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große Rolle gespielt, die das Ganze dann auch begleitet haben. Man hat ganz gezielt die Leute aus der Westukraine nach Kiew geholt, die eigentlich mit der Kiewer Bevölkerung, also dieser halben Million Menschen, die da auf die Straßen gingen, nichts mehr zu tun hatten. Das wurde dann übernommen von organisierten Strukturen, die wirklich eine Revolution herbeiführen wollten. Und das waren zumeist aus der West-, aber auch Zentralukraine herbeigeschaffte Leute. Man muss sich auch keiner Illusion hingeben: Es gibt genügend Belege dafür, dass die Leute sowohl auf dem Maidan als auch auf dem Anti-Maidan entsprechend für ihre Aktivitäten bezahlt wurden. Es gab ganz normale Tagessätze. Und wenn man in einer Woche auf dem Maidan mehr verdiente als in einem Monat durch reguläre Arbeit irgendwo in der Westukraine, ja selbst in der Ostukraine (aber in der Ostukraine waren die Bezahlungen etwas besser), dann war es klar, dass die Leute ganz bewusst da standen. Viele standen da zunächst auch, weil sie bezahlt wurden. Und der ideologische Hintergrund hat sich damit immer mehr aufgebaut.

       In welchem Ausmaß? Wir haben dann Phasen der Eskalation, der Deeskalation erlebt, bis hin zur entscheidenden Woche, in der Janukowitsch im Beisein des deutschen Außenministers Steinmeier 22 , des französischen und des polnischen Außenministers am 21. Februar, also praktisch unmittelbar vor seinem Sturz, ja dieses Abkommen unterzeichnet hat, auch mit der Opposition. Entscheidend ist diese Woche vor dem 21. Februar. Der Höhepunkt war dann der Einsatz von Scharfschützen mit diesen fast 100 Toten. Wie haben Sie diese Situation, diese Woche erlebt? Und in welchem Ausmaß haben Sie den Eindruck, dass hier Kräfte gesteuert oder eine Rolle gespielt haben, die jenseits der Macht des Präsidenten lagen? Denn die Frage, wer die Scharfschützen eingesetzt oder beordert hat, ist ja in letzter Konsequenz bis heute nach wie vor nicht wirklich geklärt.

      Wir müssen uns, denke ich, von der emotionalen Ebene der Diskussion der Umstände entfernen und wirklich auf die Faktenlage sehen. Wir hatten ein Parlament, das nicht funktionsfähig war, es gab keine parlamentarische Arbeit mehr. Die Opposition hatte sich dieser schon seit 2012 mit zunehmender Härte verweigert. Das heißt, wir hatten keine politische Ebene mehr, auf der es einen wirklichen demokratischen Dialog zwischen Opposition und Regierung gab. Es wurden nur noch Gespräche in Hinterzimmern geführt, wo allen Beteiligten auch klar war, wer auf der Seite der Regierung stand, für Janukowitsch verhandelte, und wer auf der Seite der Opposition war, welche Oppositionsführer verhandelten, da müssen wir uns auch nichts vormachen. Diese Verhandlungen gab es, täglich, seit 2012. Die Eskalation … Es gab auf beiden Seiten bei vielen kein Interesse mehr daran, die Situation friedlich zu lösen. Es gab Jazenjuk23 und Kljujew, die von beiden Seiten versucht haben, mit Vereinbarungen noch irgendwie Ruhe zu schaffen. Es gab aber Tjahnibok24 und den Prawij Sektor25, die überhaupt nicht bereit waren zu irgendwelchen Kompromissen. Und es gab eine Janukowitsch-Seite mit dem Innenminister Sachartschenko, dem Generalstaatsanwalt Wiktor Pschonka, dem ältesten Sohn von Janukowitsch, Aleksandr Janukowitsch, die mussten unbedingt die Macht erhalten. Und aus dieser Gemengelage kann man die Phasen erklären. Warum jeweils die eine Seite das Ergebnis der anderen nicht akzeptieren wollte. Und Janukowitsch hat sich, das sehen wir ja immer in solchen Umsturzsituationen, bis zum letzten Moment an seine Macht geklammert. Janukowitsch hatte sich, das wissen wir jetzt, schon vier, fünf Tage bevor das Abkommen mit den europäischen Außenministern verhandelt wurde, entschlossen, Kiew zu verlassen. Also quasi zu flüchten. Seine eigenen Leute, seine eigenen Abgeordneten, seine eigene Regierung waren darüber nicht informiert. Die Oppositionsführer konnten in der aufgepeitschten Situation auf dem Maidan das Abkommen auch nicht durchsetzen. Dementsprechend war die Situation. Es gab sowohl auf der Seite des Maidans Leute, die die Situation bis zum Ende führen wollten, wie auch auf der Seite von Janukowitsch. Außerdem wissen wir, dass es seit November von der russischen Seite her Druck gab, Ordnung zu schaffen und diesen Maidan nicht zuzulassen, wenn nötig mit Gewalt. Janukowitsch hat sich dem sehr lange aufgrund dieser Divergenzen in seinem Umfeld verweigert, eine Entscheidung zu treffen. Er wollte den Schritt der Gewaltanwendung zunächst nicht gehen, obwohl es da auch sehr starken Druck von Russland und vom Innenminister her gab. Gleiches gab es auf dem Maidan. Auch da gab es Leute, die das wollten: Eine Revolution fordert Tote. Ohne Tote gibt es keine Revolution. Deshalb fand der erste Schritt des Rechten Sektors auf der Gruschirvskaja Straße und mit dem versuchten Sturm auf den Ministerrat und das Parlament Mitte Januar statt, als es diese großen Flammen und diese Straßenschlachten rund um das Ministerkabinett gab, bei denen es die ersten Toten gab. Wobei bis heute ebenfalls nicht aufgeklärt ist, wie es zu diesen zwei Toten kam, die übrigens keine Ukrainer waren. Es wurde gesagt, das wären schon Scharfschützen gewesen. Untersuchungsberichte belegen aber, dass sie aus kürzester Distanz erschossen worden waren. Also die Frage … Diese ersten Toten haben nicht zu dem Ergebnis des Umsturzes geführt. Das war nachher, dementsprechend brauchte man auch auf der Seite des Maidan eine weitere Eskalation. Deshalb ist die Frage der Scharfschützen so wichtig. Was wir auch verfolgen können, ist, dass keine Berkut-Leute26, die damals ebenfalls auf der Straße standen, das Feuer eröffnet haben. Sie haben selbst die Scharfschützen gesucht und es wurden von den Scharfschützen ja auch Leute von der Miliz erschossen. Die Scharfschützen haben in beide Richtungen geschossen. Das wiederum stützt die These, dass es sich um eine dritte Kraft handelte. Wer aber die dritte Kraft war, kann niemand erklären. Wenn man sich die Interessenslage ansieht, gab es auf Seite von Janukowitsch kein Interesse daran, diese Scharfschützen einzusetzen. Es gab sie aber auch nicht bei der damaligen Parlamentarischen Opposition, also Batkiwschtschina und UDAR. Wer es war – wir werden es vielleicht nie erfahren, wie sie es auch in anderen Ländern nie erfahren haben. Das Leid und die Trauer über die hundert Toten werden ewig bleiben.

