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hat Kappe keine Anhaltspunkte gefunden.

      Als er aus der Joachimstraße in die schmale Gipsstraße einbiegt, bläst ihm der eisige Januarwind ins Gesicht. Bis zum U-Bahnhof Weinmeisterstraße sind es nur zweihundert Meter. Eilig taucht Kappe dort ab in den warmen Mief, der ihm aus dem Untergrund entgegenweht. Manchmal ist die U-Bahn ganz nützlich. Wenn er am Alex in die Linie E umsteigt, statt im Präsidium zwei, drei weitere Überstunden - selbstverständlich unbezahlt, er ist Beamter - zu den ungezählten bisherigen hinzuzufügen, kann er in zehn Minuten zu Hause sein. Fast eine halbe Stunde vor Feierabend. Doch das widerstrebt ihm. Hat eine der Frauen in der Joachimstraße nicht davon gesprochen, der verdächtige Ehemann der Ermordeten treibe sich gerne in den Kneipen rund um den Moritzplatz herum?

      Kappe hat ein Bild des Verdächtigten in der Tasche. Da kann er auch zum Moritzplatz fahren, irgendwo einen heißen Grog trinken und ein bisschen herumhorchen. Es ist schließlich seine alte Gegend. Sein Freund und ehemaliger Nachbar wohnt noch immer in der Waldemarstraße, wo Kappe sein erstes möbliertes Zimmer hatte. Und dieser Theodor Trampe ist es eigentlich auch, den Hermann Kappe im Kopf hat, als er statt einer nun drei Stationen mit der U-Bahn fährt und am rautenförmigen Moritzplatz wieder in den schneidenden Ostwind tritt. Ein Grog kann wirklich nicht schaden.

      Eine gute Stunde später und um zwei Grog, einen Tee und ein paar nichtssagende Auskünfte schwerer spürt Kappe den scharfen Wind kaum noch. Am Oranienplatz biegt er zum Elisabethufer ab, das seit jüngstem in Hoffmann- und Schröderdamm unterteilt ist, benannt nach zwei SA-Helden. Vor 23 Jahren hat er hier am Luisenstädtischen Kanal den Mord an einem sechzehnjährigen Mädchen aufgeklärt. Der Täter war damals entkommen. Der Kanal ist längst zugeschüttet, nur die Waldemarstraße sieht aus wie eh und je, und die Kanalbrücke ist wie versehentlich erhalten geblieben.

      Kappe hofft, Theodor Trampe zu Hause anzutreffen. In letzter Zeit verspürt er häufiger den Wunsch, mal ein paar Worte mit dem alten Freund zu wechseln. Jeder Mensch braucht hin und wieder einen, mit dem sich offen und unverstellt reden lässt, und da kann Kappe sich weit und breit in seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft umgucken - von den Kollegen ganz zu schweigen –, außer Trampe fällt ihm keiner ein, dem er vertrauen darf. Klara, seine Frau, mit ihrem Hitlerfimmel kann er mit seinen Sorgen nicht behelligen. Außerdem fürchtet er, dass sie irgendwo mal eine Bemerkung fallenlassen könnte, die in diesen Zeiten fatale Folgen hätte.

      Seinen ältesten Sohn Hartmut möchte Kappe erst recht nicht in irgendwelche Konflikte mit dem bringen, was ihm täglich in der Schule und bei der HJ eingetrichtert wird. Der Siebzehnjährige ist gewitzt und hat selber seine Zweifel. Im nächsten Jahr werden sie ihn zur Wehrmacht einziehen, doch daran will Kappe lieber nicht denken. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg, haben die Kommunisten 1932 verkündet, und sowenig Kappe sonst von den Moskautreuen gehalten hat - diesmal sieht es aus, als würden sie recht behalten. Deutschland ist wieder eine Militärmacht, stärker und moderner als zu Kaisers Zeiten. Das besetzte Rheinland ist befreit, die Wehrpflicht eingeführt, in Spanien fallen deutsche Bomben, und um Österreich wird gestänkert. Heißt der Feind bald wieder Frankreich?

      Kaum ist der letzte Ton der Klingel verhallt, öffnet Theodor Trampe hastig die Wohnungstür. Für einen Augenblick scheint er erschrocken. Oder kommt es Kappe im schwachen Licht der Treppenbeleuchtung nur so vor?

      «Mensch, Hermann, wo kommst du denn her?», fragt Trampe sichtlich überrascht.

      «Von drauß’ vom Walde, da komm ich her», spottet Kappe und wischt sich ein paar Schneegriesel vom Mantel. «Ist mein Besuch ungelegen?»

      Trampe beeilt sich, ihn hereinzubitten. «Nicht doch, Hermann! Du kommst immer gelegen.» Er nimmt Kappe Hut und Mantel ab.

      «Solange du uns privat besuchst», setzt er leise hinzu.

