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erhöht.

      Für Russland spielt die Ukraine eine geopolitische Rolle. Das ist ein ganz wesentliches Element. Geopolitisch ist die Ukraine wegen ihrer Rolle als Tor zum asiatischen Raum wichtig, der sowohl für die Europäische Union als auch für Russland von erheblicher Bedeutung ist.

      Ein anderer Punkt, der wichtig für Russland ist: In der sowjetischen Zeit hat man die Ukraine als technisches Gehirn Russlands bezeichnet. Ingenieure oder Ingenieurschmieden waren in Charkiw, Dnipropetrowsk, dort kam die ganze Militärtechnik her, da kam die neue Entwicklung her. Man brauchte diese Ingenieure, man brauchte diese Zentren. Aus sowjetischer Zeit erhalten ist auch, dass die Produktion für wesentliche Elemente des militärischen Industrie-Komplexes vor allem im Ostteil der Ukraine platziert war. Es gibt bis heute kleine Waffenschmieden, die für die russische Militärwirtschaft existenziell sind, die gerade im Osten der Ukraine liegen. Ein Raketenantrieb scheitert manchmal am kleinsten Teilchen, das in Handfertigung produziert werden muss. Zum Beispiel befand sich eine solche Fabrik in Snezhny und nur Leute mit zwanzigjähriger Ausbildung sind in der Lage, diese Teile zu produzieren. Und Russland brauchte diese Industrie.

      Gleichzeitig, und das haben wir natürlich in anderen Bereichen auch gesehen und sehen wir jetzt noch, haben die Russen, die selbst einen extremen Modernisierungsmangel haben, wirkliche wirtschaftliche Bedenken, die auch begründet sind. Eigentlich hatten sie sich von einer Kooperation mit der EU gerade eine Modernisierung ihrer Wirtschaft erhofft, die aber nicht gekommen ist. Jetzt befürchtet Russland, dass Industrieprodukte niedriger Qualität, wie sie in der Ukraine produziert werden, durch EU-Produkte vom ukrainischen Markt verdrängt und nach Russland gebracht werden. Wir sehen das Gleiche übrigens mit Produktionen aus Bulgarien, Ungarn, Rumänien, aber auch baltischen Staaten, wo die Europäische Union es nicht geschafft hat, die Industrien, die Märkte komplett so zu orientieren, dass sie nach Westeuropa exportieren. Die traditionell und nach wie vor erhaltenen Märkte für diese neuen Mitgliedsländer der Europäischen Union sind die ehemaligen GUS-Länder, Russland, die Ukraine vor allem. Also die ganz großen. Und es gibt einen Verdrängungswettbewerb. Wir haben eine Überkapazität an Produktion in Westeuropa, wir exportieren nach Osteuropa. Osteuropa muss aber seine Produkte auch an den Mann bringen und exportiert dann eben wieder auf weiter östlichere oder afrikanische Märkte. Aber es gibt immer einen Verdrängungswettbewerb. Russland befürchtet, dass die Modernisierung der ukrainischen Industrie dazu führen wird, dass es eine Überkapazität auf dem ukrainischen Markt geben und dann nach Russland exportiert wird. Statt zum Beispiel die nationale Landwirtschaft in Russland zu entwickeln, wird das Ganze dann in der Ukraine produziert und nach Russland gebracht. Das nur als kleines Beispiel.

      Im Dezember 2012 haben Sie in dieser Broschüre über die Beziehung zwischen der Ukraine und der EU eine Umfrage veröffentlicht, wonach insgesamt 48 % der Ukrainer damals für die EU-Annäherung, für eine Art EU-Integration waren. Spätere Umfragen haben dieses Bild gestärkt oder bestätigt, allerdings auch mit einer enormen regionalen Streuung: von 80, 90 % in der Westukraine bis weit unter 40 % in Lugansk beispielsweise. Wie sehr waren gerade Janukowitsch und die Partei der Regionen entscheidend dafür, dass man die Ost- und Südukraine auf EU-Kurs halten konnte, die traditionell eben sehr stark auf den russischen Markt orientiert war, aber auch natürlich enorm starke kulturelle Beziehungen zu Russland hatte (auch persönliche, Verwandtschaft usw.)? Wie stark war das? Und wie katastrophal haben sich dann im Gegenzug der Sturz von Janukowitsch und damit eigentlich auch das Wegbrechen oder weitgehende Zusammenbrechen dieser Partei ausgewirkt?

      Es gab mehrere Flügel in der Partei der Regionen. Es gab den europäischen Flügel rund um Andrij Kljujew, Leonid Koschara15, den ehemaligen Außenminister, die sehr stark dieses Drängen nach Europa betrieben und auch eine enorme Kampagne gefahren haben, um die Leute in der Ostukraine eben davon zu überzeugen, dass diese Europäische Union zu ihrem Vorteil ist. So etwas bleibt nicht ohne Folgen und die Leute verstehen es. Es hat sehr viel Mühe gekostet, auch die Politiker aus dieser Region davon zu überzeugen, dass eine europäische Annäherung auch in ihrem Interesse ist. Das braucht Zeit und hat dazu geführt, dass die Leute es aber mit der Zeit auch mehr und mehr akzeptiert oder hingenommen haben, dass es so ist. Daher kommen die hohen Zahlen.

