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einem dunklen Bild“ (1Kor 13,12).

      Mit dieser doppelten Metapher macht Paulus zweierlei deutlich: 1. Unsere Gotteserkenntnis ist grundsätzlich indirekt.19 Wir sehen und erkennen Gott nie unmittelbar, sondern wie durch einen Spiegel. Gott wird sichtbar vermittelt durch Begebenheiten wie einen brennenden Dornbusch, durch Texte, durch Bilder und Geschichten. Jesus redete immer wieder in Gleichnissen und Bildern vom Reich Gottes (Mk 4,33). Alle Gotteserkenntnis ist immer indirekt.

      2. Unsere Gotteserkenntnis ist bildhaft. Das „dunkle Bild“ der Lutherübersetzung steht eigentlich für: in Rätseln. Wenn wir jemandem sagen: Du sprichst in Rätseln, meinen wir: Kapier‘ ich nicht, sag es jetzt noch mal klar und deutlich. Paulus würde sagen: Ja, ich spreche in Rätseln, aber nicht, weil ich mich nicht klar ausdrücken will oder kann, sondern weil ich von Gott rede. Gott sprengt alle unsere Worte, alle unsere Gedanken. Darum können wir von Gott nicht anders reden als in Rätseln.

      Immer gibt es diesen doppelten Abstand zur göttlichen Wirklichkeit. Alle unsere Erkenntnis als solche ist nur annäherungsweise Gotteserkenntnis. Und sie ist grundsätzlich indirekt, vermittelt und daher immer zu unterscheiden von einer unmittelbaren Kenntnis.

      Was wir uns mit Hilfe der biblischen Geschichte und anhand einiger Aussagen des Apostels Paulus vor Augen geführt haben, hat grundsätzliche Bedeutung für die Ausgangsfrage in diesem Buch. Gar nicht so wenige Menschen sagen heute: Ja, ich wurde christlich erzogen, ich habe als Kind oder als Jugendlicher geglaubt. Jetzt tue ich das nicht mehr. Denn der christliche Glaube ist überholt. Er ist nicht zeitgemäß. So sagen und sehen das diese Menschen, und das Tragische ist m. E. Folgendes: Diese Menschen verwechseln ihren eigenen Kinderglauben mit dem christlichen Glauben als solchem. Sie haben Gott kennengelernt in einer bestimmten Gestalt, in einem altersgemäßen Horizont. Und dann haben sie sich als Menschen weiterentwickelt, viel Neues erfahren und gelernt. Irgendwann haben sie gemerkt, dass ihr christlicher Glaube aus Kinder- und Jugendzeiten nicht mehr passt zu dem, wie sie inzwischen die Welt und sich selbst betrachten. Und leider gibt es christliche Gruppen, die genau dazu ermutigen: bloß nicht weiterdenken, bloß keine gefährlichen Fragen zulassen, dass du ja nicht deinen Glauben verlierst … Und genau auf diesem Weg verlieren viele Menschen ihren Glauben.

      Manchmal ist der Glaube einfach nicht auf neue Herausforderungen eingestellt. Es gibt Menschen, deren Glaube ungeheuer tragfähig war in Lebenskrisen. Er bot Halt, gab Kraft, er stützte, stabilisierte. Und sie sind dankbar dafür. Und nun sind diese Menschen in einer neuen Lebensphase, einem Lebensabschnitt, wo es nicht darum geht zu überleben, standzuhalten, sondern zu bauen, zu gestalten. So habe ich das von manchen früheren Pfarrern gehört, die in den Erfahrungen des Krieges gelernt hatten, sich mit ihrem Glauben in größter Lebensgefahr zu bewähren. Ihr Konfirmandenunterricht war darauf eingestellt, den jungen Christen eine eiserne Ration mitzugeben: Wenn ihr in Kriegsgefangenschaft kommt, dann braucht ihr eine tragfähige Grundlage. Viele Jugendliche fragten sich in der Nachkriegszeit heimlich: Und wenn ich nicht nach Stalingrad muss? Wenn es nicht darum geht, durchzuhalten – sondern leben zu lernen in einer Nachkriegsgesellschaft mit unendlich vielen Möglichkeiten? Was bedeutet Glaube denn dann?

      Und manchmal ist es umgekehrt: Menschen haben einen heilen Glauben mitbekommen. Einen Glauben, der sie leicht und fröhlich umhüllte wie ein Frühlingskleid, dessen Muttersprache Dankbarkeit war, der ihr schönes Leben bereicherte und vertiefte, solange sie behütet waren in einer weit überwiegend liebevollen Umgebung. Und später führte ihr Weg sie in ihre ganz persönliche Wüste, auf ungewohnte Bahnen, ins Unwegsame und Ausweglose. Und alles, was sie an Glauben je kennengelernt hatten, bot ihnen keine Worte für die Erfahrung von Leere, Enttäuschung und Frustration.

