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es ist Wochenende!«, erinnert er mich daran. »Du müssen hier nicht ständig wie ein Blöder ackern … Ähm, sag mal, brauchen du irgendwas aus dem Supermarkt? Vielleicht was zu trinken, oder was zu rauchen?«

      »Ach, eigentlich nicht«, sage ich, weil ich aus meiner Sicht alles mithabe, was ich für die laufende Schicht brauche.

      »Gut. Ach so, du wissen ja bestimmt Bescheid. Was hier am Wochenende passiert, bleibt natürlich unter uns.«

      »Ist schon klar …«

      Er wollte es nur noch einmal sagen, damit ich nicht auf dumme Gedanken komme.

      Eine halbe Stunde später: Der Pole ist unterwegs. Vetter scheint hinten ›Indiana Jones‹ zu gucken, der Musik nach zumindest, und Schulze, der an der Finn-Power, putzt gerade keine 10 Meter von mir entfernt sein heiß geliebtes Rennrad. Das sagt mir: Hier wird offensichtlich bereits auf den Feierabend gewartet. Und es sagt mir noch: Ich müsste mich normalerweise eine Idee mehr anpassen. Scheiße nur, dass die Laufer-Presse eben nicht automatisch per Mausklick arbeiten kann. Ist auch kein Wunder, mein Gefährt ist bereits seit 1982 im Einsatz. Ich schaue dennoch für die nächsten 10 Minuten aus dem Fenster und dann auch kurz vor das Waren-Annahmetor – es ist die abendliche Maisonne, die mich für einen Moment so wunderbar entspannen lässt.

      Eine junge Dame kommt über den Hof gelaufen und steuert geradewegs auf mich zu. »Hallo!«, sagt sie mit freundlicher Stimme. »Ich möchte nur mal schnell den Herrn Vetter überraschen.«

      »Aber immer hereinspaziert«, sage ich ebenso freundlich, »… er muss hinten an der Bandsäge sein.«

      »Schön …« Sie grinst verschmitzt und geht rein, und ich grinse ihr hinterher. Ich kenne sie bereits, sie ist nicht das erste Mal zum »Zeitvertreib« hier.

      Wenig später kommt ein nagelneuer Insignia direkt vor die Laderampe gefahren. Es ist der Pole, der gerade vom Supermarkt-Ausflug zurückkehrt.

      »Ah, du beschneidest ja immer noch die Ecken«, sagt er, als er mit zwei 6er-Packs Cola an mir vorbeimarschiert.

      Ich sage nichts und beschneide meine Bleche weiter im gewohnten Takt.

      Wiederum nicht viel später: Vetter stolziert guter Dinge mit seiner schicken Freundin vorbei, grüßt lässig ab und sagt: »Ich bin dann mal schnell weg …«

      MC Doof! vermute ich. Sie gehen jetzt essen … Auch das wäre am Wochenende keineswegs neu für mich.

      Ich weiß nicht so recht, aber irgendwie haben die mich angesteckt, und ich erinnere mich plötzlich wieder an die Worte, die Vetter bereits Ostern zu mir gesagt hat: ›Immer mit der Ruhe. Als Leiharbeiter musst du hier keine Rekorde brechen.‹ Und er als Vorarbeiter und Einrichter aus dem »goldenen« Westen muss es eigentlich noch am allerbesten wissen.

      2

      Nach fünf Monaten im Zuschnitt stelle ich Veränderungen an mir fest. Ich wache des Nachts öfters in Unruhe auf und höre das Wummern der Presse. Ich habe Probleme mit meinen Händen, genauer mit den Gelenken in den Fingern, die mir mittlerweile fast jeden Morgen wie steif und verkrampft vorkommen. Es dauert dann jedes Mal eine Weile, bis das Gefühl und die Beweglichkeit wieder zurückkehren. Allgemein sind meine Hände irgendwie lederartig geworden, als ob sie schon über 70 Jahre alt wären, obwohl ich sie tagtäglich eincreme und sie auf der Arbeit meistens in öligen Handschuhen stecken. Doch gerade dieses Spezial-Öl zum Tiefziehen der Bleche muss es molekular in sich haben: Es reizt die Haut, vielleicht nicht unbedingt so schlimm am Anfang, doch dann kommt es mit den Monaten, und es scheint sich auch indirekt mit auf die Gelenke auszuwirken. Ich gehe von bestimmten Stoffen aus, die im Öl-Gemisch enthalten sind, die ich dann über die Haut mit in meine Knochen und Finger-Gelenke aufnehme. Oder eben ich liege total falsch und bilde mir das alles nur ein. Wahrscheinlich habe ich schon immer so eine Art Arthritis gehabt und suche bloß einen plausiblen Grund, um endlich vor der ätzenden Maschine flüchten zu können. Ich spiele quasi mit dem Gedanken, aufzuhören. So muss es wohl sein: Selbst von den Stammmitarbeitern ist dazu durchgesickert, dass kaum einer wirklich lange an dieser öligen Presse durchgehalten hat. Allein schon wegen der aufkommenden Rückenschmerzen, die auf Dauer durch die stundenlange gebückte Arbeitshaltung entstehen. Niemand kann diesen Job als Berufs- und Lebenserfüllung ansehen, als Lern- und Wirkungsziel oder so etwas Ähnliches. Es ist eben nur ein Bedienerjob, bei dem man abstumpft, abnutzt, etwas Unliebsames und Unbequemes tut, etwas zum Ranklotzen für getriebene Leiher. Und dennoch will man andererseits wiederum durchhalten, weil man (Verdammt nochmal!) muss.

