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wenn es da nicht noch die viel beschworene Geschäftswelt gäbe und mit ihr den Business-Knigge. Merke: »Zunächst gehört es zum guten Ton, die Toilette auch als solche zu bezeichnen. Der Begriff ›Klo‹ zeugt in der Geschäftswelt nicht gerade von Stil. Auch Ankündigungen wie ›Ich geh aufs stille Örtchen‹ oder ›Ich muss mal für kleine Mädchen/​Jungen‹ sind außer unter sehr vertrauten Kollegen fehl am Platz. Das Handy lassen Sie bitte vor der Tür oder machen es aus. Es ist sehr unhöflich, andere Toilettenbesucher durch einen Anruf zu stören.«20

      All das, was heute mit dem Begriff Knigge verbunden wird, hat mit dem profilierten Republikaner Adolph Freiherr Knigge (1752 – 1796) und seinem aufklärerischen Werk Ueber den Umgang mit Menschen von 1788 nichts zu tun. Knigge hatte kein Benimmbuch, sondern einen kritischen Leitfaden zur Lebensphilosophie vorgelegt.21 Obwohl der ob seines Eintretens für die Ideale der Französischen Revolution von konservativen Kreisen gehasste Freiherr posthum durch Umschriften seines Hauptwerks nachgerade seiner Ideale beraubt wurde, scheut sein 1968 geborener Nachfahre Moritz Freiherr Knigge nicht davor zurück, sich auf genau den »Benimm-Knigge« zu beziehen, den es leibhaftig nie gab. Er nutzt den inzwischen wohlklingenden Namen für seine Beratungstätigkeit in Umgangsfragen. Und wie lauten die zentralen Benimmregeln von Moritz Freiherr Knigge (allerdings nur für Herren)?

      »Es gibt eine einfache Faustregel am Urinal: Pinkeln und Mund halten. Dies ist weder der Ort, um geschäftliche Gespräche weiterzuführen, noch gar Intimes zu besprechen. […] Steht der Vorgesetzte direkt neben einem, verbieten sich sowohl verstohlene Blicke in seine Richtung als auch der Einsatz karrierefördernder Selbstmarketingstrategien! Spülungen sind dazu da, um sie zu betätigen, Klobürsten, um sie zu benutzen, Fenster, um zu lüften, und Wasserhähne, um sie aufzudrehen und sich die Hände zu waschen. Wer meint, auf Letzteres verzichten zu können, dem sei ein Satz Adolph Freiherr Knigges ans Herz gelegt, der gerade auf dem Herrenklo seine zeitlose und allgemeine Gültigkeit beanspruchen darf: ›Tue nichts im Verborgenen, dessen Du Dich schämen müsstest, wenn es ein Fremder sähe.‹«22

      Körperliche Ausscheidungsprozesse sind eine alltägliche Herausforderung für sich. Selbst im Falle des »kleinen« Geschäfts. Die menschliche Blase hat ein Volumen von gut einem halben Liter. Wenn ihre Füllung ein Volumen von 200 bis 300 Millilitern überschreitet, erhält das Gehirn die Information: Harndrang. Wird der Drang häufig unterdrückt, meldet sich die Blase seltener. Zudem können wir die Füllmenge der Blase ausdehnen, indem wir viel trinken. Nun gibt es – unabhängig vom Geschlecht – Menschen, die den Harndrang weniger unterdrücken als andere, und eben häufiger eine Toilette aufsuchen. Rein statistisch betrachtet scheinen Frauen ihrem Harndrang häufiger nachzugeben als Männer – sie suchen durchschnittlich fünf- bis siebenmal täglich die Toilette auf, während Männer es bei drei bis vier Gängen belassen. Wie dem auch sei, sicherlich empfinde nicht nur ich ein schnell erreichbares und gepflegtes WC als einen Segen, vor allem außerhalb der eigenen vier Wände. Die Heldin Annabel in Ildikó von Kürthys Roman Freizeichen nicht minder. Sie reist eines Tages spontan zu ihrer exzentrischen Tante nach Mallorca, die aber nicht wie vereinbart zu Hause ist. Da Annabel dringend auf Toilette muss, beschließt sie, in nächster Nähe eine Erleichterungsmöglichkeit zu suchen:

      »Ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht, aber wenn ich auf die Toilette muss, dann muss ich immer ganz plötzlich und dringend auf die Toilette. Vor langen Autofahrten zum Beispiel trinke ich immer tagelang nichts. Vergeblich. Schon bei der ersten Raststätte muss ich raus. Immer. Ben sagt, ich hätte eine Altherrenblase, und meine Freundin Mona schlug vor, ich solle beim nächsten Mal Windeln tragen oder mir einen Katheter legen lassen. […] Aber es ist tatsächlich so: Eigentlich befinde ich mich die meiste Zeit meines Lebens auf der Suche nach einem Klo.

