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solchen Verständnis von psychosozialen Krisen nicht das Ziel ›wissenschaftlicher‹ oder ›objektiver‹ (ebd.: S. 37) zu sein, sondern sich einem Verständnis über den subjektiven Sinn und Zweck des Verhaltens anzunähern (vgl. ebd.). Aufgabe von Unterstützter_Innen ist es somit nicht, Betroffenen zu erklären, was sie zu tun hätten oder wie sie Dinge zu sehen hätten, sondern den Ausdruck des spezifischen »In-der-Welt-Seins« (ebd.: S. 39) nachzuvollziehen und je nach Wunsch Reflexions- oder Alltagsunterstützung zu bieten.

      Exkurs: Kritik an der Naturalisierung menschlichen Verhaltens

      Der vorher beschriebene gottähnliche Status der (Natur-)Wissenschaften (vgl. Lewontin et al. 1988: S. 40) zeigte sich auch darin, wie medizinisch-naturalistische Denkmodelle den Diskurs der Unterstützung dominierten und sich dies bis heute noch hält. Der Bezug auf eine angenommene Natur des Menschen wird genutzt, um gesellschaftliche Verhältnisse und individuelles Verhalten zu erklären. In diesem naturalistischen Erklärungsmodell wurde davon ausgegangen, dass sich »so unterschiedliche Phänomene wie die sexuelle Orientierung, psychische Probleme, Erfolg im Leben […] und die Gewalt auf den Straßen« (Rose 2000: S. 295) durch die einzelnen Gene der Individuen erklären ließen. Kritisch lässt sich einwenden, dass eine solche deterministische Betrachtung des Menschen grundlegende Aspekte außen vor lässt. Erstens lässt sich das menschliche Sein nicht alleine durch die biologische Materie begreifen. Der Mensch ist potenziell in der Lage auf seine eigenen Handlungen von außen zu schauen und diese an – in seiner individuellen Biographie erlernten – Werten und Normen zu messen (vgl. Mead 1968: S. 179). Durch diese Form der Selbstreflexion, kann ein Mensch das eigene Verhalten hinterfragen und verändern, zumindest innerhalb eines gesellschaftlich beeinflussten (aber nicht determinierten) und potentiell veränderbaren Möglichkeitsraumes (vgl. Leiprecht 2011: S. 39 f.). Der zweite grundlegende Denkfehler in der medizinisch-naturalistischen Theorie liegt in der Annahme, die menschliche Natur sei unveränderbar (vgl. Rose 2000: S. 9). Dabei sind sowohl die einzelnen Zellen, Körperstrukturen und Moleküle des menschlichen Körpers vergänglich, wodurch der Körper selbst einer sich ständig verändernden Dynamik unterliegt (vgl. ebd.: S. 55), als lebendige Systeme auch »definitionsgemäß offene Systeme« (vgl. ebd.: S. 112) sind und sich zum Überleben den umweltbedingten Schwankungen anpassen müssen (vgl. ebd.: S. 176).

      Das naturalistische Erklärungsmodell für das Verhalten von Menschen trägt einen gewissen Doppelcharakter in sich, welcher sich einerseits darin zeigt, dass Betroffene leicht als ›Opfer der eigenen Gene‹ gesehen werden (Rose 2000: S. 21). Damit einher geht sowohl eine Befreiung aus der Verantwortung für das eigene Handeln, als auch das Absprechen des Selbstbestimmungsrechtes über den eigenen Körper, das eigene Verhalten, das eigene Denken und Sein im Generellen. In einer zweiten Erscheinungsform zeigt er sich andererseits darin, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse als Natur gegeben beschrieben und der Mensch als ›Opfer der Umstände‹ betrachtet wird (vgl. Lewontin, Rose & Kamin 1988: S. 40). Dies impliziert die Vorstellung, dass die betroffene Person sich in ihrem Verhalten den Verhältnissen und den damit einhergehenden Erwartungen anzupassen habe. In beiden Fällen wird die Wechselwirkung von gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen mit den Handlungen und Denkmustern der betroffenen Person ignoriert und das spezifische Verhalten durch eine biochemische Dysfunktion erklärt (vgl. Rose 2000: S. 310).

