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die der Grundstein der heutigen Stadt Grosny ist.26

      Der russische Schriftsteller Lew Tolstoi27, der als Offizier in der zaristischen Armee im Nordkaukasus eingesetzt wurde, schrieb über den Überlebenswillen des »Volkes der Tschetschenen« Folgendes:

      »Der Strauch der Tatarendistel bestand aus drei Stängeln. Einer davon war abgerissen, und der Stumpf ragte wie ein abgehauener Arm empor. Aber doch stand der Strauch noch da. Er sah aus, als hätte man ihm ein Stück herausgerissen, das Innere herausgedreht, den Arm gebrochen, die Augen ausgestochen. Aber er stand da. Er steht noch immer da. Ergibt sich dem Menschen nicht, der seine Brüder rings um ihn vernichtet hat!!«28

      Die tschetschenische Bevölkerung reagierte auf die Repressionen Jermolows mit Widerständen, die Jermolow niederzuringen versuchte, wodurch sich der erste Kaukasische Krieg, beginnend ab dem Jahr 1818, mit sukzessiven Unterbrechungen bis zum Jahr 1859 erstreckte.29 Im Jahr 1834 wurde der Tschetschene und berühmte Muride Schamil zum Imam ernannt und rief zum Partisanenkrieg gegen die russischen Okkupatoren auf, an dem sich zahlreiche Tschetschenen beteiligten.30 Sechs Jahre später kam es zu einem tschetschenischen Volksaufstand, in dessen Folge die Tschetschenen versuchten, ein theokratisches System, das Schamil-Imamat, auszurufen dass sich sowohl auf den bedingungslosen Gehorsam seiner Anhänger im Hinblick auf seinen Personenkult, als auch auf den sufischen Gruppenzusammenhalt stützen konnte.31 Dieses wurde jedoch nicht etabliert, da die russische Unterwerfungsstrategie von zunehmender Brutalität sowie zahlenmäßiger Überlegenheit begleitet wurde und final 1859 in der Niederlage der Tschetschenen endete, in dessen Kontext Schamil inhaftiert und Tschetschenien großflächig geplündert und zerrüttet wurde.32 Dennoch widersetzte sich das eigentlich vollkommen zerstörte Land bis zur zaristisch verkündeten, offiziellen »Befriedung« des Kaukasus im Jahr 1861 seinem Anschluss an Russland.33

      Ab dem Jahr 1893 wurde in Grosny erfolgreich und sehr umfangreich Erdöl gefördert, wodurch sich ausländische Investoren und Banken vor Ort ansiedelten und ein industrieller und wirtschaftlicher Aufschwung für Tschetschenien zu verzeichnen war.34 Im Zuge folgender russischer Kriege näherten sich die Tschetschenen sogar den ehemaligen Aggressoren an und waren zum Teil auf Seiten der ehemaligen russischen Besetzer anzutreffen.35 Ihr besonderer Mut, ihre taktische Stärken im Kampf sowie ihre Entbehrungsfähigkeit, wurden von vielen Militärhistorikern lobend erwähnt.36

      Zu Beginn des Jahres 1921 traten die Tschetschenen zunächst der Sowjetischen Bergrepublik (GSR) unter der Vereinbarung bei, dass die ehemals zaristisch annektierten tschetschenischen Gebiete ihnen wieder zurückgegeben, die Adaten, die seit Jahrhunderten das tschetschenische Gemeinschaftsleben regelnden Statuten, sowie das Schariat offiziell gebilligt würden.37 Ende des Jahres 1922, nachdem die GSR sich aufgelöst hatte, wurde das tschetschenische Gebiet in eine unabhängige, administrative Einheit transformiert und im Kontext der ehemaligen Sowjetunion38 im Jahr 193639 mit Inguschetien zur autonomen Republik, der tschetschenisch-inguschetischen Republik (Tschetscheno-Inguschetische Autonome Sowjetrepublik, AdSSR) ernannt,40 dessen Hauptstadt das Erdölzentrum Grosny war.41 Die muslimischen Tschetschenen bezeichnen die Inguschen und sich als Vai Nakhk, was im Tschetschenischen so viel wie »Unser Volk« bedeutet.42 Sie bilden zusammen mit Ingutschetien und Neu-Ossetien die größte ethnische Gruppe im nördlichen Kaukasus und bezeichnen einander als »Brüdervölker«.43