      Ja, ich muss durchhalten, irgendwie weitermachen …, von irgendeiner Arbeit leben, von dem halt, was meine Brötchengeber mir zugestehen wollen. Dieses Zugeständnis scheint aber kontinuierlich kleiner zu werden, während meine Leistungen dafür immer größer werden. Und warum werden sie das? Weil ich nicht nur von oben, sondern neuerdings sogar von unten aus den eigenen Reihen dazu gezwungen werde. Das soziale Klima ist kälter geworden, das soziale Netzwerk brüchiger, umso größer dafür die Raffgier der Besitzergreifenden. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, ich fühle mich zunehmend von Egoisten und ferngesteuerten Konsumidioten umgeben. Ein Konsum, der ausufern tut, der vermeintlich beruhigend auf das Gemüt wirkt. Doch man sieht und hört ja überall die Wirklichkeit: Selbst die kleinen Kinder im Land schreien bereits nach immer mehr!

      Ich selbst habe mich inzwischen von den deutschen Durchschnittsbürgern weit entfernt, und offensichtlich, nach dem Zwei-Klassen-Gesellschaftssystem, soll ich auch gar nicht mehr zum Durchschnitt gehören. Ranschaffen soll ich für die »besser gestellte« Seite der Deutschen – für selbsternannte Globalisten! Ich kann mich somit ganz klar zu den deutschen Absteigern zählen, dem Landesheer der Arbeitssklaven – das Kanonenfutter sozusagen, das es im Wahn des Kapitalstrudels gewissenlos zu verpulvern gilt.

       Ich lebe in einem Land umgeben von »modernen« Menschen, die mit Vollgas auf dem Weg in den Egoismus sind.

      Wiederum 3 Monate später: Wumm, wumm, wumm! Es ist monoton, es ist stumpfsinnig und einfach nur zum Kotzen. Hilfe, ich will hier raus! Hört mich denn niemand? Ach so, du natürlich, liebe Maschine!

      Wumm! Die Antwort.

      Ich stehe auf und muss unbedingt erst einmal den steifen Hals und meine eingeschlafenen Füße bewegen. Ich will gar nicht so recht an das Körperliche denken, an meine »tollen« Perspektiven und die »üppige« Bezahlung, ich will eigentlich gedanklich defokussieren, und genau deshalb schaue ich aus dem Fenster hinaus, um mir das Positive in Erinnerung zu holen. Es muss definitiv dort draußen zu finden sein, nicht hier drinnen, zumindest nicht für mich, denn was hier in Metall läuft, das habe ich ja nun monatelang in Erfahrung gebracht. Außerdem ist die Zeit ran, das Ende »unserer« 9-monatigen Vertragsdauer naht, nach deren Ablauf und bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung sie normalerweise den vollen tariflichen Lohn wie bei ihrer Stammbelegschaft zahlen müssten. Aber das wird die Ausbeutung mit Sicherheit nicht tun und es gibt bereits deutliche Anzeichen dafür, dass man uns bald wieder einfach in die »Freiheit« entlässt. Ich recke und strecke mich, und ich weiß natürlich, dass es so oder so nicht viel besser werden wird. Doch nun, in Gedanken zumindest, fühle ich mich für einen kurzen Moment tatsächlich ein bisschen befreit.

      Ich frage mich schon, warum die werte Lady von nebenan, die große »Alleskönnerin« an der Finn-Power, sich zwei Dosen Handpflegecreme und drei Packungen Handschuhe auf der Werkbank hinter mir bereitlegen tut. Sie schaut nicht gerade begeistert aus und es würde mich auch sehr wundern, dass sie es rein aus Nächstenliebe neuerdings gut mit mir meinen würde. Sie sagt erst einmal nichts dazu. Im Grunde spricht sie so gut wie nie mit mir. Aber jetzt, dem Gefühl nach, kann ich mir irgendwie denken, dass sie hier an der Presse schon bald die Nachfolgerin sein wird. Zwar hat der Kollege noch eine Spätschicht zu fahren, doch hat auch er längst mitbekommen, was offenbar läuft. Und gerade der Kollege hat ja immer auf einen Festvertrag in der Metallbranche gehofft. Nur leider lässt dieser bislang auf sich warten. Aber wie sagt man so schön: Die Hoffnung stirbt immer zuletzt!

      Der Einrichter

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