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These lautet deshalb: Nur wer seine Körperlichkeit, seine Ganzheitlichkeit in den Blick nimmt und damit zu leben lernt, wird auch seine Begabungen besser nutzen und diese für den Dienst am Nächsten einsetzen können.

      Angst und Aggression, Krankheit und Leid, Gefahr und Not – gerade die Psalmen im Alten Testament nehmen die Ganzheitlichkeit des Lebens in den Blick. Die Psalmen gelten nicht nur als das Gebetsbuch des Volkes Israel, auch Jesus hat diese Texte gebetet und häufig auswendig zitiert. Wer im Buch der Psalmen schmökert, spürt, dass hier das Menschsein in seiner ganzen Fülle zu Wort kommt, dass man sich hier wiederfinden und Hilfe für den Alltag erhalten kann. Kein Wunder, dass gerade die Psalmen 120 bis 134 für Reisende aller Art zum selbstverständlichen Reisegepäck zählten.

      „Wallfahrtspsalmen“ hat man sie genannt, aber auch „Lieder der Aufstiege“, wie es eigentlich in der hebräischen Sprache heißt. Aber auch die Überschriften „Stufenlieder“, „Lieder der Erhebung“ und „Heimkehrlieder“ sind zu finden. Dahinter steht der Gedanke, dass es sich um Pilgerlieder handelt, die bei großen Wanderungen, zum Beispiel zu den Wallfahrtsfesten des Volkes Israels, gesungen und gebetet wurden. Man hatte diese 15 „Songs“ immer dabei, um fröhlich seinen Weg zu gehen. Näheres zur Bedeutung des Verbes „alah“ (hinaufsteigen, hinabsteigen, pilgern, wallfahren), das diese Psalmen kennzeichnet, kann man beispielsweise in dem Buch von Klaus Seybold nachlesen 1.

      In diesem Buch machen sich 16 Autorinnen und Autoren auf einen persönlichen Weg mit den Wallfahrtspsalmen der Bibel. Sie lassen sich inspirieren von den Texten, nehmen ihre eigenen Erfahrungen mit hinein und damit ihr Leben ins Gebet. Zahlreiche Gedanken, Wünsche und Visionen, vielfältige Erlebnisse – von der lähmenden Depression bis hin zur befreienden und heilenden Gotteserfahrung – sind hier versammelt und sollen die Leser ermutigen, eigene Schritte im Umgang mit dem Glauben und in der Beziehung zu Gott zu wagen.

      Danken möchte ich an dieser Stelle Pfarrer Christian Probst, der die Initialzündung zu dem Projekt „Wege zum Heiligen“ gab. Er hat die gar nicht so altertümlichen Texte in ein modernes Klanggewand gekleidet. Die CD dazu kann über das Internet bestellt werden (Infos auf www.ways-music.de ). Bei mehreren Auftritten einer Band, eines Chores und verschiedener Sprecher wird das Projekt einem größeren Publikum vorgestellt werden. Gerade die Verbindung von Text und Musik kann neue Horizonte, ja heilige Momente eröffnen und damit neue Zugänge zum Leben, mit allen seinen Rundungen, Ecken und Kanten. Danken möchte ich auch Susanne Hübscher vom Brendow Verlag in Moers, die mit ihren Vorschlägen und Tipps die Vielzahl der Texte in eine gute Form brachte. So bleibt mir zu Beginn Ihres Weges mit diesem Buch der Wunsch, dass Sie sich im buchstäblichen Sinne „viel-seitig“ inspirieren lassen:

      – von dem lebendigen und vielgestalteten „Ich“ und „Wir“, das da in den Psalmen seinem Gott antwortet2,

      – von den authentischen Lebensentwürfen, mit all ihren Freuden und Sorgen, die sich darin abbilden,

      – von dem Lebenswissen und der Lebenskunst, die sich darin spiegeln,

      – von den Hoffnungen auf Glück und der Sehnsucht nach Geborgenheit und Schutz, die in bunten Bildern auftauchen,

      – und von der Kraft der Veränderung, die durchaus ansteckend wirken kann.

      Interessant ist ja, dass die Vision vom Zion als Ort und Quelle des Segens, in Psalm 126, Vers 1, vorerst nur als „Traum“ erkennbar ist. Noch sieht die Realität anders aus, noch gibt es die Fülle des Heils nur als Fragment. Doch diese Träume sind eben gerade keine „Schäume“, wie uns ein bekanntes Sprichwort glauben machen möchte. Die Zionpilger lassen sich von diesen visionären Träumen in Bewegung bringen und leben von ihnen. Schließlich galt der Traum in der alten Welt als Medium der Offenbarung und insofern als „eine von den Göttern ermöglichte (Vorweg-)Schau der Zukunft“3.

      Ich würde mich freuen, wenn durch dieses Buch und die dazugehörige CD „gottgegebene Träume“ ermöglicht werden –also Träume, die sich mit der Gegenwart nicht einfach zufrieden geben, sondern Hoffnung schenken, den Alltag auch zu verändern.

