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nie von Ihnen erwartet. Könnte es aber sein, dass einige nach einer Weile denken würden: Da muss doch etwas dran gewesen sein, wenn sie zu solch einer Maßnahme greift?“

      „Das mag durchaus sein.“

      „Meine Lügen hätten also durch Ihre Reaktion mit Gewalt nur an Glaubwürdigkeit gewonnen, nicht wahr? Lügen kann man also nicht ausrotten, indem man den Lügner einfach umbringt“, erklärte ich mit Nachdruck. „Das Problem, das durch die Lügen und Verleumdungen Satans entstanden war, war also nicht mit dem Einsatz von Macht und Gewalt zu lösen. Selbst göttliche Macht konnte hier nichts ausrichten.“

      „Das leuchtet mir ein.“

      „Außerdem erfahren wir in der Heiligen Schrift, dass Satan mit List arbeitet12 und zudem seinen Bestrebungen einen positiven Anschein gibt. Paulus schrieb, er verstelle sich als, Engel des Lichts‘,13 d. h. er tue so, als verfolge er gute Absichten und Ziele. Bei all seinen Verleumdungen gegen Gott hat er sich also noch als Wohltäter der Engel hingestellt und versucht, ihnen weiszumachen, dass sie es unter seiner Regierung besser hätten als unter Gottes Herrschaft.

      Das war natürlich für die Engel schwer zu durchschauen, als Luzifer mit seiner Rebellion anfing. Sie kannten so etwas ja nicht. Vor welcher Frage standen die Engel also damals?“

      „Sind wir jetzt im Religionsunterricht? Sie haben manchmal eine schulmeisterliche Art!“, sagte meine Sitznachbarin etwas genervt.

      „Entschuldigen Sie bitte“, sagte ich schnell. „Das will ich nicht. Ich versuche nur, Sie durch meine Fragen in die Logik des Gedankenganges mit einzubeziehen. Ich möchte Ihnen ja weder etwas vorpredigen noch einfach fertige Antworten liefern. Beides würde Ihnen wenig dabei helfen, Gott besser zu verstehen.“

      „Ich verstehe Ihre Absichten“, lenkte sie ein.

      Dadurch ermutigt, fuhr ich fort: „Mir hat die genannte Frage viel weitergeholfen, um einen wichtigen Aspekt in Bezug auf den Glauben an Gott zu verstehen. Wenn Luzifer etwas anderes sagte als Gott, mussten sich die Engel entscheiden, wem sie vertrauen sollten. Vertrauen in Gott war eine der Grundlagen für ein vollkommenes Universum. Die Notwendigkeit, an Gott zu glauben, d. h. ihm zu vertrauen, bestand selbst für die Engel im Himmel, die Gott sehen und mit ihm reden konnten. Dass wir Gott vertrauen müssen, hat nichts damit zu tun, dass wir ihn nicht sehen können.“

      „Sie sagen, vertrauen ,müssen‘. Das Wort ,müssen‘ hat aber nichts mit Freiwilligkeit zu tun!“

      „Sie haben Recht“, erwiderte ich. „Dieses ,müssen‘ hört sich nach Zwang an. So meine ich es hier aber nicht. Es geht um eine notwendige Voraussetzung, nicht um einen göttlichen Zwang. Ohne Vertrauen konnte die Harmonie nicht bestehen bleiben.“

      „Das ist mir jetzt klar geworden.“

      „Um Gottes Reaktion auf die Machenschaften Satans zu verstehen, müssen wir noch etwas bedenken: Wie hätte es sich auf die loyalen Engel und alle anderen intelligenten Wesen ausgewirkt, wenn Gott Satan wegen seiner Bestrebungen aus dem Weg geschafft hätte?“

      „Er hätte sich wohl manches erspart“, meinte meine Gesprächspartnerin.

      „Auch auf lange Sicht? – Nennen wir die Sache mal klar beim Namen: Gott wäre wie ein Mörder erschienen, denn die Engel hätten ja – wie Ihre Nachbarn bei meinem absurden Beispiel – den Grund dieser Maßnahme nicht verstanden. Welche Folgen hätte das wohl gehabt?“

      „Wahrscheinlich hätte sich niemand mehr getraut aufzumucken. Die Engel hätten Angst bekommen.“

      „Das denke ich auch. Bei der Erziehung von Kindern ehen wir ja, wohin das führt: Gehorsam, der durch Druck oder Angstmacherei erzwungen wird, bringt auf Dauer den Charakter eines Rebellen hervor.“

      „Das kenne ich. Ich bin mit viel Druck erzogen worden. Das erzeugt Angst, aber keine Einsicht. Ich weiß, wovon ich rede. Und irgendwann wird man trotzig und rebellisch – wenn man innerlich noch nicht zerbrochen ist.“

      Ich nickte. „Auf Gott und das Universum bezogen bedeutet das: Wenn er Luzifer vernichtet hätte, hätten die Engel ihm aus Angst statt aus Liebe gedient und der nächste Aufruhr wäre vorprogrammiert gewesen. Die Lügen und Verleumdungen Satans hätten Nahrung bekommen. Mit dem Ausüben seiner Macht konnte Gott das Problem also nicht lösen!

