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Frage war doch, was es bedeutete! Und da wurde die ganze Sache schon kniffliger, denn die erste Seite der Treffer war voller Wörter in fremden Sprachen. Allerdings nicht ein bisschen fremd wie zum Beispiel Englisch, sondern fremd.

      Mara musterte die ungewohnten Buchstaben und ihre Kombination mit wilden Häkchen, Strichlein und Kreuzchen: væri, góðri, LÆKNAMIÐILL, und es gab kaum Hinweise, aus welchem Land diese Texte stammten.

      Liest sich eher wie ein IKEA-Katalog, murmelte Mara als sie mit zusammengekniffenen Augen weiter durch die Ergebnisse scrollte.

      Doch dann endlich, ganz unten auf der Seite, stieß sie auf eine Website mit deutschen Übersetzungen alter isländischer Texte über die Wikinger!

      Jetzt wird’s spannend, dachte Mara, als sie die Page aufrief und fand, was sie gehofft und gleichzeitig befürchtet hatte:

       Eine Frau war da in der Siedlung namens Thorbjörg.

       Sie war eine Seherin …

      Und darunter stand das isländische Original:

       Sú kona var þar í byggð, er Þorbjörg hét.

       Hon var Spákona …

      Mara verglich die beiden letzten Zeilen miteinander:

       Hon var Spákona …

       Sie war eine Seherin …

      Verdammt.

      Seltsamerweise dachte Mara nicht zuerst an die Konsequenzen, die das für sie selbst hatte, sondern lief zurück in ihr Zimmer zu dem Wasserglas. Dort fischte sie den Zweig vorsichtig aus dem trüben Wasser, wickelte ihn behutsam in eine rote Serviette und trug ihn dann hinaus ins Freie.

      In dem kleinen Hinterhof, den sie von ihrem Fenster aus sehen konnte, grub sie mit den Händen ein kleines Loch in die Erde neben der großen Esche. Dort hinein legte sie den eingewickelten Zweig und deckte das Loch sorgfältig wieder zu. Sie gab sich Mühe, die Grasbüschel wieder so festzudrücken, dass man nicht mehr erkennen konnte, ob jemand hier etwas vergraben hatte. Man wusste ja nie …

      Danach stand sie eine Weile vor dem unsichtbaren Grab und schwieg. Sie sah hinauf in die Blätter der Esche und irgendwie war ihr, als hörte sie ein leises, unglaublich tiefes Brummen. Melodisch irgendwie und auch beruhigend. Die Blätter raschelten leise im Wind, aber sie sprachen nicht mit ihr. Schließlich war dies ja auch ein Begräbnis und Mara war gerade nicht nach Konversation zumute. Sie hätte auch gar nicht sagen können, wie sie reagiert hätte, wenn die Äste ihr alle ihr Beileid ausgesprochen hätten.

      Mara bemerkte, dass sie unbewusst die Hände gefaltet hatte, blieb aber noch ein paar Minuten genauso stehen und schwieg.

      Erst als sich irgendwann ihr ewig schlecht gelaunter Nachbar Herr Dahnberger mit zwei Mülltüten aus der Tür schälte und dabei unterdrückt schimpfend versuchte, seinen Hausschlüssel für das Mülltonnenhäuschen aus der Hosentasche zu fischen, drehte sie sich um und ging zurück ins Haus.

      Was schade war, denn so verpasste sie das Lied, das die Blätter der Esche genau in dem Moment anstimmten, als sich hinter Mara die Haustür schloss …

       Eine Esche weiß ich,

       heißt Yggdrasil,

       den hohen Baum netzt

       weißer Nebel;

       davon kommt der Tau,

       der in die Täler fällt.

       Immergrün steht er

       über Urds Bunnen.

      Schon auf der Treppe prasselten all die Gedanken auf Mara ein, die sich durch ihre Entdeckung im Internet ergaben – und zwar mit einer solchen Wucht, dass sie weiche Knie bekam.

      Sie brauchte Hilfe. Aber von wem? Und wenn sie diesen Jemand gefunden hatte, was zum Teufel sollte sie ihm denn sagen? Hallo, ein Zweig schickt mich und ich muss einen Typen in einer Höhle fesseln. Oder was?!

