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Martin Dreyer

      16 | Wer ist mein Nächster?

      Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr.

      3. MOSE 19,18 (LUTHER 1984)

      Ein Mann liegt am Boden. Kümmere ich mich um ihn, oder gehe ich schnell weiter? Wahrscheinlich ist er eh betrunken, denke ich, außerdem bin ich weder Arzt noch Polizist. Zeit habe ich sowieso nicht. Am Ende muss ich noch warten, bis der Krankenwagen kommt. Und wer weiß, morgen liegt er vielleicht schon wieder da. Wenn man jedem Betrunkenen helfen würde …

      Das Herz hat klar gesprochen: Hilf. Der Verstand braucht ein wenig, bis er Gründe genug hat, die plausibel machen: Hilf nicht. Die Entscheidung fällt: Nein, ich werde nicht helfen. Und das Herz sagt: Falsch entschieden. Denn es besteht ja kein Zweifel, dass Gott uns die Liebe zu unserem Nächsten geboten hat.

      Gottes Liebe zu uns ist nämlich ein so großes Geschenk, dass wir Gott gern lieben, und natürlich auch alle Menschen, denen wir begegnen. In der Theorie. Und wir sind uns sicher, es wäre auch gut und sinnvoll, alle Menschen zu lieben. In der Theorie. Warum tun wir es dann nicht? Weil wir Meister darin sind, den schlichten Auftrag Gottes mit Ausreden zu vernebeln. »Wer ist denn mein Nächster?«, diese alte Frage aller Schriftgelehrten, die es bei Gott bequem haben wollen, ohne zu tun, was er will, stellen wir gern. Jesus hatte mit so einem Schriftgelehrten zu tun und erzählte ihm die Geschichte vom barmherzigen Samariter.

      Lassen wir es uns sagen: Niemand und nichts ist wichtiger als der Mensch, der jetzt meine Hilfe braucht. Ob es meine kleine Tochter ist, die alte Frau in der Nachbarschaft oder der Betrunkene am Bahnhof. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, sagt uns 3. Mose 19,18. Sagt uns unser Herr.

       Christoph Müller

      17 | Frisch verliebt

      … macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist.

      HESEKIEL 18,31 (LUTHER 1984)

      Wann waren Sie das letzte Mal frisch verliebt? So, dass Sie Schmetterlinge im Bauch hatten, die ganze Welt – und vor allem diesen einen wundervollen Menschen – umarmen wollten? Zum Glück geschieht es ja bisweilen auch in langjährigen Beziehungen, dass man sich neu ineinander verliebt. Das ist traumhaft.

      Denn wenn wir verliebt sind, dann passiert etwas mit uns: Wir werden hellhörig und weitsichtig und setzen all unsere Kreativität ein, um diese Beziehung zu gestalten. Dabei sind wir unglaublich achtsam. Wir legen unser Leben, vor allem aber das Leben der angehimmelten Person auf die Goldwaage und sehen die kleinen feinen Zeichen, die der andere gibt. Neulich las ich, dass das klarste Kennzeichen für einen Frischverliebten ein wunder Ellenbogen sei: weil man nicht nebeneinanderliegen kann, ohne dass sich einer von beiden aufstützt, damit er sich am anderen sattsehen kann.

      Je länger ein Paar zusammen ist, desto mehr glättet sich die wunde Haut am Arm. In den – auch sehr schönen – Ritualen des Alltags geht das Feinfühlige oft verloren. Man ist sich des anderen sicher und verlernt dabei, die kleinen Zeichen zu lesen. Das heißt nicht, dass die Liebe nachlässt, aber die schwindende Sensibilität ist fast immer der Auslöser, wenn eine Verbindung einen Knacks bekommt.

      Soziologen haben festgestellt, dass Menschen auch ihre Beziehung zu Gott oft wie eine Liebesbeziehung leben. Und natürlich durchläuft diese Beziehung wie jede andere ihre Phasen. Man kann auch in Gott frisch verliebt sein – und das ist himmlisch. Es gibt viele Menschen, die in ihrer Jugend eine schwärmerische Glaubensphase hatten. Zwanzig Jahre später führen sie mit Gott eine frustrierte »Ehe«, in der man den anderen mehr erduldet als begehrt.