      Viele Menschen erleben auf die eine oder andere Weise solche neuen Herausforderungen. Ich halte diese Geschichte von der Gottesbegegnung des Moses für eine ungeheure Hilfe in solchen Phasen der Umgestaltung. Denn wir können hier eine wesentliche Unterscheidung lernen. Gott ist immer größer als alle bislang bewährten Erfahrungen. Manchmal wachsen Christen heraus aus alten Gewissheiten. Manche Gewissheiten sind aufgebraucht, bestimmte Geschichten sind auserzählt. Sie haben in einer bestimmten Lebensphase getragen, jetzt tun sie es nicht mehr. Manchmal wachsen ihnen neue Herausforderungen über den Kopf. Und in beiden Fällen ist es entscheidend, sich dem Wandel zu stellen, ohne sich von der Angst lähmen zu lassen, den Glauben oder Gott zu verlieren.

      Gott ist größer. Du kriegst keinen Gott zum Anfassen. Und zugleich steht dieser Text auch dafür: Gott ist näher. Gott lässt dich nicht los. Er hält die Treue, über alles Zweifeln und Scheitern hinweg. Es gibt Neuanfänge. Du kannst weiterglauben, weil Gott mit dir weitergeht, hinein in neue Herausforderungen, in neue Erkenntnisse. Wie er sich in Jesus Christus ganz neu eingelassen hat auf das menschliche Leben, so begleitet er Menschen durch alle Herausforderungen und Wandlungen ihres Lebens hindurch. Größer, als wir fassen, näher, als wir uns vorstellen können.

      Gott begibt sich in den jeweiligen Horizont der Menschen und sprengt diesen zugleich. Als der nahe Gott ist er ungreifbar. Er macht sich verständlich und bleibt unergründlich. Ist das widersprüchlich bzw. unlogisch? Nein. Es ist paradox, mit einem biblischen Wort: geheimnisvoll. Dieses Staunen vor dem Geheimnis Gottes zieht sich durch die Bibel. Bevor Paulus im Römerbrief zu den praktischen Fragen des christlichen Lebens übergeht, schließt er den theologischen Teil seines Schreibens mit einem Lobpreis des geheimnisvollen Gottes ab:

      33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen“? (Jesaja 40,13.) 35 Oder „wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?“ (Hiob 41,3.) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen (Röm 11,33-36).

      Diese Erkenntnis ist uralt und vielfach formuliert. Vorbildlich hat die christliche Kirche des Westens diese Einsicht im 4. Laterankonzil im Jahr 1215 in einer Weise formuliert, die bis heute als grundlegend angesehen werden kann.

      „Zwischen Schöpfer und Geschöpf lässt sich keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen nicht noch eine größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“20

      Zunächst drückt diese Aussage die Überzeugung aus: Wir können über Gott reden, weil es zwischen Gott und Mensch so etwas wie eine Ähnlichkeit gibt. Wenn Gott den Menschen zu seinem Bilde geschaffen hat, dann ist Gott uns nicht total und völlig fremd. Dann können Menschen mit menschlichen Worten, Bildern und Gedanken über Gott reden, dann können sie Gott als Vater und Mutter, Herr und Freund, Quelle und Licht bezeichnen, wohl wissend, dass Gott noch einmal anders und mehr ist, aber: Es besteht eine Ähnlichkeit zwischen dem, was wir sagen, und Gott selbst. Aber: Es gibt nicht nur diese Analogie, diese Ähnlichkeit, sondern eben auch eine Unähnlichkeit; und die ist größer. Wer von Gott spricht, kann dies zuversichtlich wagen – und zugleich auch nur in aller Demut.

      Ein solches Verständnis des Glaubens wendet sich gegen zwei Missverständnisse: Wir haben Gott nie im Griff. Wir stehen aber auch nicht vor einem absoluten Rätsel. Diese doppelte Abgrenzung ist natürlich eine Zumutung, denn die beiden anderen Lösungen sind sehr viel griffiger. Entweder wir sind uns unserer Sache sicher; weil die Kirche es so lehrt, weil die Bibel es so sagt – dann können wir klar und eindeutig bekennen, Klartext reden. Wenn das nicht möglich ist – dann sollte man vielleicht besser ganz verstummen. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein schrieb einmal: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“21 Auch das wäre eine klare und eindeutige Lösung.

      Das wäre gut und schön, wenn es nicht um Gott ginge. Von Gott reden – das bringt uns Menschen in eine heikle Situation. Wenn Gott sich mitteilt, wenn er von Anfang an das Wort bei sich hat (Joh 1,1 ff.), kann es keinen Verzicht auf Denken und Erkenntnis geben. Die biblischen Texte sind nicht irrational und vernunftfeindlich. Christen können und sollen sich gemeinsam verständigen über das, was sie glauben. Die Bekenntnisse der Kirchen sind der geronnene Ausdruck dessen, was Christen gemeinsam zu verstehen glauben und was sie miteinander bezeugen.

      So wenig die Christenheit auf gemeinsames Zeugnis verzichten kann, so wenig darf sie die Differenz zwischen ihrem Bekennen und der Wirklichkeit Gottes kaschieren.

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