verständlich aufbereitete Informationen, die einen tieferen Einblick in die wissenschaftlichen Grundlagen dieses Buches geben, und wir hoffen, dass Sie diese als nützlich und zum Nachdenken anregend empfinden. Jeder dieser Abschnitte bezieht sich zwar auf das jeweils aktuelle Kapitel, sie sind jedoch vom Haupttext unabhängig und können auch jeder für sich gelesen werden. Alle wissenschaftlichen Abschnitte zusammen verschaffen eine interdisziplinäre Sicht auf jene Aspekte der Forschung, die für das Leben mit Kindern wichtig sind.

      Unter Wissenschaftlern gibt es die Redewendung, dass „der Zufall den vorbereiteten Geist begünstigt“. Kenntnisse über Entwicklungsforschung und menschliches Erleben können Sie darauf vorbereiten, ein tieferes Verständnis von Ihrem eigenen und dem emotionalen Leben Ihrer Kinder zu entwickeln. Ganz gleich, ob Sie die wissenschaftlichen Abschnitte direkt nach jedem Kapitel lesen oder sich lieber erst nach Abschluss des gesamten zentralen Textes näher damit befassen – wir hoffen, dass Sie einfach Ihren eigenen bevorzugten Lernstil berücksichtigen.

      Über Erziehung

      Dieses Buch wird Sie ermutigen, sich dem Thema Erziehung auf der Basis von Grundprinzipien inneren Verstehens und zwischenmenschlicher Beziehungen anzunähern. Die Eckpunkte für diesen Ansatz einer Eltern-Kind-Beziehung sind Achtsamkeit, lebenslanges Lernen, flexibles Verhalten, Einsicht in die Funktionsweise unseres Geistes und freudvolles Leben.

      Achtsam sein

      Achtsamkeit ist das Herzstück jeder bereichernden Beziehung. Wenn wir achtsam sind, leben wir im Hier und Jetzt, sind uns unserer eigenen Gedanken und Gefühle bewusst und gleichzeitig offen für diejenigen unserer Kinder. Wenn wir in uns selbst klar und aufmerksam sein können, sind wir fähig, unsere Aufmerksamkeit anderen zu widmen und die individuellen Erfahrungen jedes Einzelnen zu respektieren. Zwei Personen sehen die gleichen Dinge niemals genau gleich. Achtsamkeit respektiert die Einzigartigkeit eines jeden Menschen uns sein Recht auf Selbstbestimmung.

      Wenn wir als Eltern völlig präsent sind, wenn wir achtsam sind, dann befähigt dies unsere Kinder, sich selbst in diesem Moment ganz zu erleben. Kinder lernen durch die Art und Weise, wie wir mit ihnen kommunizieren, etwas über sich selbst. Wenn wir mit der Vergangenheit beschäftigt sind oder uns Sorgen um die Zukunft machen, dann sind wir zwar physisch bei ihnen, aber geistig abwesend. Kinder benötigen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit nicht rund um die Uhr, wohl aber bei Interaktionen, die unsere Bindung zu ihnen betreffen. Als Eltern achtsam zu sein heißt absichtsvoll handeln.

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