      Ab Mitte der Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts war ein spürbarer wirtschaftlicher und bildungspolitischer Aufschwung in Tschetschenien wahrnehmbar, den die Machthaber der beginnenden UdSSR zu unterbinden versuchten, indem sie in dieser Zeit im Zuge der sogenannten »Ersten Welle« eines lt. Politkovskaja »roten Staatsterrors« 35 000 Opfer, überwiegend aus angesehenen Schichten des Landes wie den Mullahs sowie vermögenden Landwirten, in Tschetschenien durch Mord, Folter und den Folgen von »Säuberungsaktionen« und miserablen Haftbedingungen infolge einer willkürlich veranlassten Inhaftierung, verschuldeten.44 Die »zweite (russische) Terrorwelle« habe 3000 Todesopfer der kurz zuvor entstandenen tschetschenischen Intelligenzija gefordert.45 Vom 31. Juli auf den 1. August 1937 seien weitere 14 000 Tschetschenen inhaftiert worden, weil diese sich aufgrund eines höheren Bildungsstandes oder sozialer Tätigkeiten von der breiten Bevölkerungsmasse unterschieden und Bildung von russischer Seite mit »Ideologie« gleichgesetzt und somit als potentielle Gefahr betrachtet wurde.46 Einige dieser Opfer wurden sofort exekutiert, während andere in Lagern interniert wurden und darin nach einem längeren Martyrium infolge der Arbeits- und Lebensbedingungen verstarben.47 Diese Verhaftungswelle dauerte bis zum Jahr 1938 an und wird in Tschetschenien als das Jahrzehnt der Repressionen tituliert, da zwischen den Jahren 1928 und 1938 über 250 000 Menschen im Zuge dieser willkürlichen Verschleppungs- und Tötungs-Aktionen ihr Leben verloren.48

      Im Februar 1944 veranlasste der russische Oberbefehlshaber Josef Stalin49 aufgrund einer fälschlicherweise unterstellten Kollaboration des tschetschenischen Volkes mit den deutschen Nationalsozialisten, die Deportation des gesamten tschetschenischen Volkes in die kasachische Steppe.50 In diesem Zusammenhang wurde die Löschung sämtlicher Aufzeichnungen zur tschetschenischen Nation angeordnet, und dessen Existenz wurde als Republik von jeder sowjetischen Landkarte und aus jedem Buch entfernt, beinahe so, als ob man sie aus dem kollektiven Gedächtnis streichen wollte.51 Diejenigen Tschetschenen, die in den Bergen wohnten und sich weigerten, an dieser Deportation teilzunehmen, wurden zusammen mit ihrem Besitz und ihren Tieren verbrannt.52 Aufgrund der harten klimatischen Bedingungen während des Winters des Jahres 1944 kam im Zuge jener Deportation schätzungsweise ein Drittel der tschetschenischen Gesamtbevölkerung ums Leben.53 Die Überlebenden durften erst zum Ende der 1950er Jahre wieder nach Tschetschenien zurückkehren und seien lt. Sager bis heute ob dieser Ereignisse stark traumatisiert.54 Politkovskaja zufolge habe jeder dritte Tschetschene diese Zwangsaussiedlung selber erlebt und das daraus resultierende Trauma sei noch immer in der panischen Furcht der Tschetschenen vor einer Wiederholung dessen spürbar und ein Grund dafür, warum sie »hinter allem ›die Hand des KGB‹ aufspürten und Anzeichen für eine neuerliche Vertreibung erkennen wollten.«55

      Nach dem Zerfall der UdSSR und den beginnenden Reformbemühungen des KPdSU-Parteichefs Nikita Chruschtschow versuchte sich Tschetschenien zu einer unabhängigen Republik zu erklären56, und dessen ursprüngliche Bevölkerung versuchte seit 1956 in kleinen Gruppen in ihr Heimatland zurückzukehren.57 Ihre Heimkehr wurde jedoch von den dort in der Zwischenzeit ansässig gewordenen russischen und kosakischen Siedlern behindert, indem diese die Tschetschenen nicht offiziell als Eigentümer der Ländereien und Besitztümer anerkennen wollten.58 Die Tschetschenen kämpften jedoch kontinuierlich für ihr Recht auf Rückkehr, so dass die sowjetische Regierung ihre Rückkehr offiziell genehmigte bzw. »legalisierte«, und Tschetschenien (Nokhchi Mokhk) seine Unabhängigkeit im Jahr 1957 offiziell, jedoch mit veränderten Grenzen, erlangte.59

      Der Name Tschetschenien oder Tschetschene ist nicht tschetschenischen Ursprungs, sondern dem Dorf entlehnt, das die zaristischen Armeen zuerst eroberten.60 Die Tschetschenen nennen sich selber Nokhcho bzw. ihr Volk die Nokhchi Q'am (die tschetschenischen Leute) und ihre Sprache Nokhchi Mott.61

      Trotz der anhaltenden Verleumdung der Tschetschenen als »unzuverlässige Menschen« durch russische Medien und der kontinuierlichen, gewaltsamen Versuche der »Russifizierung« der Tschetschenen, konnte sich Tschetschenien in den 1960er und 1970er Jahren erneut zu einem Industriezentrum ausbauen, dessen Zentrum Grosny für seine kosmopolitische Prägung und die multikulturelle Harmonie weit über die Grenzen des Landes bekannt war.62

      Im Winter 1990 wurde im tschetschenischen Volkskongress die Unabhängigkeit der Republik ausgerufen und durch eine schriftliche Erklärung diese staatliche Souveränität manifestiert.63 Infolge eines Putsches wurde im Zeitraum von August bis zum September 1991 »der Oberste Sowjet der Republik aufgelöst, die Macht ging auf außerkonstitutionelle Organe über, die Neuwahlen ansetzten und eine Loslösung Tschetscheniens von der Russischen Föderation«

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