      Die Herausforderung ist in menschlichen Beziehungen die gleiche wie im Glauben: Was investieren wir, um uns immer neu zu verlieben? Verliebtsein kann man nicht einfach machen – das weiß ich. Aber wer sich Zeit nimmt, wer seinen Ellenbogen wund werden lässt, weil er den anderen intensiv wahrnehmen will, der wird den »Zauber« wieder erleben. Verliebtsein ist herrlich. Ja, es ist auch anstrengend, aber wer eine frische Liebe erlebt, der merkt die Mühe gar nicht. Für den ist jede Investition ein Genuss. Leben Sie frisch verliebt.

       Fabian Vogt

      18 | Sie spielen unser Lied

      Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem

      Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.

      MATTHÄUS 22,37 (LUTHER 1984)

      Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.

      OFFENBARUNG 5,12 (LUTHER 1984)

      Die ersten Töne erklingen, sie sehen sich an, und beide wissen Bescheid. Da ist es wieder, »ihr Lied«. Manche Paare verbindet ein besonderes Lied. Vielleicht haben sie es bei ihrer ersten Begegnung gehört, der eine hat es dem anderen gewidmet, oder es erinnert sie einfach an einen traumhaften Moment. Wenn dieses Lied aus dem Lautsprecher klingt, wandern die Gedanken zum anderen, und das ist einfach ein gutes Gefühl. Es ist nicht überraschend, wenn es sich dabei um Liebeslieder handelt. Sie sollen ausdrücken: »Das fühle ich auch. Das möchte ich dir sagen. So sehe ich uns beide jetzt.«

      Es war spätabends auf einer Autofahrt nach Hause. Tagsüber hatte ich mehrere Vorträge gehalten und war entsprechend erledigt. Ich hatte keine Lust, Nachrichten zu hören, eine Hörerdiskussion zu verfolgen oder eine Predigt-CD reinzuschieben. Es sollte einfach ein bisschen Musik aus den Lautsprechern rieseln, und da kam mir »Lovesongs vor 12« gerade recht. Während ich das eine oder andere Stück mitsummte, fiel mir auf, dass so manches Liebeslied das Gegenüber so idealisiert beschreibt, dass kaum jemand diesem Anspruch gerecht werden kann. Oder es werden Versprechen abgegeben, die, nüchtern betrachtet, nie eingelöst werden können.

      Eine Liebe, die niemals endet …? Ich werde immer für dich da sein …? »So was gibt’s doch nur bei Jesus«, schoss es mir durch den Kopf, und ich begann, die Liebeslieder mitzusingen. Meine Gedanken drehten sich dabei nicht um meine Frau, sondern um Jesus. Das war eine interessante Erfahrung. Schon mal »You’re simply the best« für Jesus gesungen? Das ist klasse, denn er ist wirklich der Beste, der Allerbeste. Wenn heute dieses Lied aus irgendeinem Lautsprecher dröhnt, dann muss ich lächeln und denke: »Hey Jesus, sie spielen unser Lied.«

       Andreas Bürgin

      19 | Liebe und Hass

      Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und bittet für die, die euch verfolgen.

      MATTHÄUS 5,44 (LUTHER 1984)

      Wenn zwei sich streiten, dann freut sich keiner. So ist es doch, oder? Vor allem, weil es in der Regel nicht bei Sachfragen bleibt, sondern ganz schnell persönliche Betroffenheit und emotionale Befindlichkeit mit ins Spiel kommen. Haben Sie schon einmal einen ernsthaften Streit erlebt, bei dem die Beteiligten nicht irgendwann anstatt über das eigentliche Problem über die Rechtschaffenheit des jeweils anderen gesprochen hätten? Da, wo einem die Argumente ausgehen, fängt man an, seinen Gegner in den Schmutz zu ziehen!

      Wenn man die heutige Beschimpfungskultur betrachtet, hat man das Gefühl, man wäre ins Mittelalter zurückversetzt, in dem der »Grobianismus« gepflegt wurde. Und das Allerschlimmste dabei ist: Durch persönliche Angriffe wird auch der, der recht hat, zum Rechthaber; zu einem, der andere verletzt, anstatt seine Sache zu verteidigen.

      Kultiviert wird die Kunst des Niedermachens übrigens auch in christlichen Kreisen. Weil da jede Meinungsverschiedenheit überirdische Dimensionen bekommt. Da wird die Frage, ob die neuen Sitzkissen im Gemeindehaus rot oder grün sein sollen, zum theologischen Disput und das Ausprobieren neuer Gottesdienstformen zur Entscheidung über das Heil der Welt.

      Auf einmal wird mir bewusst, welche Herausforderung Jesus ausgesprochen hat: »Liebet eure Feinde!« Jemanden lieben heißt doch, ihn freundlich behandeln. Wir würden in einer anderen Welt leben, wenn sich mehr Menschen dieses

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