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hochgezogen und sich mit einem leisen Seufzer auf ihrem Drehstuhl niedergelassen hatte, stellte sie dem Zweig noch einmal dieselbe Frage.

      »Wer ist dieser Mann und was hat er getan?«

      Hoffentlich hatte der geheimnisvolle Auftraggeber dem Zweig wenigstens das mit auf den Weg gegeben. Denn wie sollte sie den Mann sonst befreien? Und das war es doch sicher, was man von ihr verlangte, oder?

      Der Zweig aber schwieg und Mara spürte, wie die Angst in ihr immer stärker wurde. War der Zweig vielleicht bereits … bitte nicht, noch nicht!

      Doch da ertönte endlich die inzwischen vertraute Stimme des Zweiges in ihrem Kopf und Mara beruhigte sich.

      »Ganz im Gegensatz zu dir bin ich leider nicht mit der Gabe des Sehens gesegnet«, sprach er sanft. »Ich glaube auch, dass dies ein Talent ist, das nur euch Menschen vorbehalten ist.« Der Zweig seufzte. »Das ist wohl auch der Grund, warum man sich immer schon gerne der Pflanzen als Botschafter zwischen den Mächtigen und den Menschen bediente.«

      Der Zweig schien sich noch einmal in seinem Glas hochzustemmen. »Nun ist es Zeit für den letzten Teil der Nachricht, Mara. Hör gut zu, ich werde es nicht wiederholen können, denn meine Kräfte schwinden. Aber mach dir keine Sorgen, das ist ganz normal. Wie alles auf der Welt komme auch ich wieder, selbst wenn es vielleicht ein bisschen dauert.«

      Mara wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, und musste stumm zusehen, wie sich der Zweig ein letztes Mal aufrichtete. Nur das leise Zittern ihrer Unterlippe konnte sie nicht abstellen. Die nun folgenden Worte brannten sich so unauslöschlich in Maras Bewusstsein, als hätte man sie ihr direkt aufs Großhirn tätowiert. Und zwar in leuchtendem Rot und mit einem dicken Pfeil daneben.

      »Fürchte dich vor Loki, halb Gott, halb Riese, listiger Lügner, wortgewandter Schmähredner, trickreicher Gestaltwandler, Bringer von Streit und Zwietracht, einst Freund und Gefährte der Götter, dann hinterlistiger Feind und Vater noch größerer Feinde

      Mara wusste sofort, dass damit niemand anderes als der Gefesselte gemeint war, obwohl sie all das gerade zum ersten Mal hörte. Der Zweig klang, als würde er alles auswendig aufsagen, als er weitersprach:

      »Die Fesseln, mit denen wir den Loki einst banden, drohen sich zu lockern. Darum finde ihn und binde ihn. Du hast die Gabe des Sehens, du wirst sehen, wo andere suchen, und du wirst wissen, wo andere zweifeln. Versagst du, droht das Ende. Nur du stehst zwischen uns und …«

      Der Zweig hatte Mühe, sich aufrecht zu halten, seine Blätter hatten sich bereits eingerollt. Mara fühlte sofort wieder, wie ihr die Panik den Hals zuschnürte. Was sollte sie denn tun ohne den Zweig? Oder würde sie gleich aufwachen und feststellen, dass alles nur ein Traum war?

      Plötzlich gaben die Blätter nach und der Zweig rutschte in das Glas zurück. Mara erschrak und fischte ihn behutsam aus dem Wasser, das inzwischen eine leicht gelbliche Färbung angenommen hatte.

      Die Stimme des Zweiges in Maras Kopf war nur noch ein leises Flüstern, als er versuchte die Botschaft zu Ende zu bringen »… zwischen uns und den …«

      Wieder rutschte der Zweig ein Stück weiter in die gelbliche Flüssigkeit, hielt sich aber einen Moment, als müsste er noch etwas loswerden, und hauchte ein letztes Wort.

      Für Mara klang es wie Anorak.

      »Was?«, stieß Mara hektisch hervor. »Bitte, warte, ich meine … ich hab dich nicht verstanden, bitte, was meinst du denn mit …«

      Doch anstatt eine Antwort zu geben, glitt ihr der Zweig kraftlos durch die Finger in das trübe Wasser und verstummte.

      Mara konnte nicht sagen, wie lange sie danach noch an ihrem Schreibtisch gesessen hatte. Sie war einfach sitzen geblieben, unfähig, auch nur ein Glied zu bewegen. Und als die Sonne bereits hinter dem gegenüberliegenden Haus verschwunden war und auf der Straße die Laternen aufflackerten, war Mara an ihrem Schreibtisch eingeschlafen.