      Die ›neue‹ psychiatriekritische Bewegung der 1970er & -80er Jahre

      In Deutschland manifestierte sich die ›alte Psychiatriekritik‹ anfangs in der sog. Psychiatrie-Enquete, dem Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland von 1975 (vgl. Deutscher Bundestag 1975). Dieser kritisierte neben einer schlechten Versorgungsstruktur (vgl. ebd.: S. 8 ff.), einer mangelnden Qualifikation der ›Professionellen‹ (vgl. ebd.: S. 9 ff.), auch die Struktur und Bausubstanz der Gebäude (vgl. ebd.: S. 11). Was sich leicht lesen lässt, bedeutete für die Betroffenen in erster Linie eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Inhaftierung in einer geschlossenen Institution und die tägliche Gefahr in heruntergekommenen, überfüllten Schlafsälen der Willkür von Psychiater_Innen, Pfleger_Innen, Ärzt_Innen und Therapeut_Innen ausgesetzt gewesen zu sein. Die Psychiatrie-Enquete schaffte in der Praxis jedoch keine radikalen Veränderungen. Die vollzogenen Reformen ermöglichten im psychiatrischen System zwar die »Abkehr vom Konzept der Verwahrung und Ausschließung« (Trotha 2001: o.S.) der Betroffenen, jedoch ohne »die grundsätzlichen Positionen des psychiatrischen Diskurses in Frage stellen zu müssen« (ebd.). Hinzu kamen neue Entdeckungen im Bereich der Psychopharmaka, welche – im Zuge der ›Psychiatrie Reform‹ von Ärzt_Innen als Fortschritt gefeierten – zur Verschiebung von Behandlungsmethoden führte: Weniger direkte Gewalt durch die »mit Problem belasteten Elektro-, Kardiazol- und Insulinschocktherapie« (Häfner 2003: S. 124), mehr Gewalt durch teils unter Zwang verabreichten Psychopharmaka (vgl. Weigand 2015: 20 ff.).

      Auch bei der ›alten‹ Psychiatriekritik, welche mit ihrer Dekonstruktion und Entmystifizierung von psychosozialen Krisen neue Denk- und Handlungsmuster zur Unterstützung anbot, blieb die Kritik – wie auch in diesem Artikel – meistens bei einer akademischen Betrachtung und Umdeutung stehen.

      Jedoch begannen – durch den Einfluss der oben beschriebenen Kritiken gestützt – verschiedene Betroffenengruppen sich in Selbsthilfe- und Betroffenenverbänden zu organisieren. Dabei stand nun, wie auch in der ›alten‹ Psychiatriekritik weniger die Forschung an und über die Betroffenen und deren Verhalten im Vordergrund, sondern es wurden verstärkt die gesellschaftlichen Verhältnisse analysiert unter denen Menschen leiden können. Neu war nun vor allem die hierbei entstehende Selbstorganisierung von Betroffenen bzw. Patient_innen. Einige sahen in dem Verständnis, dass ›krankes‹ Verhalten aus kranken Gesellschaftsverhältnissen entstünde, den Ausgangspunkt für eine Analyse, in der als ›krank‹ Klassifizierte die eigentlichen revolutionären Subjekte wären, sofern sie die »progressiven Momente der Krankheit in Anspruch [nehmen]« (Sozialistisches Patientenkollektiv & Sartre 1972: S. 61). Diese Haltung hatte jedoch auch einen gefährlichen Effekt: Sollten Parolen wie »Aus der Krankheit eine Waffe machen« (Sozialistisches Patientenkollektiv & Sartre 1972) ein neues Selbstbewusstsein erschaffen und so zu einem Umsturz der Verhältnisse führen, entstand für einige Betroffene durch den Verweis auf die Psychiatrie und Therapie als herrschaftsstabilisierende Institutionen ein Vakuum in Bezug auf gewollte Unterstützung. Dabei ging unter, dass auch gängige medizinische Erklärungsmodelle einigen Betroffenen durchaus helfen konnten, mit ihren Krisensituationen umzugehen.

      Manche Gruppen versuchten daher Unterstützungsstrukturen aufzubauen, in denen sie sich möglichst ohne den Einfluss einer kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft um sich selbst kümmern konnten (vgl. Lehmann 1998: S. 31). Wieder andere versuchten mit Unterstützung von sog. Allies10 Strukturen aufzubauen, in denen Menschen vor psychiatrischer Gewalt geschützt leben und gleichzeitig ihre Krisen durchleben konnten (vgl. ebd.).

      Dies ist der Standpunkt, an dem ich die heutige linke Bewegung nach wie vor sehen würde. Während die Psychiatrie-Reform im Zuge der 1970er Jahre gestarteten Psychiatrie-Enquête versucht hat, einige akademische Kritiken umzusetzen und in ihrer Reform die sog. Sozial-Psychiatrie erschaffen hat, haben radikalere Gruppierungen versucht sich ein unabhängiges Unterstützungssystem aufzubauen. Dabei gibt es innerhalb eines bewegungslinken Kontextes in Deutschland scheinbar zwei Hauptmeinungen zum Thema Psychiatriekritik und Unterstützungsarbeit: Die einen gehen davon aus, dass die alten Kritiken in der Psychiatriereform aufgehen würden und lediglich mangelnder Zugang zum System und stereotype Darstellung noch aktuell vorhandene Probleme seien. Diese Position schiebt somit die Verantwortung für eine als notwendig betrachtete ›Heilung‹ dem medizinisch-therapeutischen Komplex zu. Die andere Position beinhaltet meist den Gedanken, dass die Kritik am Unterstützungssystem bereits formuliert worden wäre, sich aber real in der herrschenden bürgerlich-kapitalistischen

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