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Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy
Читать онлайн.Название Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Год выпуска 0
isbn 9783867548724
Автор произведения Marge Piercy
Жанр Книги о войне
Издательство Автор
Mir ist übel, und ich fühle mich zu elend, um noch etwas zu schreiben.
18 juillet 1942
Ich habe all meine Kraft darauf verwandt herauszufinden, wo Maman und Rivka festgehalten werden und was mit ihnen geschehen wird. Mir will nicht in den Kopf, wie sie Rivka etwas anhaben können, schließlich ist sie hier geboren, eine französische Jüdin von Geburt an. Und Maman ist vor zwanzig Jahren naturalisiert worden. Es erweist sich als sehr gefährlich, nach Maman und Rivka zu forschen, denn natürlich steht auch mein Name auf der Liste, die sie benutzen, um Leute abzuholen, und ich bin nur durch den Streit entkommen. Wäre ich doch bloß bei ihnen, dann könnte ich meinen kühlen Kopf einsetzen und mir die beste Strategie überlegen.
Es ist unglaublich heiß diese Woche, la canicule. Paris ist nicht geschaffen für derartige Sommerhitze. Henris Zimmer ist einfach zu heiß, um darin zu schlafen. Wir sind sehr früh aufgestanden und hinausgegangen, hinunter an den Fluss, wo es ein bisschen kühler ist. Es ist nicht ungefährlich, auf der Straße zu sein, wenn so wenige unterwegs sind. Henri hat begonnen, seine Schwarzmarktbeziehungen anzuzapfen, um mir einen neuen Ausweis zu besorgen – einen arischen, wie es jetzt heißt.
Aber neue Ausweise kosten sehr viel, und ich habe überhaupt kein Geld. Ich entdecke, dass ich äußerst ungern von Henri abhängig bin, und Henri ist ebenfalls überrascht davon, wie schnell sich die Situation zugespitzt hat. Ich habe das Gefühl, er möchte nicht, dass ich bei ihm wohne, obwohl er nichts gesagt hat. Anfangs fand er es toll, aber jetzt beginnen ihm die Folgen der Situation aufzugehen. Nun hat er mich am Hals, eine Jüdin, die sich verstecken muss, keinerlei Einkünfte hat, von der Universität geflogen ist und ständig weint.
19 juillet 1942
Ich habe herausbekommen, wo Maman und Rivka eingesperrt sind. Sie haben alle mit Kindern ins Vel d’Hiv gebracht, eine glasüberdachte Rennbahn mit großen Tribünen, wo im Winter Fahrradrennen stattfinden. Ich habe erfahren, dass tausende dort festgehalten werden. Vielleicht überprüfen sie ja bei allen die Ausweise. Rivka ist hier geboren, und Maman wurde mit achtzehn naturalisiert und hat obendrein einen hier geborenen französischen Juden geheiratet. Ich rechne damit, dass sie auf freien Fuß gesetzt werden, aber bisher scheint noch niemand entlassen worden zu sein. Ich kann nicht in Erfahrung bringen, weswegen sie festgehalten werden.
20 juillet 1942
Ich bin zufällig Daniela begegnet, sie ist auch entkommen. Sie sagte, sie sei durch das Netz gewarnt worden, unmittelbar bevor es passierte, so dass sie und ihre Eltern um drei Uhr früh mit nichts aus der Wohnung flohen. Sie sind gerade noch durchgeschlüpft, bevor der Polizeikordon sich geschlossen hat. Sie sagt, mit guten Papieren könnte ich durchkommen und sie wüsste, wo welche zu kriegen sind. Aber dafür brauche ich unbedingt Geld. Sobald ich nicht-jüdische Ausweispapiere habe, kann sie mir Arbeit in einem Krankenhaus besorgen, schlecht bezahlt, aber genug für den Lebensunterhalt. Ich muss mir das Geld für die Papiere besorgen, und zwar schnell.
Ich ging nach Hause und bat Henri, seinem Vater zu sagen, er habe ein junges Mädchen geschwängert und brauche Geld für eine Abtreibung. Denn ich denke, sein Vater wird es ihm geben, zusammen mit einer Moralpredigt, von der beide kein Wort glauben werden. Henri bekam es mit der Angst, war aber einverstanden. Das wächst ihm alles über den Kopf. Er wollte nicht einmal mit mir schlafen. Nach meiner Einschätzung ist das keine stabile Situation.
Daniela ist meiner Meinung, dass wir herausbekommen müssen, was mit unserem Volk im Vel d’Hiv geschieht. Wir haben unsere Privatuni in aller Form aufgelöst. Wir glauben beide, sichtbare jüdische Organisationen ins Leben zu rufen bedeutet nur, sich in Reih und Glied zum Abschuss aufzustellen. Daniela sagt, dass wir Widerstand leisten müssen, aber bis jetzt hat sie noch nicht gesagt, wie. In meinen Augen ist das nichts als heiße Luft, als sagte ein machtloses, zorniges Kind zu jemandem, der ihm wehgetan hat: Dich kriege ich. Dir werd ich’s zeigen.
