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alles umfassende Gestalt annahm. Der Augenblick der Enttäuschung ging vorüber. Ägyptische Sonne gleißte zwischen rätselhaft steifen, Ahnen und Enkel überdauernden Säulen. Der Gesang des Menschen, herrlicher als alle Instrumente seiner Kunst, hob sich mit Flügeln. »Aida …«

      Entgegen den Gewohnheiten des Hauses rauschte der Beifall der offenen Szene entgegen. Das Mitschwingen der Körper setzte sich in ein Brausen der zusammenschlagenden Hände, in laute Schreie um. »Bravo … bravo!«

      Das Haus und die Bühne hatten sich vereinigt. Der Sänger setzte von neuem zu seinem Liebesliede an.

      Farbstrotzende Gewänder, in Rot, in Grün, in Blau, weißgekleidete Priester, braunhäutige Frauen mit langem Schwarzhaar, malerisch zerlumpte Gefangene wurden die Körper der jauchzenden, unbekümmerten Musik, die in immer neuer Fülle aus Kehlen und Saiten quoll.

      Im Dunkeln und Hellen, im Fallen und Steigen mischten sich die Klänge, hundert- und tausendfältig folgten sie sich und schlossen sich zusammen zu dem einen Leben, dem einen Traum, den der schwarzgekleidete Mann am Dirigentenpult dem Schöpfer des Werkes nachträumte, um ihn den Menschen wiederum mitzuteilen.

      Radames stand auf der Höhe seines Glücks. Er wußte sich geliebt von Aida, der Tochter des gefangenen Königs.

      Der Chor der Studenten hoch oben im letzten Rang schrie seine Wonne laut hinaus. Viele erhoben sich, der Lärm der Beglückten war wie ein Strom, der auf die Bühne zurücktrug, was von dort an beseligenden Klängen gekommen war. Der Feldherr des ägyptischen Königreiches und die schöne Sklavin verneigten sich vor dem Vorhang.

      Das Wort Pause konnte nicht das bezeichnen, was sich dann begab. Das Spiel ging fort. Der Rahmen des Kunstwerks selbst war lebendig und spielte sein eigenes Leben weiter in hell erleuchteten Gängen, im funkelnden Foyer, in den Spiegeln mit den vorbeischreitenden Bildern schöner Frauen, im leisen Wallen der Gespräche.

      Oskar Wichmann hatte gesehen, daß die Loge Nr. 7 verlassen worden war. Mit leisem Beben begleitete er die liebliche Heckenrose und den in Melodien versunkenen Gatten; langsam schreitend, kam man in der zum großen Foyer strömenden Schar vorwärts. Die Hände der Herren hielten die Programme. Frau Anna Maria trug anmutig den rosa Blütenstrauß; das Mündchen plauderte von der Schönheit der anderen Frauen und schämte sich auch kleiner Bosheiten nicht.

      »Gucken Sie, Herr Wichmann – die verhinderte Aida!« Eine fettquellende Dame im Brokat wandelte dahin.

      »So ungefähr müssen Sie sich Frau Lundheimer vorstellen.«

      »Ach so … die berühmte!«

      Der Eintritt zum großen Foyer wurde begonnen. Hoch oben, auf der schmalen Galerie, zwitscherten die Spatzen der oberen Ränge, Köpfe beugten sich herab, um den Rundgang der Insassen von Parkett und erstem Rang zu beobachten. Der Raum war groß genug, um trotz der großen Zahl der Besucher nicht übermäßig voll zu wirken. Die Gruppen konnten Abstand voneinander halten. Die Brokat-Aida mit ihrem schmalschultrigen Kavalier, jene schlanke Meergrüne und ihr Kometenschweif im Frack, ein allzu groß geratenes Hermelincape über allzu kurzem Rock. »… die einzelne Stockwerk sind ein bißle zu klein geraten!« wisperte Anna Maria.

      Endlich erkannte man eine Dame in Schwarz mit unbestimmt leuchtendem Haar und die stolze Gestalt ihres Gatten.

      Frau Anna Marias Fuß hielt an, und unwillkürlich legte sich ihre Hand an Wichmanns Arm, um ihn zurückzuhalten.

      »Oh, schauen Sie … komm Eugen, wir wollen ein bißle stehenbleiben oder sitze mir da her auf das Sofa … das Bild muß ich mir in Ruhe anschauen. Das ischt die Schönste … ischt das eine aparte Frau!«

      Wichmann küßte Frau Anna Maria Casparius die Hand, ohne daß sie ahnen konnte, warum.

      Er setzte sich mit ihr und dem Gatten auf das schmalsitzige rote Wandsofa zwischen den hohen Spiegeln und schaute hinüber, dahin, wo Marion Grevenhagen Hof hielt.

