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haben sich vielleicht geändert, die Angst der Menschen vor den Problemen allerdings nicht. Da kommt die Frage auf: „Woher kommt mir Hilfe? Wem kann ich mich anbefehlen?“

      Und noch eines ist auch klar, die Beatles hatten recht: „Help, I need somebody – but not just anybody“, nicht jeder, nicht irgendjemand kann mir helfen. Nicht jede x-beliebige Person kann mich aus den Wirren des Lebens herausführen. Ich brauche jemanden, der mich versteht, der nachvollziehen kann, warum es mir gerade jetzt so geht, wie es mir geht. Oft merke ich, wenn ich in meinem Umfeld versuche, meine Angst und meine Sorgen mit anderen zu teilen, dann glaubt man mir das nicht. Mir, dem Andi Weiss, der immer fröhlich und locker einen flotten Spruch auf Lager hat. Da frage ich mich selbst oft mit Dietrich Bonhoeffer: „Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig ...?“11

      Unsere Welt ist verschoben. Unser Wunsch ist es, „gesund“ zu sein. Und so kramen wir Erfolge heraus und polieren unsere Pokale. Wer bekommt denn schon einen Orden in seinem Alltag, im Beruf und auch in seiner Kirchengemeinde, wenn er laut zu seinen Fehlern und Schwächen steht? Da zählen wir doch lieber selbstbewusst unsere Errungenschaften auf: „Mein Haus, mein Auto, mein Garten ...“ Was würde denn passieren, wenn wir, anstatt ausschließlich von unserem Vermögen, unseren Siegen und Glücksmomenten zu reden, das Spiel einmal umdrehen und ehrlich erzählen würden, was uns belastet und bedrückt? Wie würden sich unsere Beziehungen verändern, wie gut könnten wir uns gegenseitig unterstützen, ermutigen und helfen, wenn wir anfangen würden, offen über unsere Berge zu sprechen: „Mein Watzmann, meine Zugspitze, mein Matterhorn ...“?

      Und doch, so einfach geht das nicht. Wer Angst hat, für den ist seine Angst realistisch. Da helfen nicht allein gute Worte. Ein jüdisches Sprichwort sagt: „Schwerer, als Israel aus dem Exil zu holen, ist es, das Exil aus Israel zu holen.“ Ich spüre, diese Worte gelten auch mir.

      Der österreichische Psychotherapeut Victor Frankl glaubte, dass die größte Angst des Menschen darin bestehe, sich letztendlich selbst überlassen zu sein. Und so fordert er: „Der Patient soll lernen, der Angst ins Gesicht zu sehen, ja ihr ins Gesicht zu lachen.“12

      Doch wie geht das? Da haben sich Denkmuster eingeschlichen. Da weiß man – oder eher meint man zu wissen –, was man kann und was nicht. Da kommen schier unüberwindbare Aufgaben auf einen zu, man fühlt sich in die Ecke getrieben, die Hände werden feucht, und das Selbstbewusstsein ist maßlos überfordert.

      Die meisten Psalmen, die wir kennen, sind Gebete, also Gespräche zwischen einem Menschen und Gott. Der Psalm 121 ist ein Gespräch zwischen zwei Menschen. Da wünscht der eine dem anderen für seine Reise Gottes Nähe und seinen Segen. Zu Beginn heißt es: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ Und der andere antwortet erinnernd: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!“

      Als Christen befehlen wir Gott unser Leben in der Taufe an. Wir bitten Gott um seinen Schutz und um seine lebenslange Begleitung. Martin Luther schreibt in seinem kleinen Katechismus: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt ...“

      Wir dürfen immer wieder zu Gott kommen, mit allen unseren Stärken und Schwächen, mit unserem Glauben und unseren Zweifeln. Wir dürfen uns Gott immer wieder anbefehlen. Manchmal ist das ein starkes: „Gott, dir befehle ich mich an!“, manchmal ein zögerndes: „Gott, du hilfst doch, oder?“

      Ich habe in einer alten Taufliturgie aus Siebenbürgen ein besonderes Ritual gefunden, das in einfachen Worten unseren Glauben beschreibt. Da wird der Säugling dreimal mit folgenden Worten mit einem Kreuz gezeichnet: „Nimm hin das Zeichen des Heiligen Kreuzes an deiner Stirn, damit du Jesus Christus erkennst. Nimm hin das Zeichen des Heiligen Kreuzes an deinem Mund, damit du Jesus Christus bekennst. Nimm hin das Zeichen des Heiligen Kreuzes an deinem Herzen, damit Jesus Christus in deinem Herzen wohnt und du dir den Glauben an ihn bewahrst.“

      Diese drei gezeichneten Kreuze symbolisieren in ganz einfacher Weise unseren Glauben: Das Erkennen, das Bekennen und das Bewahren. Ich möchte diese drei Punkte genauer durchdenken.