      Es gab im Oktober 2013 einen Brandbrief von Unternehmern, vom Unternehmerverband in der Ukraine, unter Führung von Herrn Kinach16, der damals gesagt hat: Wir können mit unseren Unternehmen heute dem Europäischen Druck nicht standhalten und bitten dringend um eine Aussetzung dieser Unterschrift. Denn wenn jetzt die europäischen Unternehmen mit ihren Produkten auf unseren Markt kommen, gehen unsere heimischen Unternehmen kaputt. Das war im Oktober. Aber es gab nach wie vor eigentlich diese Idee: Wir wollen nach Europa, wir brauchen Europa, wir brauchen europäische Regeln – aber unsere Industrie hält heute dem Druck nicht stand. Das war in Lugansk, in Donezk. Aber andere Oligarchen waren anderer Ansicht und sagten: Nein, wir müssen jetzt durch die Phase von fünf Jahren durch, in der unsere Unternehmen unter enormem Druck stehen werden, aber es wird zu einem Modernisierungsschritt führen. Das war der Stand innerhalb der Partei der Regionen, wo diese Zerreißprobe stattfand. Und diese Nichtunterschrift unter das Assoziierungsabkommen führte nach der riesigen Überzeugungsarbeit, die vorher gelaufen war und in deren Rahmen man den Politikern erklärt hatte, sie müssten im Interesse des Landes für dieses Assoziierungsabkommen sein, zu einem Zusammenbruch der kompletten ideologischen Basis innerhalb der Partei der Regionen. Die Unternehmer standen plötzlich vor dem Nichts und sagten: Die letzten zwei Jahre habt ihr uns und den Menschen erklärt, dass wir dieses Assoziierungsabkommen um jeden Preis brauchen. Und plötzlich unterschreiben wir es nicht mehr. Und als dann plötzlich diese ganzen vorher verdeckten Widersprüche zu Tage traten, sich die Familie von Janukowitsch nur noch an ihre wirtschaftliche Macht klammerte und gleichzeitig diese Gruppe um Tihipko und Kljujew die europäische Annäherung im Dezember 2013 unbedingt weiter betreiben wollte, hat es die Partei und damit auch das ganze Land zerrissen.

       Stichwort Maidan: Am Beginn der Maidan-Bewegung Ende November steht die Europäische Union bei der ersten Studentendemonstration als Thema noch im Vordergrund. Die wird dann niedergeschlagen. Wie weit hat sich aus Ihrer Sicht dann die Maidan-Bewegung sehr rasch emanzipiert oder entfernt vom ursprünglichen Thema EU? Es ging dann eigentlich nur mehr um die Rolle von Janukowitsch bzw. eine Mischung aus den verschiedensten Strömungen. Einerseits sollte Janukowitsch weg, andererseits haben Vertreter ukrainischer nationalistischer Parteien oder Ultranationalisten dort eine Rolle gespielt. Wie hat sich aus Ihrer Sicht diese Entwicklung der Maidan-Bewegung dargestellt? Auf die Schlüsselwoche bis zum 21. Februar möchte ich bitte noch gesondert eingehen.

      Wenn wir uns ansehen, wie der Maidan begonnen hat, gab es eigentlich zwei Maidan-Bewegungen. Es gab die eine Maidan-Bewegung, die Mustafa Najem von der Ukrajinska Prawda17 initiiert hat, den Studenten-Maidan, der übrigens auch innerhalb der Partei der Regionen zum Teil Unterstützung fand. Es war ja die Idee gerade derjenigen, die für die europäische Integration waren. Und es gab parallel einen zweiten, politisierten Maidan, in dessen Rahmen die Partei von Timoschenko, Batkiwschtschina18, sowie UDAR19 und Swoboda20, also die damalige Oppositionspartei, versucht haben, ihren eigenen politischen Maidan aufzubauen. Dieser politische Maidan war eigentlich gescheitert und man hatte ihn schon aufgelöst. Es blieb nur noch der studentische mit den entsprechenden Forderungen übrig. Es verlief sich eigentlich alles bis zur Nacht vom 30. November, als man angefangen hat, die Studenten vom Maidan zu vertreiben und wirklich brutalst zusammenzuschlagen. Warum das geschehen ist, ist nicht klar, weil zu dem Zeitpunkt eigentlich schon klar war, dass der Maidan sich am Sonntag, also zwei Tage später, selbst auflösen würde. Warum man damals diese Studenten zusammengeschlagen hat, ist bis heute unerklärlich. Und es nicht geklärt, wie das eigentlich zustande kam, warum und wer welche Rolle in der ganzen Sache gespielt hat. Diese Brutalität des Systems, diese sinnlose Gewalt hat erst den Widerstand möglich gemacht. Wenn wir uns an die halbe Million Menschen erinnern, die dann auf die Straße gegangen sind, um gegen diese Brutalität vorzugehen, dieses korrupte System, dieses willkürliche System, war das eigentlich der Umschlag, dass man gesagt hat: Wenn ihr unsere Kinder schlagt, das geht gar nicht. Eure Korruption, an die haben wir uns gewöhnt, keiner ist besser, nicht die Opposition, nicht Janukowitsch, alle stehlen sie. Aber unsere Kinder zusammenschlagen – das geht nicht! Das hat das Volk auf die Straße gerufen. In dem Moment hat man dann angefangen, wie im Lehrbuch geschrieben, revolutionäre Stimmung zu schaffen, eine Revolution aufzubauen.

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