       Der Sturz von Janukowitsch löste de facto eine Kettenreaktion aus. Eine Woche später begann ein Umsturz auf der Krim. Im März ging die Krim nach dem Referendum und der De-facto-Annexion durch Russland verloren. Wir haben dann weiter das Problem der Ausdehnung prorussischer Demonstrationen, zunächst in Charkiw und auch Dnipropetrowsk, dort wird das dann unter Kontrolle gebracht. Die beiden wirklich zentralen Punkte, auf die sich das heute konzentriert, sind Lugansk und Donezk. Und zwar nicht nur die Städte, sondern eigentlich auch die Oblaste 27 . Was ist Ihre Erklärung dafür, dass es vor allem in diesen beiden Oblasten nicht gelungen ist, dieser Entwicklung Herr zu werden? War das etwa in der Oblast Donezk vielleicht auch noch ein gewisser Janukowitsch-Faktor? War es in beiden Oblasten der Punkt, dass regionale Eliten, die ja auf ein Angebot aus Kiew gewartet haben, die Abspaltungstendenzen, die Rebellen unterstützt haben und denen dann quasi diese Bewegung entglitten ist? Was ist da Ihre Einschätzung?

      Ich möchte zunächst auf die Frage der Krim zurückkommen. Die Krim hat als autonome Republik vorher schon, hat immer die Bestrebung gehabt, sich loszulösen. Auch unter Janukowitsch. Und es hat die Janukowitsch-Regierung extrem viel Mühe und finanzielle Mittel gekostet, die Krim bei der Ukraine zu halten. Es hat immer wieder Überzeugungsarbeit gefordert, um diese separatistischen Bestrebungen auf der Krim nicht weiter aufflammen zu lassen. Das dürfen wir wirklich nicht vergessen. Man hat es nur mit Dialog und viel Geld zu verhindern gewusst.

      Die Situation nach dem Februar im Osten der Ukraine: Wir müssen uns überlegen, wer die Gouverneure waren, wer die starken Figuren waren und welche Mittel sie eingesetzt haben. Wir haben die Situation gehabt, dass Timoschenko im Februar, als sie, kaum aus dem Gefängnis raus, in der nationalen Sicherheitsratssitzung hinter verschlossenen Türen selbst angedeutet hat, wer eigentlich die Gouverneure in den Regionen des Ostens werden sollten. Es war ihr Vorschlag mit Kolomojskij28 und sie hatte eigentlich vorgesehen, dass Achmetow29 Gouverneur in Donezk werden sollte. Achmetow hat damals abgelehnt. Und dementsprechend gab es keine starke Figur in Donezk, die es machen konnte. Taruta30, der eigentlich Lugansk machen sollte, hat dann Donezk übernommen, aber er wurde von den örtlichen wirtschaftlichen Eliten nie als einer der ihren angesehen, sondern war eigentlich von da verdrängt worden. Das heißt, die regionalen wirtschaftlichen Eliten, Achmetow und andere, haben für den Erhalt ihrer Macht gekämpft. Einer ganz bestimmten. In Dnipropetrowsk hatten wir Kolomojskij, der von vornherein auch mit sehr vielen nicht rechtsstaatlichen Mitteln und Gewalt jede Bewegung unterdrückt und die wirtschaftliche Elite im Osten unter Druck gesetzt hat. Wir hatten das Gleiche auf eine andere Art und Weise in Charkiw mit dem regional sehr starken Kernes31, dem Bürgermeister von Charkiw, der ebenfalls dafür gesorgt und sich mit den Russen auch geeinigt hat, dass es da nicht zu größeren Zerstörungen kam, größeren Druck gab.

      Außerdem

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