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im Beisein einer Frau ›ohn versehens‹ ein Wind entwich, beschimpfte die andere sie wüst und hob einen Stein auf, um die Unglückliche damit zu bewerfen.«47

      Gewiss, in den Manierenbüchern und sogenannten Tischzuchten aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die literaturhistorisch unter dem Begriff »Grobianismus« abgehandelt werden, wird nicht zuletzt das Furzen so dargestellt, als wäre es eine hemmungslos ausgeübte, mithin beklagenswerte Alltagsrealität. Allerdings ging es den Verfassern am Ende des Mittelalters – einer Zeit, zu der ein Verfall der Sitten befürchtet wurde – nicht um die Schilderung tatsächlichen Verhaltens, sondern vor allem um die nach Kräften satirisch überzogene Darstellung von verpöntem Fehlverhalten. Die grobianischen Schriften leben gleichsam davon, dass sie etwas als normal ausgeben, was im Alltagsleben als unanständig und für die Subjekte höchst peinlich empfunden wurde. Ein bezeichnendes Beispiel aus dem von Kaspar Scheidt (um 1520 – 1565) aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragenen Grobianus von Friedrich Dedekind will ich nicht schuldig bleiben. In dem 1549 erschienenen Text möchte der Held nach einer Mahlzeit nicht nur nach Herzenslust furzen, er verteidigt es sogar, weil ein Unterdrücken gesundheitsschädlich sei (was es ja auch ist). Ein Auszug:

      Da schlaff dann sanfft, und lig fein still,

      Biß man das nachtmal nehmen will.

      Im Schlaff laß fürtz in lufft hin stieben,

      So wirt dichs gantze hausgsind lieben.

      Wolt aber jemandt dich drum straffen,

      Daß du mächst solch rumor im schlaffen,

      Sprich, es ist nicht in meinem gwalt,

      Daß ich die fürtz in henden halt,

      Laß farn was nit hat lust zu pleiben,

      Ich müß den unflat von mir treiben.

      Und laß jm dann ein par darzu,

      Daß er die naß verhalten thu. […]

      Spricht, lantzmann wo hastu gelert,

      Daß fartzen auff die gaß gehört?

      Ey lieber (sprich) ist’s gefroren drauß?

      Besser ein furtz dann ein aug auß,

      Solt ich von eines fürtzleins wegen,

      Kranck werden, ist mir nicht gelegen.

      Besser ist dieser dampff hinweg,

      Dann daß ich lang beim Doctor leg. […]

      Will lieber grob sein und gesund,

      Dann kranck und höflich alle stund.48

      Dass ausgangs des Mittelalters die »groben unhöflichen Sitten« eines Grobian lediglich so etwas wie ein wenig frommer Wunsch waren, verdeutlichen viele offizielle Dokumente. So bedrohte 1530 etwa die Berner Schützenordnung jedem »schyeß-gesell«, der »furtzte«, mit der Abstrafung.49 Wie schlau die Bauern an der Schwelle der Neuzeit sein konnten, verrät Martin Montanus (ca. 1537 – 1566) in seinem »Büchlein« Wegkürtzer von 1557, laut Titelblatt »sehr lustig zu lesen«. Darin findet sich der längere Schwank: »Ein Baur läßt (mit Gunst zu melden) ein Furtz und spricht zum Teuffel, er soll ein Knopff daran machen.« Ich mache es kurz – das schafft natürlich selbst ein böser Teufel nicht …50

      Der Flatus, der gern zum unpassenden Moment entweicht und in anderer Leute Nasen steigt, ist in vielen Anekdoten verewigt worden. In deutschen Landen stand zum Beispiel Friedrich der Große (1712 – 1786) im Mittelpunkt einer wahrlich donnernden. Sie lautet so: Bei einer Besichtigung fragt der Alte Fritz den einen Rekruten: »Was war Er von Beruf?« – »Schnellläufer, Majestät!« – »Nun, so hole Er mir den zurück!« und Friedrich ließ einen streichen. Sofort setzte sich der Soldat zu des Königs großem Erstaunen in Bewegung, kam nach einigen Minuten wieder zurück, stellte sich vor dem König stramm, ließ einen donnern und meldete: »Ausreißer zurückgeholt, Majestät!«51

      Was Wunder, dass der herrlich »lachende Philosoph« Karl Julius Weber (1767 – 1832) um 1800 im Demokritos unkt: »In unsern Zeiten, wo das hypochonderhysterische Temperament Mode ist, und das ruhige ewige Sitzen zu Verstopfungen führt, trotz aller Einweihungen von unten und oben, ist der Deus Crepitus ein wahrer Hausdrache. Die Gedärme und Muskeln sind dadurch so schwach geworden, daß sie keine Blähung mehr zurückhalten, oft auch nicht mehr die Feuchtigkeiten aus Nasen und Blasen; viele können sich nicht einmal mehr neigen, ohne einen Ton von sich zu geben, wenn sie nicht mit einem kleinen Zäpfchen das Instrument vernageln, das allein pfeift. Eine ehrwürdige Dame ging nie in Gesellschaft ohne diesen Stöpsel; einst versah sich das Kammermädchen, nahm statt dessen das elfenbeinerne Pfeifchen, womit ihr die Dame zu pfeifen pflegte, und nun denke man sich den Jammer, als dies mitten in der Gesellschaft zu pfeifen anfing.«52

