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die grauen Löckchen.

      Komm, Marion. Es ist Frühling.

      Wie im Traum, in dem das geschieht, was heimlich sich öffnende Schichten des Herzens erwartet haben, oder auch wie ein Kind, das noch Wunder erlebt, nahm der Wartende eine Frauengestalt wahr. Sie kam mit ihren Schritten, die der Erde nicht weh taten, über den Gartenweg der Kreuderstraße 3. Die Vögel sangen über ihr in den Zweigen, und der Himmel war matt und hell, voll Abschied und Werden. Die Rosenknospe des Tores gab sich in Marions Hand, das Tor ging auf und zu, Wichmann hörte sein leises Klicken durch die Sonntagsstille. Frau Grevenhagen trug ein schwarzes Tuchkostüm, der Kragen der englischen Bluse schloß sich um ihren Hals. Die behandschuhte Rechte trug eine sehr kleine Tasche.

      Wichmann hörte das Klopfen des eigenen Blutes, das ihm durch die Adern schlug. Als die Klingel der Wohnung schellte, war er aufgestanden. Er stand mitten im Zimmer, ohne mehr etwas zu sehen. Aber sein Gehör war scharf geworden, wie das des Tieres, dessen Leben vom Erlauschen des Geschehens abhängt.

      Er vernahm Marthas flinkes Laufen, das Öffnen der Sicherheitsschlösser – ein Eintreten – den Klang einer Stimme – und Schritte – wieder eine Tür, nahe der seinen – auch diese öffnete und schloß sich.

      Martha klopfte und kam in das Zimmer des Assessors herein, im Satinkleid, mit weißer steifer Zierschürze. Ihre Augen blickten erregt, sie überreichte die Karte.

      »Frau Ministerialrat Grevenhagen – Frau Geheimrat ist leider ausgegangen – Frau Grevenhagen bittet in diesem Fall, Herrn Dr. Wichmann zu sprechen …«

      Wichmanns Füße setzten sich mechanisch in Bewegung. Martha wich aus. »Im Salon der gnädigen Frau …«

      Wichmann wußte es längst.

      Er ging hinüber wie ein Junge in das Weihnachtszimmer. Mephisto ging neben ihm her … »Schafft mir die Dirne …«

      Frau Marion Grevenhagen saß auf einem steifen, mit hellgelber Seide bezogenen Empiresesselchen. Auf ihrem Schoß lag die kleine eidechsenlederne Tasche. Sie hatte den rechten Handschuh ausgezogen und reichte ihre Hand.

      »Gnädige Frau?«

      »Darf ich Sie um einen kleinen Dienst bitten, Herr Dr. Wichmann? Ich habe Verwandten der Frau Geheimrat von Sydow versprochen, einen Gruß persönlich zu überbringen.« Die Tasche öffnete sich, Frau Grevenhagen überreichte ein Kuvert, das einen Briefbogen, vielleicht eine Photographie, zu enthalten schien. »Sie sind so freundlich, die Übermittlung zu übernehmen? Ich glaube, daß Frau von Sydow aus dem Begleitschreiben alles ersieht. Es handelt sich wohl um eine alte Photographie, ein Andenken. Mein Gatte und ich haben das Ehepaar, um das es sich handelt, bei einer unserer letzten Wochenendtouren zufällig getroffen, dabei kam die Rede auf Frau von Sydow.«

      »Ich werde den Brief gern übermitteln, gnädige Frau.«

      Wichmann zog die Brieftasche und legte den Umschlag hinein. Dort war der Brief neben einem kleinen Zettel verwahrt: »Boston nach der Pause. M. G.«

      Oskar Wichmann stand vor der Geliebten und sah sie an.

      Seine Augen konnten nicht mehr schweigen, und die Frau wich der Sprache seiner Blicke nicht mehr aus. In dem Alleinsein mit dem Weib schüttelte ihn die Leidenschaft. Die Zucht überkommener Vorstellungen spannte ihn auf die Folter.

      »Sie waren lange nicht bei uns, Herr Doktor. Auf einmal sind Sie wiedergekommen. Warum?«

      Die Frage, die den Konversationston zu durchbrechen schien, riß das Schloß auch von Wichmanns Zunge.

      »Warum? Gnädige Frau, Sie wissen nicht, was Sie fragen. Aber wenn Sie mich anhören wollen wie ein Bild im Tempel, vor dem man alles sprechen kann und das alles zu hören vermag in stummem Gewährenlassen … wenn Sie wie dieses Bild vor mir sein wollen, dann will ich versuchen – zu stammeln. Der Strom drängt und staut sich zu stark auf einmal in meinem Innern – ich kann nicht zu dem glatten Fluß der Rede kommen – wenn Sie die Phantasie eines Fiebernden nicht langweilt, so erlauben Sie mir, laut von Ihnen zu träumen.