       Kapitel 4

      Es war Sonntag, als Mara wieder erwachte. Sie versuchte sich zu bewegen und stellte fest, dass jeder einzelne Körperteil außer ihrem Gehirn noch im Land der Träume weilte. Mara versuchte trotzdem, sich irgendwie von dem Stuhl zu erheben, und trat ein ins Haus der Schmerzen!

      Kein Muskel, der sich nicht verkrampft hatte, kein Gelenk, das nicht über Nacht eingerostet war … Mara wäre fast ein drittes Mal in 24 Stunden vom Stuhl gefallen, als ihre tauben Beine den Dienst versagten. Doch sie konnte sich gerade noch an der Tischplatte festhalten. Nein, das war sicher nicht der richtige Platz, um sich nach einem anstrengenden Tag mal so richtig auszuschlafen! Es war ja nicht mal sonderlich bequem, hier zu sitzen …

      Im selben Moment erinnerte sich Mara daran, was sie geträumt hatte. Im nächsten Moment sah sie den Zweig in seinem Wasserglas auf dem Schreibtisch und im direkt darauffolgenden dritten Moment wusste sie … ja, was eigentlich? Dass auf ihrem Tisch ein Zweig in einem Wasserglas schwamm. Mehr nicht. Da fiel ihr Blick auf die Schreibunterlage vor ihr und auf das Wort, das sie gestern in ihrem Traum hastig notiert hatte.

       Spákona

      Okay, selbst das konnte man zur Not noch erklären. Hab ich eben im Schlaf was aufgeschrieben, na und?, dachte Mara und zuckte dazu ganz besonders gleichgültig mit den Achseln. Andere Leute liefen auf Dächern herum oder fraßen den Kühlschrank leer, ohne sich am nächsten Tag daran zu erinnern! Dagegen war ein hingekritzeltes Fantasiewort doch echt harmlos …

      Trotzdem. Mara musste sicher sein. Und der schnellste Weg, um herauszufinden, ob es so etwas wie eine Spákona wirklich gab, war: Mamas Laptop.

      Sie fand das ramponierte Notebook im Wohnzimmer, halb vergraben unter Mamas Zeitschriften. Aber wo war das Kabel mit dem Netzteil? Der Akku war komplett leer.

      Maras Mutter hatte den Laptop vor drei Jahren gekauft, um auch »drin« zu sein. Dann hatte sie aber schnell festgestellt, dass man sich dafür länger mit der Technik beschäftigen musste als ein paar Minuten, und nach einigen wirren Mausklicks hatte sie schlagartig das Interesse daran verloren.

      Mara war darüber zuerst froh gewesen, weil sie sich natürlich Chancen auf das Gerät ausrechnete. Umso erstaunter war sie aber, als Mama ihr den Umgang mit dem Laptop strikt untersagte. »Finger weg von diesem Gerät, junge Frau! Das ist kein Spielzeug und am Ende lädst du dir noch irgend so ein Dings rein!«

      Die Antwort, was für ein »Dings« sie eigentlich meinte und wo genau Mara es sich »reinladen« sollte, war Mama ihr schuldig geblieben.

      Also konnte Mara den Computer nur dann benutzen, wenn Mama arbeitete, bei den Wiccas war, schlief oder meditierte. Kein Problem, denn einer dieser vier Fälle traf ja meistens zu.

      Mara überlegte. Es war Sonntag und die Uhr zeigte 10:12. Das bedeutete, Mama war unterwegs zu ihrer Aura-Stunde. Also mindestens noch zwei Stunden Zeit. Sehr gut! Schließlich fand sie auch das Netzteil in der Schublade unter dem Fernseher und es konnte endlich losgehen.

      Einschalten, ins WLAN ihres Nachbarn einwählen (er hatte ihr das Passwort gegeben und dabei verschwörerisch in Richtung von Maras Mutter gegrinst), Internet-Browser öffnen und im Suchfenster Spákona eingeben …

      Mara musste ein bisschen herumprobieren, bis sie es geschafft hatte, dass das kleine Strichlein direkt über dem a erschien und nicht etwa davor oder dahinter. Ihr Finger zitterte ein wenig, als sie mit dem Touchpad den Cursor auf Suche starten bewegte. Sie atmete einmal tief ein, hielt die Luft an und klickte.

      Am liebsten hätte sie gleich noch einmal eingeatmet, denn vor ihren Augen erschien tatsächlich eine Liste mit Treffern: über 10 000! Doch weil sie dann geplatzt wäre, atmete Mara erst einmal wieder aus.

      Na gut, was heißt das schon?, dachte sie. Das Wort gibts

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