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      „Stimmt. Und was hast du jetzt vor?“, wiederholte die Journalistin ihre Frage.

      „Jetzt fahre ich nach Hause.“

      „Wartet jemand auf dich oder hast du Zeit? Eigentlich sollten wir unser unverhofftes Wiedersehen ordentlich feiern.“

      Tina lächelte. „Nun, nachdem ich mich vor vier Wochen von meinem Verlobten getrennt habe, habe ich eigentlich wieder alle Zeit der Welt.“

      „Wollen wir einen Kaffee miteinander trinken, ein bisschen quatschen? Komm, ich lade dich ins Domcafé ein. Die haben richtig leckere, leichte Schnitten.“

      „Wow, ins Domcafè“, rief Tina begeistert, „da sage ich nicht nein. Und du glaubst, wir kriegen da am Sonntag noch einen Platz?“

      „In einer halben Stunde schon“, meinte Franziska, griff zu ihrem Mobiltelefon und drückte eine eingespeicherte Nummer. „Draußen vor dem Eingang“, meinte sie, nachdem sie ihr kurzes Gespräch beendet hatte, „hält man für uns in der kleinen Sitzgruppe zwei Plätze frei.“

      Die Villa

      Sonntag, 27. August

      Im Süden der Weltkulturerbestadt Bamberg, dort wo ihr südlichster Stadtteil Bug an die Regnitz stößt und sich der Fluss in seinen linken und rechten Arm teilt, verlaufen die beiden Straßen Im Wiesengrund und Paradiesweg unweit des Bamberger Klinikums. Es ist eine ruhige, hügelige Wohngegend. Die wenigen Häuser stehen auf riesigen Grundstücken mit altem Baumbestand. Hinter dem Paradiesweg dehnt sich dichter Wald aus, der bis hinunter zum westlichen Ufer des Linken Regnitzarmes reicht. Von dort aus führt der Obere Leinritt entlang des Flussufers bis hin zum Bamberger Altstadtrand, wo man entweder die Flussfähre benutzen oder über 60 Stufen steil zum Stephansberg aufsteigen kann, wo die schönsten und urigsten Bierkeller der Stadt liegen. Nur rund drei Kilometer sind es bis dorthin. Ideal für Spaziergänger, Radler und Jogger. Und gegenüber, auf der anderen Seite des Flussarms, quasi als ebenfalls naturbelassenes Spiegelbild, bieten der Luisen- und der Theresienhain einen weiteren Weg, bis ins Stadtzentrum zu spazieren.

      Kein Spaziergänger, der sich hier im Süden der Stadt herumtrieb, hatte Einblick auf die hochbarocke Villa aus dem 17. Jahrhundert, die nur über einen breiten Feldweg zugänglich war, der vom Paradiesweg abzweigte. Weit von der vorderen Grundstücksgrenze abgesetzt, umrahmt von altem Eichen- und Buchenbestand und durch eine hohe Kirschlorbeerhecke verdeckt, stand sie weit hinten auf dem rund 5.000 Quadratmeter großen Grundstück. Wem die Villa gehörte, wussten selbst die unmittelbaren Nachbarn nicht ganz genau. Nur der Verwalter, der sich um das Anwesen kümmerte, kam ab und an mit seinem blauen VW-Tiguan hierher. Man kannte sich nicht, grüßte auch nicht. Er schien sowieso ein verschlossener Typ zu sein. Gerüchteweise hörte man, dass die Villa einer kirchlichen Organisation gehören sollte. Das könnte stimmen, denn an so manchen Wochenenden war mächtig was los auf dem Anwesen: Dann reisten plötzlich Pkws an, die so gar nicht aus der näheren Umgebung stammten, und einige ihrer Insassen trugen kirchliche Gewänder, während um ihre dicken Hälse Kreuze und Kruzifixe jeglicher Art baumelten. „Die halten wieder mal ihre Exerzitien“, versicherten sich dann die Einheimischen gegenseitig und betrachteten neugierig die Kfz-Kennzeichen der Ankömmlinge – allen voran der depperte Schneiders Toni.

      Tatsächlich waren an zwei Seiten der geometrisch gestalteten Gartenanlage langgezogene Parkbuchten angelegt worden, die Platz für mehr als 20 Autos boten. Zum Haupteingang des zweigeschossigen Gebäudes führte eine breite, fünfstufige Halbrundtreppe aus Buntsandstein und an der Hausfassade wurde eine üppige Prachtentfaltung betrieben, wobei der aufmerksame Betrachter das Gefühl bekam, dass die Grenzen der einzelnen Kunstgattungen Architektur, Skulptur und Malerei bewusst verwischt worden waren. Am ganzen Gebäude herrschte absolute Symmetrie vor. Über dem Eingang hatte ein findiger Steinmetz einen im Querschnitt einen Meter großen Kreis in die weiße Fassade gemeißelt und in dessen Inneren ein Kreuz, dessen Querbalken ungewöhnlich hoch angesetzt war. Beides war mit Blattgold ausgelegt, das, besonders wenn es in der Sonne glitzerte, von Reichtum und Macht sprach.

