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Und Sie sind der Leiter der Mordkommission Bamberg?“, wollte sie wissen.

      Der untersetzte Kriminalbeamte lachte auf. „Und Sie sehen wohl zu viele Kriminalfilme? So wie im Fernsehen läuft es im richtigen Leben bei uns nicht ab. Wir haben keine ständig besetzte Mordkommission. Erst, wenn tatsächlich ein gewaltsamer Todesfall vorliegt, gründen wir ein Ermittlungsteam und das wird von einem Kommissionsleiter geführt.“

      „Ist das denn der Fall? Ich meine, ein gewaltsamer Todesfall?“

      „Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben.“

      *

      Franziska saß auf ihrer weißen Ledercouch im Wohnzimmer und hatte aus Bequemlichkeit die Beine auf die Glasplatte ihres Couchtisches gelegt. Hühnertod hatte schon dreimal ganz aufgeregt auf ihren Anrufbeantworter gesprochen und um dringenden Rückruf gebeten. Das war ihr im Moment herzlich egal. Das ging ihr quasi am Arsch vorbei. Sollte er doch in der Hölle schmoren.

      Ihr ging das Bild des toten Kindes nicht mehr aus dem Kopf, das die Polizei schließlich aus der Regnitz geborgen hatte. Ein Mädchen, schätzungsweise zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Mehr war von der Polizei erst nicht zu erfahren gewesen. Als Franziska aber eine junge Beamtin entdeckt hatte, die sie noch von ihrem Bericht über einen früheren Todschlag kannte, hatte diese ihr verraten, dass das Kind möglicherweise gar nicht ertrunken sei. Dagegen sprächen die Hämatome am Hals der Toten, das hätte der anwesende Rechtsmediziner auf den ersten Blick festgestellt. Natürlich müssten erst die Ergebnisse der bevorstehenden Obduktion abgewartet werden, um dies mit Sicherheit sagen zu können, hatte die junge Polizistin Franziska noch mit auf den Weg gegeben. „Aber von mir haben Sie die Information nicht!“

      Auch Stunden später konnte sich Franziska nicht von dem Erlebnis an der Schleuse 100 lösen. Das tote Mädchen spukte in ihren Gedanken herum. Noch nie hatte sie eine Leiche, geschweige denn ein totes Kind fotografiert. Wo kam das Mädchen her? Hatte es hier in Bamberg gewohnt? War es hier zur Schule gegangen? Hatten seine Eltern schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben? War es tatsächlich ermordet worden? Aber warum und wie zum Teufel war die Leiche in die Regnitz gekommen? Fragen über Fragen. Morgen am Sonntag, um elf Uhr, hatte die Kripo in der Schildstraße 81 eine Pressekonferenz anberaumt. Sie musste unbedingt dorthin, wollte wissen, was dem Kind zugestoßen war.

      Sein tragischer Tod hatte ihr jedenfalls jegliche Lust auf einen geselligen Abend mit Freunden verleidet. Wie gut, dass die Sandkerwa heuer nicht stattfand. Wie hätte man bei Bier und Musik fröhlich feiern können, wohl wissend, dass ein kleiner, aufgeschnittener und wieder zugenähter Körper in einem Kühlfach des Instituts für Rechtsmedizin in Erlangen auf die Lösung eines möglichen Verbrechens wartete?

      Pressekonferenz

      Sonntag, 27. August

      Franziska Berger traf eine halbe Stunde vor elf Uhr an dem vierstöckigen Gebäude der Kriminalpolizeiinspektion in der Schildstraße ein. Der Wolfenbütteler hatte sie schon wieder genervt. Um 18 Uhr wollte er ihren Bericht für die Montagsausgabe haben. „Du kriegst die komplette erste Seite, Franziska“, hatte er gelokt, „und von mir aus auch die ganze dritte, wenn du sie brauchst. Bleib dran. Versuch, so viele Informationen wie möglich zu bekommen. Ich verlasse mich auf dich.“

      Das Getue nervte sie. Sie selbst wollte wissen, was mit dem toten Kind passiert war, und konnte dabei zum Glück von ihrem Presseausweis profitieren. Scheiß doch auf die Auflage der Zeitung. Menschlichkeit ging in so einem Fall vor Geschäft.

      Franziska kannte den Weg zum Presseraum der Kripo im Erdgeschoss. Es war schon allerhand los. Die meisten Kollegen der Konkurrenzblätter waren schon da. Der BR war mit einem Kamerateam vertreten. Schnell sicherte sie sich einen freien Platz in den vorderen Reihen. Alles war vorbereitet. Die Namensschildchen auf dem langgezogenen Konferenztisch vor ihr standen schon. Sie las von links nach rechts: Polizeimeister Helmut Vorndran, Aktenführer / Prof. Franziskus Stich, Rechtsmediziner und forensischer Anthropologe / Werner Grandjean, Kriminalkommissar und Pressesprecher / Harald Hagenkötter, Kriminalhauptkommissar und Kommissionsleiter. Auf der Stirnwand hinter der noch leeren Stuhlreihe prangte in großen Buchstaben Polizeipräsidium Oberfranken.