21 juillet 1942
Das wenige, was ich in Erfahrung bringen konnte, ist erschreckend. Man erzählt sich, dass mindestens einhundertdreißig Tote dort hinausgetragen worden sind, darunter zwei schwangere Frauen, die offenbar in den Wehen gestorben sind. Wir hören, dass dort mindestens fünfzehntausend Menschen, darunter fünftausend Kinder, ohne Wasser oder Nahrung eingesperrt sind. Ich kann das nicht glauben, ich kann nicht glauben, dass die französische Polizei meiner Mutter und meiner Schwester das antut, und doch muss ich es glauben. Ich kann nicht essen oder schlafen. Ich halte Nachtwache.
Henri wird heute mit seinem Vater reden. In diesem Moment ist es mir gleichgültig, ob ich lebe oder sterbe. Hätte ich doch nur nicht Henri nachgegeben, hätte ich mich doch nur nicht mit Maman gestritten und wäre jetzt bei ihr! Ich fühle mich so schuldig wie die Nazis, ich fühle mich, als hätte irgendwie ich Maman das angetan. Ich habe nur noch den Wunsch, ein großer Lastwagen würde mich auf der Straße überfahren.
Maman hat recht. Ich bin nichts als eine Hure, die für ein paar Kartoffeln und Eier fickt, und für ein paar freundliche Worte inmitten einer Stadt, die vor Hass überkocht. Von all den Menschen, die auf den Straßen waren und sahen, wie ganze Familien von der Polizei weggeschleppt wurden, versuchte niemand zu helfen, versuchte niemand, die Polizei aufzuhalten. Ich habe gehört, dass einige Nachbarn die Polizisten angefeuert haben, darunter auch die Laroques, deren Hund wir immer gefüttert haben, wenn sie verreist waren.
Sechs Tage ohne Wasser und ohne einen Bissen zu essen, wie können sie das überleben? Maman ist stark, aber sie ist neununddreißig und auch nur aus Fleisch und Blut. Rivka ist zäh, aber noch ein Kind und jetzt schon unterernährt.
Wenn ich ihnen mein Blut zu trinken geben könnte, ich würde es ohne ein Wort tun.
Abra 3
Welch geräumige Kammer
Wollen wir einen Spaziergang machen?«, sagte Oscar Kahan, als wäre das ein ganz normaler Vorschlag. »Es ist so ein schöner Tag. Sozusagen«, setzte er lächelnd hinzu, denn es war heiß und feucht, die Sorte Tag, die Abra voll Heimweh an die Sommer in Maine denken ließ. In der Hitze von New York zu bleiben mutete manchmal wie Masochismus an.
Sie folgte ihm und sah sich selbst als Figur in einem Comicstrip, eine Daisy Mae mit einem riesigen Fragezeichen, das in einer Blase über ihrem Kopf schwebte. Noch nie hatte Oscar Kahan sie zu einem Spaziergang aufgefordert. Sie hatte sich in letzter Zeit bei erotischen Träumereien über ihn ertappt und mit dem Gedanken gespielt, von ihrem Grundsatz abzugehen, sich niemals mit jemandem von der Arbeit sexuell einzulassen. Schließlich beruhte dieser Grundsatz nur auf Vorsicht und nicht auf Moral. Aber was hatte es für einen Sinn, ihren eigenen Kodex umzuwerfen, wenn Oscar Kahan sie lediglich mit der gleichen unerschöpflichen, ja nahezu allumfassenden Wärme behandelte, mit der er alle seine Studenten bedachte? Sie merkte, dass sie sich neuerdings angewöhnt hatte, Posen einzunehmen, die die Rundung ihrer Waden betonen sollten, ihr Profil, ihren Busen, aber wenn Oscar Kahan es wahrnahm, so ließ er seinen Beobachtungen keine Taten folgen. Bis jetzt.
Sie verließen sein Büro und wandten sich nach Westen, zum Fluss. Während sie dahinschlenderten, erkundigte er sich nach den letzten Befragungen und gab Kommentare zu anderen ab. Wieder einmal beeindruckte sie, wie er beides erfasste, die großen Muster und die kleinen Einzelheiten. Vielleicht wollte er einfach an die frische Luft, obwohl sie bezweifelte, dass näher als Connecticut welche zu haben war. Vielleicht machte ihn das warme Wetter ruhelos. Vielleicht hatte seine Kindheit in Pittsburgh ihn an den Smog gewöhnt, und er fand die stinkende Luft von Manhattan im Sommer tatsächlich erfrischend.
Im Riverside Park nahm er eine Bank, die etwas abseits stand, mit Blick auf den Fluss