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       Jutta Koslowski

      »Ökumene – wozu? Antworten auf eine Frage, die noch keiner gestellt hat« lautet der Titel dieses Buches. Ist dies ein leeres Versprechen, eine Anmaßung? Gibt es in der Ökumene tatsächlich noch Fragen, die nicht beantwortet, ja noch nicht einmal gestellt worden sind? Oder ist schon längst alles gesagt, was gesagt werden kann? Geht es nicht vielmehr um Taten als um Worte, wenn wir in der Zusammenarbeit zwischen den Kirchen einen Schritt vorankommen wollen?

      Tatsächlich glaube ich, dass die Frage nach dem Wozu in der ökumenischen Bewegung nur selten gestellt worden ist. Sie gilt in theologischen Kreisen als nicht opportun. Zu klar scheint zu sein, warum wir dazu verpflichtet sind, uns um die sichtbare Einheit der Kirche(n) zu bemühen. Hat Jesus nicht im Hohepriesterlichen Gebet das Vermächtnis hinterlassen, dass die Gläubigen »alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, dass auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast« (Joh 17, 21)? Ist dies nicht die magna charta der ökumenischen Bewegung? Auch wenn die Frage nach dem Warum durch einen Hinweis auf den göttlichen Auftrag beantwortet sein mag, auch wenn die ursprüngliche Motivation der ökumenischen Bewegung damit erklärt werden kann – das Thema Wozu ist hiervon zu unterscheiden. Und darum geht es in diesem Buch.

      Ich bin davon überzeugt, dass der vorliegende Band trotz der Flut von Veröffentlichungen zur Ökumene (gerade in Zusammenhang mit dem Zweiten Ökumenischen Kirchentag in München) seine Berechtigung hat, weil er etwas wirklich Neues bietet. Wozu dient eigentlich der ganze Aufwand, der um die Ökumene betrieben wird? Was wird damit konkret beabsichtigt? Und wird dieses Ziel auch erreicht? Mit diesen Fragen ist eine Verzweckung des Handelns angesprochen, die uns Theologen im Allgemeinen suspekt ist. Wir lassen uns nicht gerne an den Maßstäben einer Kosten-Nutzen-Rechnung messen, wie sie in der Betriebswirtschaftslehre üblich ist. Und doch können wir uns dem Anspruch der Effizienz nicht völlig entziehen.

      So ist es ist kein Wunder, dass die Anregung zu diesem Buch von einem Nicht-Theologen an mich herangetragen worden ist – vom Leiter des Brendow Verlags, der das ökumenische Treiben im Hinblick auf die dabei leitenden Interessen kritisch verfolgt. Inwieweit die verschiedenen FachtheologInnen, welche einen Beitrag zu diesem Buch geleistet haben, der Themenstellung gerecht geworden sind, mögen die Leserinnen und Leser selbst beurteilen. Für Herausgeberin und Verlag war es wichtig, dass nicht nur TheologInnen zu Wort kommen, sondern auch diejenigen, für welche dieses Buch geschrieben worden ist: »Interessierte Laien«; Menschen aus dem »Kirchenvolk«, die sich tagtäglich für die Ökumene engagieren und sie am Leben erhalten; die Besucherinnen des Ökumenischen Kirchentags … Deshalb finden sich neben so prominenten (und gegensätzlichen!) Autoren wie Kardinal WALTER KASPER und GOTTHOLD HASENHÜTTL auch Texte von Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben etwas veröffentlicht haben. Auch in dieser Hinsicht ist das Buch ein Experiment.

      Wir haben versucht, die Ökumene in der Vielfalt ihrer Aspekte zur Sprache zu bringen. Nach einer Einführung, welche den LeserInnen die wichtigsten Entwicklungen im »Jahrhundert der Ökumene« vor Augen führt, wird im ersten Teil des Buches das Wesen der Ökumene in ihrer Doppelgestalt entfaltet: Sie hat einen (überregionalen) konfessionellen Aspekt – und zugleich eine (konfessionsübergreifende) regionale Ausprägung. Beides kommt in abwechslungs- und aufschlussreichen Artikeln exemplarisch zum Ausdruck. Diese Grundlegung führt im zweiten Teil zu der Suche nach dem Wozu. Dabei ergibt sich eine Fülle von Hinweisen: Ökumene bietet umfassende Betätigungsmöglichkeiten im Leben von Ehepaaren und Familien sowie auf der Ebene der konkreten Ortsgemeinde; sie macht Sinn, weil sie Zusammenarbeit im sozialdiakonischen Bereich ermöglicht; und nicht zuletzt hat sie auch eine politische Dimension. Auch wenn die Annäherung zwischen den Kirchen schon seit Jahrzehnten stagniert, können diese Beispiele Mut machen. Wie die einzelnen Steinchen eines Mosaiks setzen sie sich zu einem Bild zusammen, das eine Antwort gibt auf die Frage »Ökumene – wozu?«

       Von 1910 bis 2010: Hundert Jahre Ökumene – eine Erfolgsgeschichte?