      Und nun können Sie sich Ihre Ausgangsfrage selbst beantworten“, sagte ich und sah sie erwartungsvoll an: „Warum hat Gott das Böse nicht beseitigt, obwohl er doch allmächtig ist?“

      „Hätte er Satan beseitigt, dann wäre damit tatsächlich nichts gewonnen gewesen. Irgendwann hätten die Engel keine Lust mehr gehabt, Liebe zu Gott vorzutäuschen und in Angst zu leben. So geht es ja auch den Menschen, die in Diktaturen leben. Das wäre so, als ob Gott Öl ins Feuer gegossen hätte.“

      „Das sehe ich genauso. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt: Das Problem, das Luzifer durch seine Bestrebungen, Lügen und Verleumdungen aufgebracht hat, war mit dem Einsatz von Macht nicht zu lösen – selbst mit Gottes so genannter ,Allmacht‘ nicht.

      Gehen wir noch einmal zurück: Gott hat keinen Satan geschaffen, sondern einen vollkommenen Engel namens Luzifer, der der oberste der Cherubim war.14 Sie erinnern sich sicher, dass in Weihnachtsliedern öfter von den Cherubim, den höchsten Engelwesen, gesungen wird. Luzifer hat sich selbst zum Teufel, zum Verleumder gemacht, und zum Satan, zum Feind Gottes.

      Das Böse war also nun aufgetreten. Was konnte Gott tun, um es wieder aus der Welt – oder besser: aus dem Universum – zu schaffen? Wie konnte er die Engel und alle vernunftbegabten Geschöpfe davon überzeugen, dass die Behauptungen und Unterstellungen Satans Lügen und Verleumdungen waren?“

      Meine Nachbarin sah mich eine Weile nachdenklich an und sagte dann: „Eigentlich hätte Gott einen öffentlichen Prozess veranstalten müssen. Alles müsste wie in einer rechtsstaatlichen Gerichtsverhandlung ablaufen. Die Beweise müssen auf den Tisch, Zeugen werden gehört und Plädoyers gehalten. Und am Ende würden die Geschworenen und Richter ein Urteil fällen. Wer nichts zu verbergen hat, dürfte vor solch einer Verhandlung eigentlich keine Angst haben – besonders dann nicht, wenn das Gericht in der Lage ist, alle verborgenen Tatsachen ans Licht zu bringen.“

      „Genau das ist letztlich die Lösung Gottes“, sagte ich. „Es wird am Ende einen ausführlichen Gerichtsprozess geben. Doch zuvor müssen erst einmal klare Beweise gesammelt werden, damit die Entscheidung eindeutig ausfällt. Sonst würde ja lediglich Behauptung gegen Behauptung stehen. Sie kennen das aus Filmen mit Gerichtsprozessen.

      Das bedeutet: Gott musste Satan unbedingt Gelegenheit geben, seine Anschuldigungen gegen ihn zu beweisen und durch sein Handeln zu zeigen, was dahintersteckt und wie sein wahrer Charakter ist. Gott konnte nur darauf setzen, dass Satan sich im Laufe der Zeit selbst entlarven und sich die Maske vom Gesicht ziehen würde.“

      „Welche Anschuldigungen waren denn das?“

      „Gott sei selbstsüchtig, von Machtstreben getrieben und ungerecht. Er lasse sich von seinen Geschöpfen bedienen, tue aber nichts wirklich für sie.

      Die Gegenbeweise ergeben sich daraus, dass er in seinem Handeln und in seiner Reaktion auf Satans Machenschaften seinen Charakter und die Prinzipien seiner Regierung demonstrierte – indem er ihn eben nicht gleich vernichtete, sondern barmherzig und liebevoll reagierte. Er appelliert an das Urteilsvermögen der Engel und aller intelligenten Geschöpfe, auch der Menschen.

      Die schrecklichen Folgen der Erhebung Satans und seiner Art der Regierung werden schließlich vor dem gesamten Universum deutlich werden. Sein wahrer Charakter wird ebenso wie der wahre Charakter Gottes offenbar werden. Dann kann sich jedes intelligente Wesen am Schluss im Gericht sein eigenes Bild machen, um zu einem gerechten und tragfähigen Urteil zu kommen.“

      „Das hört sich gut an“, meinte meine Gesprächspartnerin.

      „Um Gottes Handeln besser zu verstehen, ist ein weiterer Punkt wichtig. Da ein Vorwurf Satans lautet, Gott sei ungerecht und unfair – manche bevorzuge und andere benachteilige er –, muss er in seinem Handeln gegenüber

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