      Eine gute Reise in diesem Sinne wünscht Ihnen

      Günter Kusch

      Günter Kusch, Jahrgang 1964, ist evangelischer Theologe und Redakteur. Er ist im Evangelisch-Lutherischen Dekanat Fürth als theologischer Mitarbeiter des Bildungswerkes tätig.

      Einleitung

      Unser Leben ist wie eine Pilgerreise.

      Wir sehnen uns nach etwas Heiligem,

      das uns innerlich und äußerlich

      zu heilvollen, segensreichen

      Wegen führt.

      Christian Probst

      Wanderer brauchen eine gehörige Portion Mut. Die Taschen sind gepackt und stehen bereit. Die Ausrüstung ist auf das Nötigste beschränkt. Ein paar Kleidungsstücke und etwas Proviant müssen erst einmal reichen. Hauptsache, der Trinkschlauch wurde mit genügend Trinkwasser gefüllt.

      Wer die Reise zu Fuß bestreiten will, ohne technische Erleichterungen, nur mit Wanderstecken und dem allernötigsten Gepäck, spürt von Anfang an eine Spannung, die nicht alleine von den Trageriemen der Taschen auf den Schultern ausgeht. Wanderer dürfen sich nicht einschüchtern lassen von unangenehmem Wetter, mühsamen Berganstiegen oder von Räubern und Wegelagerern.

      Oft steht ein Geistesblitz am Anfang einer Wanderschaft: „Die Zeit ist reif.“ Das Fernweh treibt Menschen zum Ausgang ihrer vier Wände. Die Tür fällt ins Schloss. Der Schlüssel wird im Schlüsselloch umgedreht. Und dann kann es endlich losgehen. Alter Ballast bleibt zu Hause. Nur das Nötigste darf mit. Bei einer Pilgerreise auf neuen Wegen kann man endlich abschalten und freie Gedanken fassen, die dem Leben etwas Heilvolles einhauchen.

      Schon Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung machten sich Pilger auf die Reise zu heiligen Orten wie dem Tempel in Jerusalem. Tage- und wochenlang gingen sie zu Fuß, mit dem Ziel, an diesem heiligen Ort Gott anzubeten. Dort angekommen, dankten sie Gott für ein gutes Geschick, wie zum Beispiel der israelitische Stammvater Jakob. Nachdem er an der Furt des Flusses Jabbok den Kampf mit einem mysteriösen Unbekannten gewann, versöhnte er sich mit seinem verfeindeten Zwillingsbruder Esau. Aus Dankbarkeit baute er Gott in Bethel einen Altar (1. Mose 35).

      Andere pilgerten zu heiligen Orten, um Gott wegen eines schweren Schicksals um Hilfe anzuflehen. Hanna zum Beispiel beklagte dort ihre Kinderlosigkeit. Sie war eine von zwei Frauen des Leviten Elkana. Jahr für Jahr zog die Familie nach Silo. Dort betete Hanna zu Gott und klagte ihm ihr Leid (1. Samuel 1).

      Am Heiligtum in Jerusalem wurden jedes Jahr große Feste, wie das Laubhüttenfest oder das Passafest, gefeiert. Kilometerlang wanderten die Menschen ohne Landkarte, mit bescheidenem Schuhwerk, auf Wegen unterschiedlicher Beschaffenheit. Sie suchten auf ihnen nach dem Heiligen, das ihre inneren Fragen und Sehnsüchte stillen würde.

      Die Wege des Lebens können unergründlich sein. Das wird einem nicht nur bewusst, wenn man wie ein Pilger zu Fuß zu einer längeren Reise aufbricht. Auch auf unseren alltäglichen Wegen stoßen wir immer wieder auf Spannungen und Herausforderungen. Auf ihrer Lebensreise ziehen manche beruflich bedingt von einem Ort zum andern und fangen neu an. Andere müssen sich neu orientieren, weil frühere Strecken nicht mehr begehbar sind. Ein Traum endet in einer Sackgasse. Oder gemeinsame Wege gabeln sich plötzlich in verschiedene Richtungen: Ehepaare lassen sich scheiden. Kinder werden erwachsen und bauen sich ihre eigene Existenz auf. Lange Wegbegleiter segnen das Zeitliche. Wege führen zusammen oder auseinander. Erst wenn wir die verschiedenen Abschnitte des Lebens selbst beschreiten, erkennen wir, wo sie hinführen. Dann führen sie nicht „irgendwo durchs Nirgendwo“, fern und unerreichbar in eine ungewisse Zukunft. Sondern sie werden spürbar, erlebbar, lebendig. Franz Kafka bringt das in seinem bekannten Zitat auf den Punkt: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“

      Vielleicht erfreut sich das Wandern auf Pilgerwegen in den letzten Jahren gerade deswegen so großer Beliebtheit, weil man dabei selbst den Boden unter den

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