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      »So hab ich immer gearbeitet«, flüsterte Hughes. »Immer allein.«

      Er betrachtete die Batterie, dann steckte er sie in die Tasche.

      Der Wind frischte wieder auf, und ein Schauer peitschte durch die Luft, der dem Fremden wie Dornen in Hände und Gesicht stach.

      »Gut«, sagte er. »In einem Monat komme ich zurück und erkundige mich nach dem Fortschritt.«

      Der dornige Schauer wurde heftiger, und er zerkratzte die Luft mit einem Geräusch, als würde eine Sense geschärft. Das Gesicht des Fremden schien in der Flut zu verschwimmen. Er tat ein paar Schritte rückwärts, und auf einmal wurde sein Körper wie ein schwarzes Leintuch vom tosenden Wind fortgetragen.

       1

       Ein Monat später, Coney Island, Lough Neagh

      »Diesmal wollen sie dich töten.« In der vollgerümpelten Vogelbeobachtungshütte wandte sich Joseph Devine um, um zu sehen, wer ihn angesprochen hatte, aber außer ihm war niemand da. Seine Augen waren müde, und der beißende Wind, der vom grauen Seeufer über eine Meile heranfegte, brachte sie zum Tränen.

      »Gott im Himmel, reicht’s denn nicht, mich zu erschrecken?«

      »Diesmal nicht. Nicht für sie. Sie haben bereits zu lange gewartet.«

      »Ich hab niemandem was getan«, sagte er. Aber das hatte er immer behauptet.

      Schon den ganzen Tag versteckte er sich auf einer Insel, die für Wasservögel ein Rückzugsort war, aber für einen verängstigten alten Spitzel eine unsichere Zuflucht.

      Sogar bis hierher war ihm die Stimme gefolgt.

      »Ich bin kein Informant mehr«, sagte er flehend. »Ich tu auch nicht mehr so, als wär ich ein andrer als der, der ich bin. Merkst du das nicht?«

      »Hast du’s etwa vergessen, Joseph?«, stichelte die Stimme weiter. »Ein Spitzel ohne Tarnung ist bald gar nichts mehr.«

      Dem konnte er nicht widersprechen.

      Er spähte durch das Fernglas auf den Ort, von dem er befürchtete, dass er für seinen Tod vorgesehen war – ein leer stehendes Cottage, das sich an dem baumbestandenen Ufer duckte. Für ihn war es kaum vorstellbar, dass er ausgerechnet jetzt, in dieser Phase seines Lebens, nach dem Ende der Troubles und dem Abschluss des Waffenstillstandsabkommens, sterben könnte.

      Die Schuld, die ihm die Stimme aufbürdete, wog schwer.

      »Am Ende hat dein Gewissen dich doch mürbe gemacht, Joseph. Jahrelang hat es geduldig gewartet. Aber es hatte dir gegenüber einen entscheidenden Vorteil. Die Zeit war auf seiner Seite.«

      Die meiste Zeit seines Lebens war Joseph Devine vor etwas weggelaufen – vor der British Army, der Royal Ulster Constabulary, der IRA, merkwürdigen Autos im Rückspiegel oder unerwarteten nächtlichen Anrufen, sogar vor Schatten am Ende einer Gasse. Zwar würde er niemals das geringste Bedauern über den wiederholten Verrat äußern, der seine vierzigjährige Karriere begleitet hatte, aber er hatte auch nie aufgehört, hinter sich zu blicken und nach den Schatten Ausschau zu halten, von denen er wusste, dass sie immer dort warteten. Nachdem die Troubles vorüber waren und die Special Branch ihn praktisch in den Ruhestand versetzt hatte, war seine größte Befürchtung die, dass er sogar seinen geheimsten Verfolgern entwischt sein könnte. In was für ein Loch fiel er, wenn sogar sie verschwunden waren? Er wusste, dass er, wenn ihn keiner mehr beobachtete, auch nie mehr von sich selbst befreit sein und vor den Stimmen in seinem Kopf verschont bleiben würde.

      Der klagende Ruf eines Stockentenerpels zerschnitt die Luft. Devine hielt die gewölbten Hände vor den Mund und antwortete mit einem heiser-kehligen Laut, dann ließ er schnell hintereinander vier Lockrufe folgen, um das unruhige Tier zur Rückkehr an die Beobachtungshütte zu bewegen. Er wollte den Vogel in seiner Nähe halten, weil er hoffte, er würde Alarm schlagen, wenn sich ein Eindringling näherte. So ein quakender Geigerzähler schlug bereits an, wenn auch nur ein Ast knackte.

      Der Erpel hörte den falschen Ruf einer Ente in Not, flog eine enge Kurve und kehrte zurück. Ungefähr fünfzehn Meter vor dem Versteck schlug er mit den Flügeln und landete auf dem Wasser. Devine gestattete sich ein kurzes Lächeln, weil er den Vogel so problemlos angelockt hatte.