      Für mich also eine absolut vertraute Situation: Annabel Leonhard eilt mit zusammengepressten Schenkeln durch irgendeine völlig toilettenfreie Zone dieser Welt. […] Glücklicherweise habe ich durch jahrzehntelange Praxis ein seismografisches Gespür für Toiletten entwickelt oder für Gegenstände, die man als Toilette benutzen kann. Ich […] denke, der Satz, den ich in meinem Leben am häufigsten gesagt habe, ist: ›Dürfte ich wohl mal Ihre Toilette benutzen?‹ […] Unter Blasendruck verliert man viele seiner ansonsten hartnäckigen Hemmungen. Ich habe schon in Spelunken gepinkelt, die ich bei klarer geistiger Verfassung nur mit Schutzanzug und Atemmaske betreten hätte.«23

      Um unserer vornehmsten Eigenschaft als Stoffwechsler zu genügen, müssen wir ausreichend essen und trinken. Um die unser Überleben sichernden Körperfunktionen gut zu versorgen, sind Fette, Kohlenhydrate, Mineralstoffe, Proteine, Vitamine und Wasser essenziell. Der Körper benötigt sie für das Wachstum, für die Zellteilung und die Blutgerinnung, zur Deckung des Energiebedarfs des Herzens, der Bewegungsabläufe und anderem mehr. Stoffwechselprodukte, die der Körper nicht verwerten kann, müssen wieder ausgeschieden werden. Während die Haut Wasser, Salze und Gifte herausschwitzt und die Lunge beim Ausatmen Kohlendioxid ausstößt, entsorgt der Darm die Abfallstoffe der Verdauung und befreit das Harnsystem den Körper vor allem von Stickstoff. Ohne die zuverlässig entgiftende Arbeit der Nieren, die pro Minute einen Liter Blut filtern (und ein Prozent davon in Urin verwandeln), kommt kein Mensch über die Runden. Der Urin sammelt sich in der Harnblase an, deren Wand dadurch mehr und mehr unter Spannung gerät. Ist die einen guten halben Liter Urin fassende Blase voll, entsteht Harndrang.

      Der Mund fungiert als Tor und »Eingangshalle zu einer Welt, in der Fremdes zu Eigenem wird«, statuiert Julia Enders in ihrem Bestseller Darm mit Charme.24 (Mit »Charme« lassen sich Tabus übrigens auch gut entsorgen.) Nach der bereits in der Mundhöhle einsetzenden Verdauung wird die aufgenommene Nahrung dann mittels Säuren und Enzymen im Magen aufbereitet. Im bis zu fünf Meter langen Dünndarm erfolgt die Aufspaltung der Nähr- und Abfallstoffe, wobei die löslichen Nährstoffe durch dessen Zotten wieder in die Blutbahn und zur Leber gelangen. Der Dünndarm wird bei seiner Kärrnerarbeit von der Bauchspeicheldrüse unterstützt. Sämtliche unverdaulichen Stoffe gelangen in den anderthalb Meter langen Dickdarm, wo Bakterien sie zersetzen. Der verbleibende Rest des eingedickten Breis wird sukzessive weitergeschoben und steht dann zur Ausscheidung durch den After parat. Das kann freilich dauern. Bis die aufgenommene Kost ihre Verwertung und Verwandlung im Körper hinter sich hat, vergeht mindestens ein Tag.

      Wie viele andere Körperfunktionen auch unterliegt der Verdauungsvorgang individuellen Schwankungen. Verstopfungen liegen aus medizinischer Sicht vor, wenn die Darmentleerung nicht dreimal wöchentlich erfolgt oder nur durch schmerzhaftes Pressen möglich wird. Hinzu kommen Störungen wie Stuhlinkontinenz und andere mehr. Die Häufigkeit des Stuhlgangs ist bei jedem Menschen individuell speziell – sie variiert bei gesunden Erwachsenen zwischen dreimal täglich bis dreimal wöchentlich. Auch die Konsistenz des Kots kennt keine feste Regel – sie schwankt zwischen hart und weich je nach individueller körperlicher und seelischer Verfassung und natürlich auch der jeweils präferierten Nahrung.

      Die sich mehrmals täglich füllende Blase signalisiert durch den Harndrang, dass sie entleert werden muss. Erweist er sich als besonders stark oder unbeherrschbar, gilt das als Symptom für eine Störung. Der Harndrang kommt nicht von ungefähr. In der Blasenwand registrieren reizaufnehmende Zellen bzw. Rezeptoren stets die anliegende Spannung und melden sie an die zuständigen Kontrollstellen im zentralen Nervensystem. Muskelgeflechte rund um den Blasenausgang und an der hinteren Harnröhre sowie die Beckenbodenmuskulatur halten die Blase unter Verschluss. Gesunde Menschen können ihre Urinabgabe bewusst steuern, indem sie diese Muskeln erschlaffen lassen, wobei sich gleichzeitig der Blaseninnendruck durch die Anspannung der harnaustreibenden Muskeln erhöht. Und schon kommt es zur Miktion, der Blasenentleerung. Sie ist bekanntlich umso häufiger notwendig, als die Trinkmenge gesteigert wird. Und wenn das nicht klappt? In Günter de Bruyns 1984 publizierten Roman Neue Herrlichkeit erfährt Viktor telefonisch, dass es seinem Vater nicht gut geht:

      »Das ist erschreckend und erheiternd zugleich. Den kraftstrotzenden Mann, dem Schwäche bisher defätistisch und Krankheit moralisch anrüchig erschien, kann man sich als Patienten nicht vorstellen. Jetzt fühlt sich der Löwe als Wurm; der Halbgott, der Ärzte sowenig gebraucht hat wie Priester, merkt, daß auch er sterblich ist. So gewaltig wie früher die Kraft,

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