      Okay, es war auf jeden Fall eine ganz schlechte Idee, ihrer Mutter von alldem zu erzählen, denn zwei Dinge konnten passieren: Entweder Mama glaubte ihr kein Wort und das Ganze wurde peinlich. Oder Mama glaubte ihr alles, beschloss zu helfen, das Ganze wurde noch peinlicher und ging fürchterlich schief.

      Nein, Mara musste woanders nach Hilfe suchen und klemmte sich dafür noch einmal hinter Mamas Notebook. Über die Seite mit den Wikinger-Übersetzungen gelangte sie schnell zu einem Wikipedia-Eintrag, in dem von germanischer Mythologie die Rede war.

      Den Begriff Mythologie kannte Mara. Den hatte sie schon mal gehört, als sie in der Schule die alten griechischen Sagen von Herkules und Göttern wie dem Blitzeschleuderer Zeus und seiner Frau Hera durchgenommen hatten. Und germanisch hatte sicherlich was mit Germany, also Deutschland, zu tun. Ja klar! Also war germanische Mythologie so etwas wie die Göttersagen ihrer Vorfahren. Davon hatte Mara bisher allerdings noch nie gehört oder zumindest erinnerte sie sich nicht daran. Über den Griechen Herkules gab es ja immerhin schon mal einen Zeichentrickfilm, aber über germanische Götter?

      Anscheinend sind diese Damen und Herren wohl ziemlich tief in der Versenkung verschwunden und haben heutzutage nichts mehr zu melden, dachte Mara. Doch wie um das Gegenteil zu beweisen, winkten ihr plötzlich zwei Wörter aus einer Liste mit germanischen Götternamen zu, die ihr wenigstens ein bisschen bekannt vorkamen: Odin und Thor.

      Woher kenn ich das? Aus Asterix vielleicht? Nee, die sagen ja immer »beim Teutates«, überlegte Mara. Komisch, warum weiß ich mehr über die alten Götter der Gallier und Griechen als über die aus unserer Gegend?

      Umso erstaunter war sie, als sie nur ein paar Mausklicks weiter erfuhr, dass diese alten Götter und ihre Kollegen auf jeden Fall vier bleibende Eindrücke hinterlassen hatten: Die Wochentage!

      Genauer gesagt: die Namen der Wochentage. Wie Mara mit wachsendem Interesse lesen konnte, hieß der Donnerstag nicht etwa so wegen des schlechten Wetters, sondern wegen des Donnergottes Thor, auch Donar genannt. Eigentlich hieß es also Donars Tag! Oder im Englischen Thursday, also Thor’s Day!

      Ein Gott namens Týr hatte wohl dem Týrsdag, dem Dienstag, seinen Namen gegeben. Dafür geht der englische Wednesday auf Wodan zurück, wie der Gott Odin auch genannt wird. Dessen Frau Frigg war wiederum Namensgeberin für den Freitag.

      Wow!, dachte Mara erstaunt, warum sagt einem das eigentlich keiner? Kann mich nicht erinnern, das in der Schule mal von irgendeiner Overhead-Folie abgeschrieben zu haben.

      Also hatte es wohl doch nichts damit zu tun, ob man am Dienstag Dienst oder am Freitag frei hatte. Und bedeutete dann wohl auch, dass am Samstag nicht das Sams kam. Eigentlich schade.

      Auf jeden Fall wusste sie jetzt, dass sie nach den Begriffen germanisch, Mythologie und Seherin zu suchen hatte. Gedacht, getan, und so stieß sie ziemlich schnell auf einen Text, in dem von einer sogenannten Völva die Rede war. Okay, das war zwar erst einmal nur ein weiteres Wort für die Unbekannten-Liste, aber Mara spürte, dass sie auf der richtigen Spur war. Darunter standen gleich mehrere Bedeutungen: Schamanin, Zauberin, Prophetin, Wahrsagerin … und Hexe!

      Hilfe! Was macht Mamas verrückte Frauengruppe in meinen Nachforschungen! Bitte sag, dass die nix mit mir zu tun haben!, dachte Mara, ohne zu wissen, an wen sie diese Bitte eigentlich gerade gerichtet hatte.

      Wer-auch-immer war aber offensichtlich nicht bereit, Mara diesen Wunsch zu erfüllen. Denn etwas weiter unten in dem Text war doch tatsächlich von einer Spákona die Rede: Weit verbreitet war dagegen »die Frau, die sieht«, eine Seherin – die etwas schwächer begabte Spákona.

      Eine Spákona war also so was wie eine Seherin

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