      »Schon besser«, sagte die Stimme. »Jetzt sicherst du dich ab. Schließlich gibt’s auf der Welt keine besseren Wachposten als Wildvögel. Ein Meisterstreich, Mr. Devine, wie Master Brannigan, der alte Brandy Balls, sagen würde.«

      Während im Westen die letzte Glut am Horizont noch einmal angeblasen wurde, hob Devine wieder das Fernglas vor die Augen und blickte auf das Haus, von dem er gehofft hatte, es würde sein Altersruhesitz werden. Sorgfältig inspizierte er das Ende des Feldwegs, das undurchdringliche Schlehdorndickicht, das an den verwilderten Garten grenzte, die Position der zerschlissenen Vorhänge in den Fenstern und prüfte alles auf ein Anzeichen der Schatten, vor denen er sich seit seiner Jugend versteckte.

      Bei einer Kopfdrehung strich er mit seinem Stoppelkinn über den schlanken kühlen Lauf des Jagdgewehrs, das neben ihm an der Wand lehnte. Da fiel ihm ein, dass er mit den neuen Handschuhen noch keine Schießpraxis hatte, und er fluchte. Sie waren so dick, dass es womöglich einen Einfluss darauf hatte, wenn er die Waffe hielt und den Abzug betätigte. Beim Dehnen seiner müden Finger spürte er die feuchte Kälte, die sogar durch das Leder gekrochen war, und packte das Fernglas fester.

      Von einer nahen Eiche flog ein Krähenschwarm auf und lenkte ihn von der eingehenden Betrachtung des Cottage ab. Als er sich wieder darauf konzentrieren konnte, lag es unverändert still am Ufer. Abgesehen davon, dass kein Rauch aus dem Kamin stieg, war es ein Sinnbild häuslichen Friedens. Die Krähen ließen sich nieder, und die Nacht schlich die Uferlinie entlang. Er seufzte und ließ das Fernglas sinken.

      »Du hast dir Ruhe verdient, Joseph«, schnurrte die Stimme. »Es war mühsam für dich, über all die Jahre den Schein zu wahren. Die Anstrengung hat dich müde werden lassen. Es ist weiß Gott ein Wunder, dass du überhaupt noch lebst.«

      Froststacheln bohrten sich durch die eisigen Bodenbretter und stachen ihm ihre kalten Spitzen in Füße und Knie. Er meinte zu spüren, dass er, von der kalten Schwerkraft des Winters angezogen, wie ein Tier im Winterschlaf immer tiefer in sein Innerstes hineinsank. Die stundenlange Überwachung begann an ihm zu zehren.

      »Mach einfach die Augen zu und schlaf, Joseph. Du hast das perfekte Versteck für einen perfekten Spitzel gefunden.«

      Obwohl er sicher war, dass seine Feinde tief in ihren Gräbern ruhten, schwirrten ihre Geister seit Jahren durch seine Träume und peinigten ihn mit ihrem nächtlichen Gestöber, als wären sie Laub von einem unsterblichen Baum. Einzige Ablenkung war das Abspielen seiner Lieblingsplatte, die das erste Geschenk seines Vaters war, eine zerkratzte Aufnahme mit dem Titel Dawn in the Duck-Hide. Die A-Seite bestand aus einer gesprochenen Einführung in die Vogeljagd, auf der B-Seite waren nur die erwachenden Wasservögel bei Sonnenaufgang zu hören.

      Sein ganzes Leben lang war er ein passionierter Entenjäger gewesen, und diese Aufnahme erfreute ihn stets aufs Neue. Das Schnattern, Quaken und die leisen Lockrufe waren ein Labsal für seinen Geist und schenkten ihm das innere Gleichgewicht, das er früher im Alkohol gefunden hatte. So war ihm auch die Lösung, wie er sich endgültig von der Vergangenheit befreien konnte, beim Lauschen dieser Vogelstimmen eingefallen.

      Allerdings hatte er sich damit in falscher Sicherheit gewiegt. Als an jenem Morgen das Telefon klingelte, befiel ihn die kälteste Panik. Die vertraute Stimme am anderen Ende hatte nur wenige Worte gesprochen, dennoch hatte ihn der Anruf zur sofortigen Flucht aus dem Cottage veranlasst. Augenblicklich und ohne den geringsten Zweifel war ihm klar geworden, dass sich seine Feinde versammelten, um endgültig Rache zu nehmen.

      Die Hintertür war von der Kälte verzogen gewesen, und er musste sie mit der Schulter aufstemmen. Trotz der Schmerzen in den arthritischen Händen zog er das Ruderboot über das glitschige Ufer, während er schnaufend unregelmäßige Atemwölkchen in der kalten

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