      Erkennen

      Kennen Sie Berge in Ihrem Leben? Berge, die uns Sorgen bereiten, sich hoch über uns auftürmen und uns die Lust am Leben nehmen? Vielleicht sind es die Papierberge auf Ihrem Schreibtisch? Eine ganze Woche haben Sie sich engagiert Ihrer To-do-Liste gewidmet, Aufträge abgearbeitet und sogar die Mittagspausen durchgeackert. Aber am Ende der Woche scheinen die Arbeitsberge noch genauso hoch zu sein wie zu Beginn. Oder sind es die Berge des Selbstzweifels? Auf der einen Seite steht die Aufgabe, auf der anderen stehen die Berge der Festlegung durch andere Menschen: „Das kannst du doch sowieso nicht! Dafür bist du viel zu jung ..., fehlt dir die richtige Ausbildung ..., bist du zu dumm ...“ usw. Oder sind es die Berge, die sich zwischen zwei Menschen schieben? Zwischen Ehepartner, zwischen Eltern und Kinder, zwischen Freunde oder Arbeitskollegen? Man hat aufgehört, miteinander zu reden, und irgendwann konnte man nicht mehr miteinander reden.

      Wie sehen die Berge in Ihrem Leben aus? Und wie gehen Sie damit um? Wir legen ein Menschenleben bei der Taufe in Gottes Hände, weil wir wissen, dass wir sie brauchen. Woher kommt meine Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn. Dem fernen und doch so nahen Gott.

      Mich faszinierten als Kind die uns unbekannten Bräuche und Riten, wenn wir als protestantische Kinder in katholische Schulgottesdienste gingen. Das Bekreuzigen mit Weihwasser und der Knicks beim Eintritt in die Kirche bewegten mein Kinderherz. Dieser würdevolle Umgang erzählte mir wortlos von der Heiligkeit dieses Ortes. Als ich dann eines Tages sah, wie auch der Bürgermeister unserer Stadt einen demütigen Knicks vor dem Altar machte, wusste ich: in diesem Haus musste eine ganz wichtige Person wohnen.

      Ich kannte das Urvertrauen zu dieser unfassbaren Heiligkeit aus vielen Geschichten und Liedern. Ich fühlte mich tatsächlich geborgen und gut aufgehoben in den großen Armen dessen, der die Welt in seinen Händen hält. Diese mir in Kindertagen geschenkten und tief verwurzelten Bilder habe ich mit durch die Wirren meines Lebens genommen. In Stürmen und vor großen, Angst einflößenden Bergen wusste ich: „Der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf und Bahn. Der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“

      Ich teile die Erfahrung der alten und neuen Psalmsänger. Ich fühle mich mit denen verbunden, die dankbar auf die Rettungsaktionen vergangener Tage zurückblicken und so eine tiefe Glaubensgewissheit für das ungewisse Morgen entfalten. Und doch ertappe ich mich dabei, Gott zu instrumentalisieren. Ich würde so gerne über seine Allmacht verfügen und festlegen, wie und wo und wann er zu handeln hat. Dabei rauschen seine Botschaften an mir wie auf einer Datenautobahn vorbei, und ich bleibe blind für seine schöpferische Kraft in meinem Leben. Heiliges bleibt fern und ungreifbar. Nicht wie ein sanft bewahrtes, heiliges Geheimnis, ein gut behüteter Schatz des Glaubens – sondern mehr wie ein unausgepacktes Geschenk, lieblos unterm Tannenbaum vergessen.

      Mir geht es wie dem frommen Mann, der in einem Sumpf zu versinken droht. Aus tiefstem Herzen ruft er zu Gott: „Herr, hilf mir! Errette mich! Zieh mich aus dem Sumpf!“ Da kommt ein Feuerwehrwagen vorbeigefahren. Ein Feuerwehrmann bietet ihm seine Hilfe an, doch der Mann winkt dankend ab: „Nein, nein! Gott wird mir da schon heraushelfen!“ Die Feuerwehr fährt weiter, und der Mann beginnt wieder zu beten. Doch statt einer himmlischen Rettungsaktion versinkt er nur immer tiefer in dem Sumpf. Als er schon bis zum Bauch im Matsch steht, kommt erneut die Feuerwehr vorbeigefahren und bietet ihm an, ihn aus dem Schlamm zu ziehen. Wieder bedankt er sich für die angebotene Hilfe, verweist aber auf seinen himmlischen Vater, der ihm wohl schon noch rechtzeitig helfen wird. Wieder fährt die Feuerwehr weiter, wieder sinkt der Mann tiefer, und wieder geschieht nicht das erhoffte Wunder. Das Schauspiel wiederholt sich auch noch ein drittes Mal. Obwohl der fromme Mann nun schon bis zum Kinn im Sumpf versunken ist, nimmt er auch dieses Mal das Rettungsangebot nicht an. Und so ertrinkt der Mann und steht schon kurze

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