      Pünktlich um elf Uhr öffnete sich eine Seitentür. Die auf den Namensschildern Angekündigten hielten Einzug und nahmen ihre Plätze ein. Unruhe kam auf, Papier raschelte und die ersten Blitzlichter zuckten durch den Raum. Pressesprecher Grandjean griff nach seiner Brille, setzte sie auf seine Nasenspitze und sah über den Brillenrand in die Menge der anwesenden Journalisten. Es kehrte gespannte Ruhe ein. Alle hingen an den Lippen des Pressesprechers. Der ließ sich Zeit, bis auch der letzte Husterer, das letzte Schnäuzen verklungen waren.

      „Meine Damen und Herren von den Medien“, begann er, „ich heiße Sie herzlich willkommen hier in der Kriminalpolizeiinspektion Bamberg, auch wenn der Anlass dazu nicht gerade ein freudiger ist.“ Dann stellte er seine Kollegen links und rechts neben sich vor, bevor er zur Sache kam: „Wie Sie zwischenzeitlich alle wissen, wurde gestern gegen neun Uhr ein auf dem Linken Regnitzarm treibender weiblicher Leichnam entdeckt, den der Fluss in Höhe der Schleuse 100 angetrieben hat. Einem Jogger ist der Leichnam aufgefallen, er hat über sein Mobiltelefon unverzüglich die Notfallrufnummer 110 angerufen. Vor Ort stellte sich heraus, dass es sich bei dem Leichnam um ein Mädchen im Alter von vermutlich elf Jahren handelte. Die Tote war völlig entkleidet, persönliche Gegenstände wurden weder an ihrer Person noch im Umkreis der Fundstelle entdeckt, was unter anderem dazu führt, dass wir ihre Identität noch nicht feststellen konnten.“

      „Ist es richtig, dass das Mädchen einem Verbrechen zum Opfer fiel?“, schrie ein Reporter der Nordbayerischen Nachrichten ungeduldig dazwischen.

      „Lassen Sie uns bitte erst vollständig berichten, bevor wir auf Ihre Fragen eingehen“, wehrte Grandjean die Frage ab. „Aber so viel vorab: Ja, es ist richtig, dass unser Rechtsmediziner und forensischer Anthropologe, Herr Professor Dr. Stich, bereits am Fundort Würgemale am Hals des Opfers festgestellt hat. Herr Professor Stich und einer seiner Kollegen haben die Tote zwischenzeitlich in der Rechtsmedizin Erlangen obduziert und der Herr Professor wird Sie gleich über die wesentlichen Erkenntnisse seiner Untersuchung informieren.“ Ein langer Blick fiel über den Brillenrand auf die versammelte Presse. „Kommen wir noch einmal kurz auf die Tote zurück: Bis jetzt liegen uns keine Vermisstenanzeigen vor. Wir tappen also im Dunkeln, um wen es sich bei dem toten Kind handelt. Was die Todesursache beziehungsweise die Gründe der Tat anbelangt, ermitteln wir in alle Richtungen, von Menschenhandel bis zum Sexualdelikt. Zu Todeszeitpunkt und -umständen bitte ich nun Herrn Professor Stich um seinen Bericht. Herr Professor?“

      Der Rechtsmediziner sah in die Runde und räusperte sich. Er hatte bisher geradezu teilnahmslos gewirkt, fast wie ein Fremdkörper in der illustren Runde. Sein faltiges Gesicht ruhte aufgestützt in seinen Fingern. Sein Blick über den dicken Tränensäcken hatte irgendwo an der Decke gehangen, doch nun angesprochen kam Leben in seine stahlgrauen Augen und er ergriff das Wort: „Die Frage lautet doch: Ist das Kind in der Regnitz ertrunken oder wurde es bereits tot in dem Gewässer abgelegt, was man im Übrigen als Leichen-Dumping bezeichnen würde. Sprechen wir zuerst über das Ertrinken an und für sich: Der Tod tritt hierbei nach fünf typischen Phasen ein. Die kritischste ist die Phase drei, Dyspnoe genannt. Dabei ist der Ertrinkende bereits unter Wasser geraten und sein Körper versucht früher oder später zwangsweise, das letzte Mal nach Sauerstoff zu schnappen. Doch es ist bereits zu spät. Bei diesem letzten Luftschnappen wird Wasser aspiriert, das sich dann in den Atemwegen mit Luft und Schleim vermischt. Nur ein noch lebender Körper zeigt diese Reaktion. Ich meine dieses letztmalige, verzweifelte Schnappen nach Sauerstoff.“ Professor Dr. Stich ließ den Mund auf- und zuklappen wie ein Fisch. „Wird dagegen ein bereits toter menschlicher Körper im Wasser abgelegt, bleibt dieses letzte Luftschnappen verständlicherweise aus. Beim Tod durch Ersticken hingegen, zum Beispiel wenn jemand erdrosselt wird, zeigen sich andere Symptome, sogenannte Tardie’sche Flecken. Auffällige Erstickungsblutungen unter dem Lungenfell – wie im Fall unserer weiblichen Leiche. Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis meiner Untersuchungen eindeutig: Das Mädchen war bereits tot, als es in den Fluss geworfen wurde. Das heißt, wir sprechen von einem gewaltsamen Tod, vermutlich

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