      Draußen auf den Parkplätzen der Villa standen an diesem Sonntag zwei schwere Mercedes-Limousinen. Eines der beiden Dienstfahrzeuge trug ein hierzulande seltenes Kennzeichen: SCV für Stato della Cittá del Vaticano. Das andere war in Bamberg zugelassen. Die beiden Fahrer lehnten an ihren Limousinen, rauchten und unterhielten sich so gut es ging – was gar nicht so einfach war, denn Giuseppe Bertone aus Frascati, einer kleinen Stadt südöstlich von Rom, konnte nur ein paar Brocken Deutsch und Max Müller, ein waschechter Oberfranke, absolut kein Wort Italienisch. Zudem sprachen beide nur ein leidliches Englisch.

      Giuseppe war mit seinem Dienstherrn, Bischof Carlo Eposito, Mitglied der römischen Kurie ebenso wie der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen, vor zehn Tagen von Rom nach Bamberg aufgebrochen. Übermorgen sollte es wieder in den Vatikan zurückgehen. Der offizielle Besuch diente lediglich dem Informationsaustausch – was man auch immer darunter verstehen mochte – und war seit gestern vorbei, aber sein Bischof wollte sich noch einen Tag lang das schöne Bamberg ansehen, vor allem die Kirchen St. Martin, St. Michael, die Heilig-Grab-Kapelle, die Obere Pfarrkirche und wie sie sonst noch alle hießen.

      Für Giuseppe war es bisher eine angenehme Dienstfahrt gewesen. Wenig zu tun, ein schönes Hotel, eine Stadt mit Charme und viel Freizeit. Wie letzte Woche, als sein Bischof vom Oberbürgermeister und Vertretern des Erzbistums zu einem Abendessen eingeladen worden war und er wieder einmal frei bekommen hatte. In einer Gaststätte in der Altstadt hatte er ein Gericht probiert, das die Einheimischen Schäufele nannten. Ein riesiger Berg Fleisch und zwei Glees mit Breggerli, so groß wie Kanonenkugeln. Das Ganze war in einem See von Soße geschwommen und dazu hatte es fränkisches Sauerkraut gegeben, in Speckwürferli gedämpft. Giuseppe hatte keine Ahnung, was er da genau gegessen hatte, aber es hatte vorzüglich geschmeckt und die Worte Schäufele, Glees, Breggerli und Speckwürferli hatte er sich extra von der freundlichen Bedienung aufschreiben lassen. Wieder zurück in seinem Hotel hatte er sie leider nicht in seinem kleinen deutschen Wörterbuch für die Hosentasche gefunden. Also hatte er nach Schäufele gegoogelt. Als er den Suchbegriff Glees eingegeben hatte, war er auf eine Ortschaft in der Eifel gestoßen, und bei Breggerli hatte die Suchmaschine gänzlich gestreikt und alles Mögliche ausgespuckt, aber eben nicht was Breggerli bedeutete.

      Für Giuseppes Dienstherren, den Bischof, schienen die bisherigen Tage dagegen sehr anstrengend gewesen zu sein. Die vielen Besprechungen. Er hatte sich seit ihrer Ankunft verändert gezeigt, war ständig gereizt, nervös gewesen und schien von Sorgen belastet. Wahrscheinlich war er einfach überarbeitet. Nach Giuseppes Meinung sollte er mal etwas kürzer treten, schließlich war Eposito mit seinen 65 Jahren auch nicht mehr der Jüngste.

      Giuseppe liebte seinen Bischof. Eposito hatte ihn vor vielen Jahren quasi aus der Gosse geholt, am Stadtrand von Rom, wo er sich als Mitglied einer jugendlichen Straßengang herumgetrieben hatte. Diebstahl und Rauschgifthandel waren das Handwerk, von dem er damals etwas verstanden hatte. Als ihn die Polizei schließlich geschnappt hatte, war seine Akte irgendwie auf dem Tisch von Bischof Eposito gelandet. Wahrscheinlich reiner Zufall. Carlo Eposito hatte Giuseppe daraufhin in der Jugendstrafanstalt besucht. Sie hatten lange miteinander gesprochen. Als er seine Strafe abgesessen hatte, war der Bischof dagewesen, hatte ihn auf eine ordentliche Schule geschickt und seine weitere Ausbildung bezahlt. Es hatte eine klare Vereinbarung gegeben: Beim kleinsten Gesetzesverstoß wäre Giuseppe wieder auf der Straße gelandet.

      Heute, mit 31, war Giuseppe seit fünf Jahren der persönliche Fahrer Epositos und verehrte ihn wie seinen eigenen Vater. In Momenten vertrauter Zweisamkeit, wenn sie gemeinsam unterwegs waren, nannte er seinen Bischof schon mal gelegentlich Papà Eposito.

      Giuseppe litt mit seinem Dienstherrn. Dessen momentan schlechte Verfassung setzte auch ihm zu. Seit etwas mehr als einer Woche ging das nun schon so: Am vorletzten Samstag waren sie beide das erste Mal hier an der Villa vorgefahren. Es war frühmorgens, kurz vor neun Uhr, gewesen. Sein Bischof hatte ein Seminar leiten sollen. „Du kannst wieder fahren, Giuseppe“, hatte Eposito zu ihm gesagt, „mach dir einen schönen Tag und hol mich

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