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des Schuldscheins geschrieben sein könne. Aber wie? Wer konnte zu einem Zettel aus Marions Notizbuch gekommen sein? Wichmann hatte auch davon ein Zweitstück, mit der Angabe des Gutskontos. Die Zettel stimmten haargenau überein. Aber die Schrift, nein, die Schrift war wirklich verschieden. Also hatte doch jemand gewagt, Marions Schriftzüge nachzuahmen?

      Wer?

      Borowski oder Nathan konnten sich einen solchen Zettel kaum verschafft haben, und woher sollten sie Frau Grevenhagens Schrift kennen? Es war auch unwahrscheinlich, daß ein zweiter einen Notizblock derselben Art besaß, da er englisches Erzeugnis zu sein schien.

      Sonderbar.

      Wer war denn nun der Schuft? Oder hatte Marion selbst ihre Schrift verstellen wollen? Dann wäre es leicht gewesen, sie noch viel mehr zu verändern.

      Sollte Wichmann die beiden Proben einem Schriftsachverständigen vorlegen? Nein. Der Name Grevenhagen war zu kostbar dafür und die Sache nicht mehr wichtig genug. Größere Dinge waren unterdessen geschehen.

      Der Assessor barg die Papiere wieder in seiner Brieftasche.

      Dann öffnete er den Schreibtisch, holte die Duplikate des Wertpapierverzeichnisses und des Kontoauszuges hervor, die ihm seine Bank zugesandt hatte, und rechnete mit Hilfe des Kurszettels.

      Sein Vermögen reichte für die Kreditgewährung aus. 1500 RM konnte er sogar noch für sich behalten.

      Morgen wollte er die Angelegenheit auf der Bank regeln, ehe er sich in den Dienst begab.

      Als Oskar Wichmann am Morgen in dem Schalterraum der Bank stand, konnte er sich der nüchternen Feierlichkeit des Nur-Geschäftsmäßigen nicht ganz entziehen und legte das Verzeichnis der zu übereignenden Wertpapiere und des Spitzenbetrages in bar mit der verborgenen Unruhe eines Verbrechers vor. Er stand etwas steifer als sonst, sein Blick war schärfer, wie in Abwehr gemutmaßter Schwierigkeiten. Seine Stimme hatte etwas gewollt Gleichgültiges. Der ältere Bankbeamte las das Verzeichnis und die Angabe des Kontos, dem der Wert überwiesen werden sollte, und prüfte die Kurse nach. Er erlaubte sich, die Brauen hochzuziehen und Oskar Wichmann anzusehen, aber er sagte nichts und schob dem Kunden den Block mit dem vorgedruckten Überweisungsformular hin. Als Wichmann ausgefüllt und unterschrieben hatte, wurde seine Anweisung weitergegeben. Er hörte gedämpfte Bemerkungen der Beamten untereinander; der ältere, der ihn bedient hatte, wandte den Kopf noch einmal halb, ein letzter erstaunter Blick traf Wichmann, dann war der Auftrag im Geschäftsgang.

      Oskar Wichmann bereute es nachträglich, bei der Überweisung auf das Gutskonto hinzugefügt zu haben: »Für Frau Marion Grevenhagen.« War es notwendig, ihren Namen den tuschelnden Bankleuten preiszugeben? Aber Wichmann kannte den Namen des leichtsinnigen Bruders nicht.

      Der Weg zum Ministerium war von der Bank her weiter als von der Kreuderstraße. Wichmann gelangte zu der Ostseite des Königsplatzes, und da die Zeit längst über die Stunde des Dienstbeginns hinaus drängte, erlaubte er sich, gleich den Haupteingang zu benutzen. Der Fahrstuhlführer grüßte freundlich und ließ den Assessor in den Aufzug eintreten; er drückte auf den Knopf, und schon war der zweite Stock erreicht.

      Wichmann wollte den grauen Korridor entlanglaufen und gedachte einen Moment des Tages, an dem er zum erstenmal seine Schritte hierher gelenkt hatte. Trotz seiner Verspätung blieb er eine Sekunde stehen und schaute aus der Erinnerung heraus nach dem elektrischen Lichtschein aus dem Melde- und Botenzimmer und nach den hohen hellgrauen Türen rechter Hand. Überrascht stockte sein Fuß, den er schon wieder hatte in Bewegung setzen wollen. Vor dem Raum Nr. 411, in den man nur durch das Vorzimmer einzutreten pflegte, stand ein Herr in dunkelgrauem Anzug, eine Aktenmappe unter dem Arm, mit etwas seitlich gehaltenem Kopf, als ob er lausche. Seine mittelblonden Haare wuchsen frisch gewaschen in die Höhe. Er sah sich jetzt schnell nach beiden Seiten um, jedoch nur sehr flüchtig und ohne Wichmann zu bemerken. Dann machte er zwei Schritte auf den Zehenspitzen an die Tür heran, duckte sich und spähte durch das Schlüsselloch.