      »Guck, Eugen … wenn die singen könnte … das wär’ meine Aida. Sie hat das Ausländische und Geheimnisvolle … Ja schau no, das aparte Kleid, die schwarze Spitze und die weiche Schultern, wie des herunterfließt und wie sie die Rosen hebt, die schöne gelbe Rosen in ihre weiße Händ’ … und des merkwürdig schwarze Haar, das schimmert … Eugen! Du bischt ein Stock! Verliebscht du dich denn gar net ein bißle?«

      »Auf dein Geheiß, mein Ehegespons!«

      »Ach geh … Herr Wichmann, hab’ ich nicht recht?«

      »Vielleicht, gnädige Frau!«

      »Wenn ich ein Mann wär’ … ich würd’ mich auf der Stelle verlieben! Ob der große elegante Herr mit dem feinen Kopf ihr Mann ischt … der ihr jetzt den Pelz abnimmt?«

      »Da haben Sie nicht ganz falsch vermutet.«

      »Woher wissen Sie das? Sie kennen ihn doch nicht etwa?«

      »Ha, natürlich kenne mir den, Liebschte«, antwortete Kasper an Wichmanns Stelle. »Das ischt unser Herr und Meischter und hoher Chef Justus Grevenhagen. Der wird sich denke, daß er uns net erscht befördern braucht, wenn wir jetzt schon den erschten Rang zahle.«

      »Oje … lieber Mann – da müsse … da dürfen wir grüßen, wenn mir vorbeigehe?«

      »Des wird uns net erspart bleibe.«

      »Also das hätt’ ich wirklich net gedacht, daß es in eurem Minischterium auch solche Leut hat.«

      »Danke für das Kompliment, mein Herz. Aber die gnädige Frau Grevenhagen befindet sich auch nicht in unserem Minischterium. Mir begnüge uns schon mit dem Fräulein Hüsch.«

      »Die Frau Grevenhagen wär’ auch wirklich zu schad für euch. Du … sie schaut her!«

      Die beiden Herren und Anna Maria grüßten. Wichmann war aufgestanden. Frau Grevenhagen hob den Rosenstrauß und neigte den Kopf in die Blüten, als wolle sie den Duft noch einmal stärker spüren. Oskar Wichmann war nicht mehr auf der Erde.

      Von einer Lichtwolke seiner Stimmung umflossen, schwebte er neben dem irdisch-schwäbischen Ehepaar über das eingelegte Parkettholz des Foyers zu der Dame seines Herzens. Ein Kreis von Herren und Damen gab Zutritt, die Verbeugungen fanden statt, Wichmanns Lippen standen wieder über der Hand, die einer weißen Blüte glich.

      »Die Rosen sind eine große Aufmerksamkeit gewesen, Herr Dr. Wichmann. Ich habe mich darüber gefreut und danke Ihnen dafür.«

      Wichmann begriff nach diesen Worten, daß der Logenschließer geplaudert hatte. Der Regierungsassessor wurde rot wie ein ertappter Primaner, und da er diese Art und Weise seines Körpers, eine wortlose Beschämung zu gestehen, albern fand, errötete er nur noch mehr. Marions Gatte verzog leicht die Mundwinkel mit ein wenig Verstehen und ein wenig Spott. Wichmann fühlte sich ihm einen Augenblick unterlegen, zugleich besiegt und lächerlich. Er wand sich innerlich in diesem unerträglichsten aller Gefühle vor der bewunderten Frau.

      Marion aber war bei ihrem Dank ernst geblieben. In ihren Augen lag wieder das Schimmern brauner Moorseen, die in einsamer Stille brüten. Mochte der Gatte lächeln, Marion schämte sich der Rosen nicht. Wichmann sah das Diadem in ihrem Haar, den einfachen Platinreif mit dem Diamanten, aus dem tausend Feuer spielten. Es war das kostbarste aller Geschenke, das sie hatte erhalten können, aber wenn sie es mit unvergleichlicher und scheinbar unnahbarer Grazie trug, so schlossen sich ihre Hände doch weich und zart um die lebenden Rosen.

      »Gnädige Frau, ich bin sehr glücklich über Ihren Dank.«

      Wichmann fühlte die Blicke der Herren und Damen auf sich gerichtet. Sein Nacken hob sich, und seine Lippen schlossen sich fester in Abwehr gegen die Neugier.

      »Wir haben eben über die Oper als Kunstform gesprochen, Herr Wichmann« – Grevenhagens Stimme ging so leicht und schmiegsam wie ein feingeschliffener Stahl. »Wie denken Sie darüber?«

      »Schon, daß die Frage aufgeworfen wird, zeigt, daß die Oper eine Krise durchmacht …›durchmacht‹ ist schließlich ein Wort, das schon zuviel für den Ausgang Partei nimmt – es kann sein, daß

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