      Kappe grient ein bisschen verklemmt. «Wieso? Hast du jemanden umgebracht?»

      «Noch nicht», entgegnet Trampe viel zu ernst. «Aber am liebsten würde ich …»

      Wen er gerne umbringen würde, braucht er nicht zu erläutern. Und Kappe weiß, wie gefährlich solche Äußerungen sind - nicht nur für Trampe selbst, sondern auch für Kappe, der sie hört und nicht widerspricht.

      «Sei bloß vorsichtig, Theo!», rät er dem Freund. «Solche harmlosen Sprüche können KZ bedeuten.»

      Trampe nickt. «Und wie gefährlich ist es für dich, einen ollen Sozialdemokraten einfach so zu besuchen?»

      Hermann Kappe, ins Wohnzimmer gebeten, entgegnet ruhig: «Das lass man meine Sorge sein.» Seine Sorge ist es wirklich. Denn wenn ihn einer hier sieht, wo ihn mancher noch von früher kennt, und meldet, er hätte den Trampe besucht …

      «’N Korn?», fragt Trampe und hat schon Flasche und Gläser in der Hand.

      Kappe denkt an die beiden Grog, die er intus hat, will andererseits aber den Freund nicht vergrätzen. «Wirklich nur ’n kleinen», sagt er. Der Freund macht so einen seltsam angespannten Eindruck. Nicht mal zum Trinken setzt er sich.

      Sie stoßen an. «Auf bessere Zeiten!», sagt Kappe. Trampe nickt ihm zu.

      «Du bist so unruhig … Ist deine Frau nicht zu Hause?»

      «Die ist bei ihrer Schwester in Heinersdorf. Da wird sie wohl auch übernachten. Sie traut sich abends kaum noch auf die Straße.»

      «Das lass besser nicht meine Vorgesetzten hören. Die Sicherheit in der Reichshauptstadt hat prozentual stark zugenommen.» Trampe nickt. «Zeitung lese ich selber. Morgen ist ja der Ehrentag der Polizei, wie ich höre. Und vorgestern haben sich gleich dreie abgemurkst.»

      Kappe hebt die Schultern. «Familiendramen wird es immer geben. Dagegen kann weder die Partei noch der Reichs-Heini was machen. Nicht mal wir vom Morddezernat. Ich gebe dir Brief und Siegel - in zwei Tagen haben wir das Geständnis des Täters.»

      «Bei den Methoden heutzutage gesteht doch jeder!»

      Kappe sieht ihn lange an. «Wir sind nicht die Gestapo», sagt er leise.

      Trampe ist seinem Blick nicht ausgewichen. «Ich hoffe für dich, dass es bei dem Unterschied bleibt, Hermann.» Er füllt die Gläser noch einmal.

      Im Korridor ertönt die Klingel, und sofort ist Trampe an der Wohnungstür.

      Er hat jemand anderen erwartet als mich, denkt Kappe. Eine Frau? Das würde nicht zu Theodor passen, aber man weiß ja nie.

      Eine Männerstimme fragt: «Du hast Besuch?»

      «Ein alter Freund und Nachbar», antwortet Trampe und öffnet einladend die Zimmertür. Einen Augenblick messen sich Kappe und der Neuankömmling mit Blicken. Der Mann, den Mantel noch in der Hand, verharrt sichtlich erschrocken in der Tür und macht Anstalten, wieder zu gehen.

      «Hermann Kappe», stellt Trampe vor. «Und das ist …»

      «Willy Eschborn», sagt der Hinzugekommene gepresst. «Der Herr Oberkommissar kann sich sicherlich erinnern.»

      Das kann Kappe in der Tat. Vor fünf Jahren hat er mit dem widerspenstigem Zeugen Eschborn zu tun gehabt, dessen Hinweis schließlich geholfen hatte, einen weiteren Mord zu verhindern. Das ahnt Eschborn sicherlich nicht einmal.

      «Kommissar», sagt Kappe gemütlich. «Wir sind uns in einem vorigen Leben mal begegnet. Sommer 1932, wenn ich mich recht erinnere. Haben Sie Ihren schönen Garten hinter der Glaubenskirche noch?»

      Eschborn bleibt misstrauisch. «Wir müssen wahrscheinlich bald runter», erklärt er schmallippig. «Sie wollen Neubauten hinsetzen.»

      «Na, eine schöne Neubauwohnung wäre doch was für Sie», sagt Kappe. Er erinnert sich dunkel, dass von einer ebenerdigen Kochstube die Rede war, in der Eschborn mit seiner Familie haust.

      «Sie haben eine niedliche Tochter …»

      «Und seit neuestem einen Sohn dazu», ergänzt Trampe eifrig.

      «Gratuliere», sagt Kappe zu Eschborn. Der nickt dankend.

      Trampe scheint ein wenig beunruhigt, dass die beiden sich kennen und

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