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Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner
Читать онлайн.Название Evangelisches Kirchenrecht in Bayern
Год выпуска 0
isbn 9783532600627
Автор произведения Hans-Peter Hübner
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
b)Das Verständnis, dass ein Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts Ausfluss der Religionsfreiheit ist, liegt auch der Auslegung des Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zugrunde. In dieser Konvention vom 4. November 1950, der die meisten europäischen Staaten beigetreten sind, und die die Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg bildet, ist die Religionsfreiheit ebenfalls umfassend geregelt, in Art. 9 Abs. 2 aber – anders als Art. 4 GG – unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt. Art. 9 EMRK lautet:
„(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
(2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“
Der Gesetzesvorbehalt des Art. 9 Abs. 2 EMRK zieht aber ebenfalls nur Schranken, die in etwa den Schranken des Art. 4 (Grundrechte anderer und Gemeinschaftswerte im Verfassungsrang) entsprechen. Im zusammenwachsenden Europa wird die Bedeutung vom Art. 9 EMRK sicherlich noch zunehmen und möglicherweise die Gewährleistung von Grundrechten und Grundfreiheiten durch die nationale Verfassung und deren Überprüfung durch die nationalen Verfassungsgerichte zurücktreten lassen. Auch von daher ist bedeutsam, dass mittlerweile geklärt ist, dass der personelle Schutzbereich nicht nur die individuelle, sondern auch die korporative Religionsfreiheit umfasst, die sachlich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften (für das deutsche Religionsverfassungsrecht also Art. 140 GG i. V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) identisch ist.63 Damit können sich auch die nach dem Grundgesetz organisierten Religionsgemeinschaften auf Art. 9 EMRK berufen.64
Weiterführende Literatur:
P. Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz. Verfassungsfragen zur Existenz und Tätigkeit der neuen „Jugendreligionen“, Tübingen 1989;
A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg)., HdbStR Bd. 7: Freiheitsrechte, 3. Aufl. Heidelberg 2009, § 157;
A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), § 12;
C. D. Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Grundrechtsordnung, Jus Publicum 100, Tübingen 2003;
M. Herdegen, Gewissensfreiheit, in: HdbStKirchR Bd. 1 (A.), S. 481–504;
St. Korioth/I. Augsberg, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität-Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates? JZ 2010, S. 828–834;
J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR Bd. 1 (A.), S. 439–479;
J.-B. Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, Jus Eccl. 112, Tübingen 2015;
P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 4.
1A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 54.
2BVerfGE 83, 341, Ls. 1 und 353. Zur Problematik der Definition des Religionsbegriffs vgl. A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 55 ff.
3v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. Aufl. München 2005, Art. 4 Rz. 19.
4BVerfGE 32, 98 (106); 24, 236 (245).
5A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 58 unter Hinweis auf OLG Köln, NJW 1993, 1345, und OLG Hamm, JZ 1956, 701.
6A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 58.
7Demgegenüber genießt der einfache Stundenschlag als bloßes Instrument akustischer Zeitansage nicht den Schutz des Art. 4 GG. Vgl. dazu BVerwGE 68, 62 und BVerwGE ZevKR 38 (1993), sowie H.-W. Laubinger, Nachbarschutz gegen kirchliches Glockengeläut, Verwaltungsarchiv 83 (1992), S. 623 ff, und A. Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, Berlin 1998.
8BVerfGE 24, 236 (246).
9Grundlegend dazu die sog. „Lumpensammler-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 24, 236) aus dem Jahr 1968. Darin hat das Bundesverfassungsgericht im Übrigen auch klargestellt, dass nicht nur Individuen, sondern auch die Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten diakonischen und sonstigen rechtlich selbstständigen Träger den Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Grundgesetz genießen.
10Aus Anlass des zu Recht heftig kritisierten Urteils des LG Köln, NJW 2012, 2128 ff., das die religiös motivierte Beschneidung als strafbare Körperverletzung im Sinne von § 223 Strafgesetzbuch angesehen hat, hat der Bundesgesetzgeber im Ergebnis eines Ausgleichs zwischen den kollidierenden Rechtspositionen – körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und positive Religionsfreiheit (Art. 4 GG) bzw. elterliches Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) – zur Klarstellung folgende Regelung in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt:
„§ 1631d Beschneidung des männlichen Kindes
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. (2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“
11Vgl. dazu § 4a Abs. 2 Nr. 2 Tierschutzgesetz; danach kann durch die zuständige staatliche Behörde eine Ausnahmegenehmigung vom Verbot des betäubungslosen Schlachten eines warmblütigen Tieres (Schächten) erteilt werden, wenn „zwingende Vorschriften der Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nichtgeschächteter Tiere untersagen.“
Durch das Erfordernis einer solchen behördlichen Genehmigung sah sich ein muslimischer Metzger in seinen Grundrechten verletzt. In seiner Entscheidung vom 15.