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Ausbeutung - made in Germany. Frank Mehler
Читать онлайн.Название Ausbeutung - made in Germany
Год выпуска 0
isbn 9783960081050
Автор произведения Frank Mehler
Издательство Автор
»Als was wird man uns einsetzen?«, frage ich neugierig im Vorab.
»Keine Ahnung, da müsst ihr euch einfach überraschen lassen. Aber vermutlich seid ihr ganz der Willkür von Herbert und Achim ausgeliefert. Das sind die beiden Vorarbeiter dort drüben.« Er grinst. »Na ja, den einen kennt ihr ja bereits, den mit den großen Muskeln.«
»Ich hab gehört, er soll Bodybuilder sein«, sagt der Kollege.
»Ja, er ist auch ein Fitnesstrainer und er hat viele gute Ideen im Kopf. Aber verarschen lässt er sich nicht, und wenn es zufällig einmal hitzig unter den Männern werden sollte, dann ist er ebenso der Rausschmeißer hier im Betrieb.« Eine klare Ansage. »Sonst noch was?«, fragt er recht zufrieden und reibt sich die Hände. »Ach so, das mit der Demontage der Laufschienen von vorige Woche hat sich inzwischen geklärt: Den Auftrag wollte sich tatsächlich ein Schlawiner aus der Spätschicht mit auf die Abrechnung schreiben.«
»Aha!«, sage ich. Er meint die 240 Teile, die ich während einer halben Schicht demontiert hatte, und die dann irgendjemand aus der Werkstatt wieder abgeholt hat, den ich aber nicht weiter kenne. Im Betrieb ist es so: Hier wird der Arbeiter fast ausschließlich nach Auftragsbearbeitung/Stückzahlen bezahlt – außer wir Zeitarbeiter natürlich. Wenn ich den Metall-Tariflohn für die Demontage der 240 Laufschienen bekommen würde, dann wäre allein diese halbe Schicht bereits der Lohn wie für 8 Stunden Vollzeit bei Zeitarbeittarif gewesen. Und da ich es nebenbei gemacht habe, ist es sicher ein lukrativer Zuverdienst für so manch kühnen Rechenkünstler oder auch Kleinkapitalisten im Arbeitnehmerverschnitt!
»Aber jetzt sagt mal ehrlich, Jungs, so schlecht habt ihr es hier drüber an der Laufer-Presse doch gar nicht gehabt, oder?«
Ich schaue den Kollegen an, der Kollege schaut den Einrichter an und zuckt mit den Schultern. Etwas Fantastisches fällt uns beiden dazu nicht wirklich ein.
»Na ja …« Der Einrichter schaut zur Uhr. »Oh, das Taxi hätte ich fast vergessen!« Er kramt sein i Pad hervor. »Ich fliege heute noch nach Mallorca«, verkündet er stolz und tippelt fix eine Nummer. »Wisst ihr, eigentlich seht auch ihr beide so aus, als ob ihr mal Urlaub gebrauchen könntet …«
Der Kollege verdreht die Augen, und ich denke mir meinen Teil.
»Ja, hallo, ich benötige ein Taxi um 1600 Uhr von der Gartenstraße 20 nach Flughafen Tegel. Geht das so weit klar?« Er lauscht am i Pad und seine Mundwinkel ziehen sich in die Breite. Es scheint ganz gut für ihn auszusehen. »Okay, dann bis später.« Grinsend schaut er wieder auf und sagt: »Tja, Jungs, ihr wisst ja sicher, wie es ist, wenn man ein verlängertes Wochenende hat. Das muss gleich ausgenutzt werden!«
Wie immer geben wir uns Mühe: Unser neuer Vorarbeiter, der Muskelmann und Einrichter in der Werkstatt, ist tatsächlich noch eine Ecke autoritärer als der Micha, der bisher für uns Zeitarbeiter zuständig war. Wir machen jetzt verschiedene Sachen in der Produktion, die niederen unbequemeren Arbeiten natürlich. Dazu war ich bereits gestern und vorgestern zum Drehmeln in der Schleiferei gewesen. Heute haben sie den Kollegen dort eingesetzt. Ich laufe gerade an ihm vorbei, weshalb er kurz aufschaut, und ich kann förmlich die Begeisterung in seinen Augen sehen. Schließlich wissen wir beide, dass diese Arbeit kein Zuckerschlecken ist und schon gar nicht der Job, bei dem man sich unbedingt beweisen muss, wie lange zum Beispiel die eigene Lunge das Dreckschlucken verkraften kann. Andererseits wieder hat er nun wunderbare »Ruhe« im abgeschirmten Bereich und er kann sich von seinem Schleiferkumpel den ganzen Tag lang beraten lassen, wie er vielleicht doch noch zu einer Festanstellung als Handlanger in Metall kommt.
