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von Ochsen gezogene Heuwagen, Heugabeln, Bauernmädchen – und die Angst vor dem drohenden Gewitter.

      Zum Teufel! Sein Hemd war nassgeschwitzt, bei jedem Windstoß lief es ihm unangenehm kühl über den Rücken. Dieser steile Hang! Er hatte sich übernommen. Sein Herz klopfte unregelmäßig. Wie hilfesuchend hob er seinen Arm und grüßte die beiden Traktorfahrer. Oder Fahrerinnen? Tatsächlich: Frauen auf diesen bedrohlichen Landmaschinen! Jetzt hielten sie an. Grüßten sie nicht freundlich zurück? Er ruderte mit beiden Armen, setzte sein leutseligstes Gesicht auf – sicher hatten sie ihn erkannt! Das Landvolk hatte ihm, dem „Herrn Primar“, immer Respekt gezollt, und er hatte sich das gerne gefallen lassen.

      „Er ist’s“, sagte Verena, „dass der sich traut und hier auftaucht!“

      Sie war vom ersten Traktor, dem mit der Heupresse, heruntergeklettert. Ein sekundenschneller Blickwechsel mit der Frau auf dem zweiten Traktor.

      „Er ist’s – gewesen“, sagte Julia, die von ihrem Traktorsitz aus das Einwickelgerät betätigte. Mit äußerster Konzentration bewegte sie den joystickartigen Steuerungshebel. Die Gestängegabel, die gerade dabei war, einen gepressten Heuballen zum Einwickeln hochzuwuchten, drehte sich talwärts und rollte ihre massige Last wieder zu Boden.

      „Passt genau“, sagte Verena.

      Das Letzte, was Dr. Stückler wahrnahm, waren drei hochgereckte Finger, Pappeln gegen den Sommerhimmel und ein heugrünes Ungetüm, das rasend schnell auf ihn zurollte.

      II

      Die Nacht ist so hell

      „Sigi, die Nacht ist so hell“, flüsterte Julia drängend und stieß den rhythmisch schnarchenden Mann neben ihr leicht in die Rippen. Der drehte sich schlaftrunken zu ihr hin und zog sie an sich. Aus den Augenwinkeln sah er den Mond im Fenster stehen und dessen Lichtreflexe in Julias Haar.

      Julia stemmte ihre Fäuste gegen die Brust ihres Mannes: „Die Nacht ist so hell! Es friert! Die Blumen! Wir müssen sie zudecken. Und die Fuchsien, die gehören unter Dach!“

      Sigi wurde von einer kalten Wut erfasst. Nichts mit Liebe machen. Raus aus dem warmen Bett. Decken suchen und über Blumentöpfe breiten, Blumenkübel in den Keller schleppen, die hohen Oleander mühsam durch die zu kleine Tür manövrieren, nichts umwerfen, nichts abbrechen! Julia mit ihrer Blumenkübelmanie! Sie hätte eben Mitte Oktober einräumen sollen! Noch besser wäre, sie hätte die Blumenstöcke längst entsorgt, zum Kompost geworfen, wie die Nachbarn ihre preisgekrönte Balkonblumenpracht. Nein, Julia musste beweisen, dass der Sonnleitnerhof inmitten der Weinberge eine Nische südlichen Klimas war und ihre Kübelblumen bis Mitte November hinübergerettet werden konnten. Ihn störte jedes einzelne Exemplar dieser dickwandigen, schweren Tonkübel. Angeblich mediterrane Töpferkunst! Wozu? Sie hatten keine Sommergäste, denen man damit imponieren könnte. Aber sie, die Julia, sie hätte ein Buch schreiben können über ihre alten, apfelblütigen Pelargonienarten, über ihre „Brennende Liab“, südseitig vor der hölzernen Hauswand lodernd, über die vielen Fuchsienbäumchen mit knorrigen Stämmen unter einem Regen von zweifärbigen Blüten, in allen Rot- und Rosatönen, in Weiß, Lila und Dunkelviolett.

      Also jetzt. Mitten in der Nacht! Sigi war mehr verbittert als wütend. Er liebte Julia seit seiner Bubenzeit. Julia liebte lediglich ihre Blumen. So simpel war das. Seine Zuneigung, sein Liebesverlangen, ja auch die schwere Arbeit auf dem Hof nahm sie in Kauf dafür, dass sie ihre überspannte Kübelpflanzenleidenschaft ausleben konnte! Solche Sachen dachte Sigi nur, wenn er in einer novemberkalten Mondnacht aus dem Schlaf gerissen wurde. Tagsüber war ihm seine Frau eine tüchtige Partnerin, die mit Traktoren und Milchkühen ebenso gut umgehen konnte wie mit dem Computer, was ihm erlaubte, seinen Job als Chef der örtlichen Raiffeisenbank zu behalten. Den Weingarten hatten sie verpachtet. Dass Julia anpacken konnte, wusste er. Sie stand schon angezogen neben dem Bett; sie würde ihre Blumen vor dem Erfrieren retten, auch wenn sie es allein schaffen müsste, zähneklappernd und mit schmerzendem Rücken.

      Dann los! Ein Pullover übergezogen, darüber die Windjacke. Es würde trotz der Minusgrade eine schweißtreibende Arbeit werden.