      Wichmann war starr, nicht nur aus dem Bestreben, unbeobachtet zu bleiben. Das Bild, das er von Art und Benehmen eines hohen Beamten aus seinem Vaterhause mitgebracht hatte, erhielt einen kräftigen Stoß. War es möglich? Herr Ministerialrat August Nischan lauschte und spitzelte an den Türen seiner Kollegen.

      Es war ein widerlicher Anblick.

      Wichmann ging weiter und ließ seine Schritte absichtlich hören. Nischan entfernte sich von der Tür, lief Wichmann noch voraus um die Ecke herum und verschwand in der Handbücherei.

      Der Assessor suchte sein Zimmer auf. Die Ulmen im Hof standen noch kahl und streckten die Spitzen ihrer Zweige sehnsüchtig in die Morgensonne. Über die Fliesen zwischen den Rasenbeeten lief ein breitschultriger Heizergehilfe, der neu eingestellt war und zu Wichmanns Verdruß den alten Hauskater zu ärgern pflegte.

      Wichmann arbeitete nach langer Zeit zum erstenmal wieder mit sachlichem Interesse.

      Er war nicht erfreut, als um halb elf Uhr Fräulein Hüsch ungerufen bei ihm eintrat, doch mußte er sich gestehen, daß er in dem Leichtsinn glücklicher Erwartung diesem Mädchen mehr Liebenswürdiges gesagt und mehr für sie getan hatte, als daß ihr seine Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Person noch wahr erscheinen konnte. Freundlich aus einem gewissen Schuldbewußtsein bot er den Stuhl an. Die Bibliothekarin trug heute das Kostüm, in dem er sie kennengelernt hatte.

      »Wie geht’s Ihnen denn, Herr Wichmann?«

      »Danke – gut!«

      »Sie sind jetzt immer so komisch. Die Kollegen beklagen sich über Sie, aber ich kann mich ja nicht beklagen, und ich möchte Sie heute warnen. Wissen Sie etwas über Ihre Ernennung?«

      »Ich habe mich darum nie gekümmert.«

      »Das scheint so. Aber vielleicht wär’s ganz gut, wenn Sie sich jetzt mal drum kümmerten.«

      »Warum? Was gibt’s denn für neue Gerüchte?«

      »Sehr ernsthafte. Die Sachen werden dieser Tage unterschrieben. Und … na, ich möchte Sie ja nicht unnütz aufregen …«

      »Das wird Ihnen auch nicht so leicht gelingen.« Trotz dieser Versicherung rückte Wichmann nervös an den Buntstiften, deren Farbe an Dienstgrade gebunden war.

      »Aber Sie müssen doch mal was tun, ehe es zu spät ist. Sie scheinen nämlich von der Liste verschwunden zu sein.«

      »Ach? Auf ebenso wunderbare und plötzliche Weise, wie ich damals auf die Liste gesetzt worden sein soll?«

      »Ja! Das kann vorkommen. Also überlegen Sie sich, was zu tun ist. Sie können doch mit Grevenhagen reden. Ich an Ihrer Stelle ginge sofort zum Chef.«

      »Es wird sich alles historisch abwickeln, gnädiges Fräulein. Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«

      »Nein, danke. Ich muß dem Korts noch einen Besuch machen. Ist es übrigens wahr, daß Schildhauf seine Freundin abgeschafft hat.?«

      »On dit.«

      »Hi … hä … Schildhauf ist kein übler Mensch. Mögen Sie ihn?«

      »Nicht ungern.«

      »Na, wir werden ja sehen. Also Hals- und Beinbruch! Bleiben Sie nicht so apathisch. Der Borowski soll sich nicht freuen können, daß Sie sitzenbleiben! Dieser Kerl als Regierungsrat und Sie immer noch Assessor, das wäre ja lächerlich! Also adio!«

      »Au revoir!«

      Als Wichmann wieder allein war, fing eine Saite in ihm an zu summen. Mit dem Regierungsratsgehalt hatte er gerechnet!

      Er ließ sich bei seinem Vorgesetzten melden. In der Viertelstunde, die er zu warten hatte, arbeitete er ohne rechte Konzentration weiter. Er sah häufig auf die Uhr. Um elf ging er hinüber in das Vorzimmer mit den hellen Möbeln und der schwarz gekleideten Sekretärin. Am Fenster standen zwei Hyazinthen, die in Rosa und Blau aufblühten. Die Tasten der Adlermaschine klapperten in rascher Folge.

      »Einen Augenblick bitte, Herr Assessor, Herr Ministerialrat Grevenhagen ist noch in Anspruch genommen.«

      Wichmann saß auf

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