      Wie weitsichtig Weber – im »Kapitel Pfui« – den gesellschaftlichen Begleitumständen der Flatulenz zu Leibe rückt, zeigen seine Überlegungen zum Brummen der Winde: »Es gibt ganze, halbe und Vierteloctaven, wie bei der Leier Amphions, förmliche Ronladen, Läufe und Octaven, und die Feuerwerkerkunst mag auch daher ihre Kunstausdrücke genommen haben. Es läßt sich unstreitig eine Art Musik dabei denken, deren Vervollkommnung vielleicht den Musikern künftiger Zeiten vorbehalten ist. Die Verschiedenheit des Tons hängt von eines Jeden Organ, oder besser Caliber ab, so gut als die gröbere oder feinere Stimme der beiden Geschlechter von einem größeren und kleineren, weitern oder engern Luftröhrenknopf. […] Ein geschickter Musiker hat bereits beobachtet, daß sich zweiundsechzig verschiedene Töne herausbringen lassen.«53

      Die von Karl Julius Weber erwähnten 62 Furztöne soll übrigens der Humanist, Arzt und Universalgelehrte Jerome Cardan (1501 – 1576) festgestellt haben – genauer: vier Grundtöne nebst 58 Variationen. Weber starb am 20. Juli 1832 in Kupferzell, wo er auch begraben liegt. Gut zwanzig Jahre später trat im Ratssaal von Pozega (im heutigen Kroatien) ein Mann öffentlich auf, der in der Kunst des musischen Furzens eine außerordentliche Fertigkeit erlangt und sogar die chrowotische Hymne aus seinem Allerwertesten ertönen lassen konnte. Der bis heute wohl unübertroffene Meister dieses Metiers hieß mit bürgerlichem Namen Joseph Pujol (1857 – 1945). Die Karriere des in Marseille aufgewachsenen Künstlers, der sich Le Pétomane nannte, begann in den 1880er Jahren, nachdem er intensiv trainiert hatte, mit den ihm leicht fallenden Blähungen Kerzen auszublasen und schließlich durch Modulation des Schließmuskels die Tonhöhe zu verändern. Als er sich auf die rektale Vertonung von Violinstücken, Gewittern und Kanonenschläge spezialisierte, rieten ihm Freunde 1887 zu öffentlichen Auftritten. Sie wurden ein voller Erfolg in vielen Städten Europas.

      Internationalem Ruhm gewann der schnauzbärtige Le Pétomane, nachdem er 1892 vom legendären Pariser Moulin-Rouge engagiert worden war. Fortan gab der mit Frack und weißen Handschuhen ausstaffierte Künstler einen schier unglaublichen Anschauungsunterricht im Tabubruch des Furzens. Wenn Pujol sich feierlich verneigte, um dann französische Kinderlieder, die Marseillaise, den Radetzkymarsch, imitierte Tierstimmen und donnernde Kanonenschüsse aus seinem Hinterteil ertönen zu lassen, tobte das Publikum vor Begeisterung. Le Pétomane konnte das nur recht sein – seine Gagen waren schließlich deutlich höher als die der zu seiner Zeit berühmten Schauspieler.

      Im September 1914 gab Le Pétomane seine Abschiedsaufführung. Als er 1945 im Alter von 88 Jahren starb, bot die medizinische Fakultät des Collège de Sorbonne den Hinterbliebenen 25 000 Francs, um die Leiche obduzieren zu können. Die Familie lehnte ab.54 Die Rektalphysiologie des einst weltberühmten Flatus-Künstlers blieb der Wissenschaft verschlossen. In der Folgezeit geriet die Kunst der Pétomanie ziemlich aus dem Fokus; in Deutschland meldete sie sich vernehmlich im August 1987 zurück, als in Hamburg der vom Aktionskünstler André Heller initiierte Vergnügungspark Luna Luna seine avantgardistischen Pforten öffnete. Dort lockte der »Palast der Winde«, in dessen Zuschauerraum bei den Vorstellungen der Radetzky-Marsch ertönte. Eine Zeitzeugin schildert, was bei ihrem Besuch im Palast geboten wurde:

      »In der von Manfred Deix gestalteten Jahrmarktsbude betraten zwei Männer im Frack die Bühne und kündigten ihre Nummer an. Als sie sich umdrehten um hinter den Paravent zu gehen, sahen wir, dass der gesamte Bereich ihrer Gesäße

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