       Annemarie C. Mayer

      2010 jährt sich die Weltmissionskonferenz in Edinburgh zum hundertsten Mal. Oft begegnet man der Auffassung, mit ihr sei der Startschuss zur ökumenischen Bewegung gefallen. War Edinburgh 1910 wirklich ein so markantes Ereignis oder nur einer von vielen Schritten auf dem ökumenischen Weg? Was ist Sinn und Zweck der ökumenischen Bewegung im 20. und 21. Jahrhundert? Kann man im Rückblick auf die letzten hundert Jahre von einer »Erfolgsgeschichte der Ökumene« sprechen?

      Eines steht jedenfalls fest: Die Ökumene gibt es nicht erst seit 1910, sondern schon viel länger. Sie ist im Grunde so alt wie die Konflikte in der Kirche selbst. So gesehen war das Jerusalemer Apostelkonzil, von dem Apostelgeschichte 15 berichtet, ein erstes ökumenisches Bemühen, denn es sollte den urkirchlichen Konflikt zwischen Juden- und Heidenchristen beilegen. Später kam es nach der Spaltung von Ost- und Westkirche zu mehreren Versuchen, die Kircheneinheit wiederherzustellen – aber mit der Eroberung von Konstantinopel durch die Kreuzfahrer im Jahr 1204 rückte dieses Ziel in weite Ferne. Auch nach der Reformation fehlte es nicht an Einigungsbestrebungen. Obwohl es keine offiziellen Unionsgespräche mehr gab, entwickelten sich in der Folgezeit drei für die Ökumene bis heute wichtige Denkrichtungen, auf welche sich die Kirchen als Grundlage für ihre Einigung stützen können.

      Die erste dieser Denkrichtungen setzt darauf, durch Anerkennung der Lehrentscheidungen der ersten fünf Jahrhunderte oder der ersten sieben ökumenischen Konzilien die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Dahinter steht die Idee, man könne sich auch heute wieder auf das einigen, was in früheren Jahrhunderten einmal die gemeinsame Grundlage gebildet hat. Eine zweite Richtung will die Kirchen durch die Einigung auf die heilsnotwendigen Fundamentalartikel des Glaubens versöhnen. Auf diese Art, ökumenisch zu argumentieren, kann sich die Methode des sogenannten »differenzierten Konsenses« berufen, welche eine Grundübereinstimmung in fundamentalen Glaubensfragen festhält und gleichzeitig noch bestehende, aber nicht mehr kirchentrennende Differenzen zwischen den Konfessionen ernst nimmt. Eine dritte Richtung sieht die Einheit der Kirche bereits durch die Einigung auf ethische Inhalte des Evangeliums erreicht. Sie findet ihren Widerhall in der »Bewegung für Praktisches Christentum«, auf die später noch zurückzukommen ist.

       1. Die ersten Konferenzen der Ökumenischen Bewegung (1910 – 1937)

       Internationaler Missionsrat – Bewegung für Praktisches Christentum – Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung

      Heute bezieht sich der Begriff »Ökumene« auf das gemeinsame Miteinander der Kirchen und auf das Bemühen, die konfessionellen Spaltungen der Christenheit zu überwinden. In der Alten Kirche besagte dieser Ausdruck so viel wie »die ganze bewohnte Welt«. Die damaligen ökumenischen Konzilien, z. B. das erste Konzil von Nizäa im Jahr 325, beanspruchten, weltweit für die ganze Christenheit zu sprechen. Im 19. Jahrhundert zeichneten sich Weichenstellungen ab, welche diesen weltweiten Aspekt der Ökumene wiederbelebten und die erste Weltmissionskonferenz in Edinburgh ermöglichten. In allen Lebensbereichen nahm die Internationalisierung zu und führte zu Weltorganisationen und Ereignissen mit globalem Geltungsanspruch – wie der ersten Weltausstellung 1851 oder den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit im Jahr 1896. Diese Entwicklung setzte sich auf kirchlicher Seite fort, und zwar durch die Bildung von konfessionellen Weltbünden. Um die christliche Botschaft weltweit zur Geltung zu bringen, wurden z. B. die Anglikanische Kirchengemeinschaft (1867), der Reformierte Weltbund (1875) und die Methodistenkonferenz (1881) gegründet; sogar das erste Vatikanische Konzil (1870/​71) kann im Sinn eines weltweiten engeren Zusammenrückens der Katholiken gedeutet werden. Wenig später begannen die orthodoxen Kirchen, sich auf ein panorthodoxes, also alle orthodoxen Kirchen umfassendes Konzil vorzubereiten. Einzig der Lutherische Weltbund fiel zeitlich etwas aus dem Rahmen: Er wurde erst 1947 gegründet.

      Nach ihrer binnenkonfessionellen Einigung begannen diese weltweiten Zusammenschlüsse, sich auch um ökumenisches Miteinander zu bemühen. Als Erste stellte die Anglikanische Kirchengemeinschaft im so genannten Lambeth Quadrilateral von 1888 die Grundbedingungen

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