Im Grunde weiß jeder im Betrieb, dass gerade in diesem Bereich der Produktion die Fluktuation sehr hoch ist, dass niemand länger als ein oder höchstens zwei Jahre diesen Job ausführen kann. Ich muss die Umstände dafür auch nicht länger beleuchten, selbst jetzt noch kann ich das Piken des Metallstaubes in meiner Lunge spüren. Fix hole ich mir neue Handschuhe und etwas Mineralwasser vom Spender, da ich gerade Zeit dazu habe.
Hier drüben in der Werkstatt wird so alles Mögliche fabriziert – alles, was mit Sterilisationsöfen und anderweitigen medizinischen Geräten zu tun hat. Auf den ersten Blick ist es sicher interessant, es kommt dann nur darauf an, an welcher Stelle man eingesetzt wird. Und im Moment kann ich nicht einmal klagen, es ist abwechslungsreicher für mich geworden. Oder anders gesagt, ich mache mich bei meinen jetzigen Aufgaben noch nicht einmal tot. Ich führe verschiedene Bohrtätigkeiten aus – es sind Bohrungen für Schraub- und Nietverbindungen, die ich teilweise mit einem konischen Bohrer absenken muss, damit sich später die Verschraubung möglichst in die Gehäuseoberfläche einfügen kann.
Ich stelle mein Mineralwasser ab und warte nun auf den Einrichter, der mir zum anstehenden Gewindeschneiden noch etwas zu erklären hat. Er kommt auch schon um die Ecke gefegt. Es ist nicht der Super-Muskelmann, sondern der ältere der beiden Vorarbeiter in der Werkstatt. Aber er schaut erst noch woanders.
Zwei Minuten später dann: »So, jetzt bei dir weiter«, sagt er. »Hatte ich dir den Gewindeschneider vorhin schon gegeben?«
»Ja, er liegt hier auf dem Tisch.« Ich reiche ihn rüber.
»Gut. Also, die oberen zwei Bohrungen haben wir abgesenkt und in die unteren schneidest du jetzt das Gewinde. Ich zeige es dir kurz …« Er nimmt eine Edelstahlplatte und setzt an der entsprechenden Stelle an. »Siehst du, mit etwas Gefühl das Gewinde schneiden. Nicht ewig hin- und herdrehen und auch möglichst nicht verkannten dabei, einmal vor und wieder zurück. Dann probiere das jetzt bitte …«
»Okay.« Ich gebe mir Mühe, und es geht tatsächlich leichter, als ich gedacht hätte.
»Sieht doch ganz gut aus«, sagt der Einrichter. »Dann machst du genau so den Auftrag zu Ende.«
»Sind noch mehr von diesen Teilen da?«, frage ich.
»Oh ja, jede Menge. Aber, ich denke, heute wirst du höchstens 200 Stück schaffen. Ja, und falls nachher noch was ist, dann meldest du dich …« Er geht weiter zur nächsten Station.
Ich schaue zur Uhr hinauf. Oh, zwei Stunden noch! stelle ich fest. Ich schaue zu meinem türkischen Kollegen rüber. Er grinst mich an, und er wird sich sicherlich seinen Teil denken. Vermutlich wird er wissen, woher ich komme und in welche Kategorie von Arbeiter ich einzustufen bin.
Als ich später mit dem Gewindeschneiden überpünktlich fertig bin und selbst meinen Arbeitsplatz bereits gesäubert habe, fällt mir nichts Besseres ein, als den Besen noch ein bisschen weiter zu schwingen. Das findet natürlich Anerkennung und keiner sagt etwas dagegen, wenn ich Bohr- und Feilspäne anderer mit zusammenkehre.
Ich hocke mit meiner Kehrschaufel gerade beim Türken und er fragt mich plötzlich: »Du sagen mal, kommen jetzt immer mehr von euch hierher?«
»Keine Ahnung. Mich und meinen Kollegen haben sie jedenfalls zu euch hier rüber geschickt.«
»Kollegen?«
»Na ja, so in der Art …«, sage ich und mache eine Kopfbewegung, weil mein Kollege von der Zeitarbeit gerade kommt, aber gleich weiter geht. Er hat es verdammt eilig Richtung Waschraum.
»Puh! Er ganz schön schwarz im Gesicht«, bemerkt der Türke und grinst wieder.
»Ja, er hat wohl einiges geschluckt«, sage ich und grinse nicht. Trotzdem kann ich mir denken, wie ihm gerade zumute sein muss.
»Ich haben gehört, ihr seien mindestens fünfzig bei uns im Betrieb …«
»Ach, sind es doch so viele?!«, tue ich so, als ob. Aber wirklich erstaunt bin ich darüber nicht.
»Ja, ganze Pin-Wand neben der Uhr ist voller Zeitkarten.«
»Ich habe sie gesehen. Der Einrichter hat