      Ich sehe Sie wie ein Kind, Frau Marion, ich begegne Ihnen in einem Märchen. Es ist Morgen, die nassen alten Steine des Schlosses schlafen noch und beginnen erst mit bemoosten Augen zu blinzeln. Die Wipfel des Waldes rings singen vom Meer. Die Nixe, die das Licht auf den Grund des Sees gebannt hat, lauscht und weint nach der Ferne, und der alte Nöck streicht ihr Haar und raunt von dem Geheimnis der Wasser, die in tiefer Erde alle Brüder sind. Weiße Rosen schwimmenauf dem Spiegel, der das Bild des Himmels sucht. Sie gehen um den See, Marion, und das Schilf neigt sich, Sie singen leise in dem Dunkel der Bäume, und vergessene Gräber unter Wurzeln geben Ihnen ihr Geheimnis. Wenn die Nacht wiederkommt, schauen Sie aus alten Mauern nach den Sternen. Ihr Blut ist heiß, Ihre Lippen sind kühl – und der Wind streicht durch Ihr Haar, er kostet den Duft und mischt ihn mit dem heimlichen Atem der Blüten. Sie sind ein Wunder, Marion, und Sie gehen fremd unter uns wie eine Verwandelte und ich bin scheu und fürchte mich, Sie zu sehen, wie das Kind, das vor dem Geheimnis der Feen flieht und es doch nicht lassen kann, sie zu suchen. Haben Sie Geduld mit mir. Es gibt Dinge, die für Sterbliche tödlich sind.«

      Frau Marion stand auf, in dem schwarzen knappen Kostüm, über dem dunklen Haar den sammetweichen, glänzenden Hut, Bote aus dem Hause eines alten Zauberers, der seine Tochter verkleidet unter die Menschen gesandt hat, um sie eines Nachts wieder in die Lüfte zu entführen. Sie war auf Wichmann zugetreten und sah ihn mit regungslosen, geöffneten Augen an. Ihre Hände hoben sich und legten sich an seine fiebernden Schläfen. Er spürte die weiche Kühle wie der Schiffer die grünen Wellen des Sees, ohne Widerstand, unfähig zu handeln. Seine Arme hingen schlaff und schmerzend, sein Mund war trocken. Er sah auch ihre Augen, nicht mehr, aber ihre Hände nahmen ihn in das Nichts und das All, in dem er versinken mußte.

      Als sie ihn losließ und stumm an das Fenster trat, schlug ein Feuer in seinem Innern empor.

      »Marion …«

      Er stand hinter ihr. Seine Lippen waren zusammengepreßt, er biß darauf, bis sie bluteten. Seine Finger hatten sich verkrampft wie die eines Irren. Der Schweiß trat ihm auf die fahl gewordene Stirn.

      »Marion …«

      Sie mußte seinen heißen Hauch fühlen. Als ob sie ihn fürchte, blieb sie an dem hohen Fenster stehen. In dem Manne raste der Wunsch, sie zu umarmen. Aber das Fenster schützte sie; ein kümmerlicher Rest von Überlegung sprach noch in ihm: Ihr dürft nicht gesehen werden …

      Sie glitt wie eine fliehende Katze an ihm vorbei, und als er sich umwandte, stand sie neben der Tür an der Wand. Der Mann wußte nicht mehr, ob er sie liebte oder haßte, und mit der Grelle eines Scheinwerfers leuchtete sein aufwachendes Bewußtsein sie ab. Schwarz stand sie an der hellen Wand, vor der zierlich steif gemusterten Tapete, unter dem weißen Rahmen des Stiches, den keltische Grazie mit Lüsternheit gestochen hatte. Ihre Schultern zogen sich noch einmal mit jener Bewegung zusammen, die alle Säulen der Vernunft stürzen konnte, aus ihren Augen leuchtete das Tier, unschuldig, schamlos. Ihr Körper war weich, ihre Hüften waren schmal und beweglich, um ihre Lippen legte sich das Wissen, während die Augen sich schlossen.

      Wichmann kam näher. Sie sollte in seinen Armen zum Kusse mit ihm vergehen.

      Da hob sie die Wimpern, und die Tränen liefen langsam über ihre Wangen.

      Den Mann verließ die Kraft, er fühlte, daß seine Knie versagten und daß seine Hand eine Stütze faßte.

      »Marion … Ich bitte dich …«

      »Warum quälen Sie mich? Ich bin gekommen, Ihre Hilfe zu suchen.«

      Wichmann schwindelte es. Er legte die Hand vor die Augen und tastete nach der Lehne des Stuhls. Dann stand er auf wie ein Mensch, dessen Fieber geschwunden ist und der noch vor Schwäche taumelt.

      »Verfügen Sie über mich …«

      Das waren Worte, die er schon einmal über die Lippen gebracht hatte. Jetzt klangen sie müder.

      Sie löste sich von der Wand und ging mit ihren Schritten, deren natürliche Geschwindigkeit durch den Zwang des Schuhs behindert war, zurück zu der Mitte

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