      Als die Fuchsienstöcke in den Keller gewuchtet waren, warf Julia ihren Fundus alter Flanelltücher schützend über die Pelargonien. Ein schneidend kalter Wind trieb welkes Laub über den Hof. Julia deutete zur Stallmauer, wo sich eine Passionsblume bis unters Gebälk hochrankte. Immer noch voller Blüten mit überdimensionalen Staubgefäßen, den Marterwerkzeugen Christi nachgebildet. „Leiden-Christi-Blume“ sagen die Bauern. Julia war über den Hof gelaufen und löste vorsichtig die Ranken. Sigi folgte ihr widerwillig. Jedes Jahr dieselbe Plackerei mit dem schweren Topf, der mit seiner Kugelform und den scharfen Rillen äußerst unhandlich war! Keuchend hoben die beiden das Gefäß hoch und hievten es kellerwärts. Da! Das Paradestück aus Kreta zerkrachte mit einem dumpfen Platzer am Boden.

      Zu Tode erschrocken, mondweiß im Gesicht, stand Julia da und zitterte. Kein Wort des Ärgers, kein Wutausbruch. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie an Sigi vorbei. Irr! Wegen dem alten Kübel! Dass dieses Monstrum dahin war, war Sigi ganz recht. Entschlossen nahm er Julias Arm. Steif, den Blick am gegenüberliegenden Waldrand festgebannt, ließ sie sich ins Haus ziehen.

      „Der Sechser“, flüsterte sie, „der Sechserbock.“

      War sie übergeschnappt? Wegen eines Blumentopfs!

      Während Sigi seine Julia besorgt im Bett verstaute, sah er im Ausschnitt des Fensters äsende Rehe vor den am Waldrand aufgereihten, in mattem Plastik weißlich schimmernden Heuballen. Ein Bock war auch dabei. Es war so hell, dass Sigi die drei Sprossen an jeder Stange deutlich erkennen konnte. Er war kein Jäger. Dennoch hätte er in diesem Moment gerne eine Büchse in der Hand gehabt, um die Tiere mit einem Schuss aufzuschrecken. So ein Bock konnte mit seinen Krickerln viel Schaden anrichten, wenn er einen Heuballen aufschlitzte, um an Futter zu kommen. Der Ballen begann dann zu gären und war unbrauchbar. Sigi seufzte, nahm statt eines Gewehrs Besen und Schaufel vom Haken, kehrte bibbernd vor Kälte die Tonscherben im Hof zusammen und trug die Passionsblume, deren starke Wurzeln die Erde wie Krallen zusammenhielten, zur Kellertür.

      Prüfend ging sein Blick wieder zum Waldrand. War das ein Tier oder ein Mensch? Ein Schatten glitt vom Wald her hinter die aufgereihten Ballen. Die Rehe hielten inne und witterten. Jäh hetzten sie in großen Sprüngen talwärts.

      III

      Afra

      Sie trug ihre weißen Haare seit jeher zu Zöpfen geflochten und aufgesteckt. Die erste, die diese Frisur nach Jahrzehnten wieder salonfähig gemacht hatte, war eine ukrainische Ministerpräsidentin gewesen. Für Afra war das belanglos. In bodenlangen Röcken und festem Schuhwerk war sie tagtäglich unterwegs. Zu Fuß. Kam auf einer dieser schmalen Gemeindestraßen zwischen Weinbergen, Wiesenstücken und Wald ein Auto gefahren, wedelte sie mit ihrem langen, schwarzen Schirm. Kaum einer fuhr, ohne anzuhalten, vorbei. War es einer vom Dorf, der sie mitgenommen hatte, griff er nach ihrem Aussteigen routiniert nach dem Fichtenspray, um den unvermeidlichen Geruch nach Bockmist und Kräutern zu verdrängen. War es ein Fremder, dem es darum gegangen war, an einer alten Frau eine gute Tat zu vollbringen, versuchte er bald, grob oder verlegen, sie sich wieder vom Hals zu schaffen. Afra saß wie festgewachsen am Beifahrersitz: Mit geradem Rücken und erhobenem Haupt, den Korb auf dem Schoß umklammernd, ließ sie sich in die Bezirksstadt fahren. Vor einer Gründerzeitvilla deutete sie auf ihren Korb: Der Fahrer möge sie aussteigen lassen und auf sie warten, bis sie ihre Kräuter und ihren Ziegenkäse verkauft habe. Doch jeder dieser Samariter brauste erleichtert davon, sobald er die Frau losgeworden war. Ihre dubiose Ausdünstung blieb noch lange im Auto hängen.

      Jeder im Dorf kannte Afras windschiefe Keusche. Kaum einer gab zu, dort gewesen zu sein. Angeblich, weil der Gestank ihrer drei Ziegen – ein Bock war immer darunter – nur schwer aus Kleidern und Haaren herauszubringen war. Stieg man den unwegsamen Pfad am Rand des Sonnleitnerischen Weingartens abwärts bis an den Waldrand, tauchte das moosbewachsene Dach unvermutet zwischen den Stämmen auf. Man munkelte, die Alte halte ihre Hühner in dem einzigen Raum, wo sie kochte, aß, schlief und ihre Kräuter trocknete.

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