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für einen sehr langweiligen Redner hielt. Ich widerstand der Versuchung, der Akte eine empörte Notiz beizufügen, etwa „Das stimmt überhaupt nicht. Ich war kein langweiliger Redner!“. Aber Scherz beiseite – in einer Ermittlungsakte der Wahrheits- und Versöhnungskommission über Killerkommandos fand ich einen Verweis auf eine Mitteilung eines gewissen ‚Colonel Hammer‘, der so genannt wurde, weil er angeblich einen Hammer benutzte, um Fliegen zu töten. Als ob er den Gang der Ereignisse vorausgeahnt hätte, sprach er sich dafür aus, andere Methoden in Betracht zu ziehen, um mich zu beseitigen. Ein Briefbombenanschlag sei nicht unbedingt tödlich, und ich könne zurückkehren und sie weiter heimsuchen. Genau dies habe ich dann ja auch getan.

      Mein Leben blieb auch nach dem Umzug von Lesotho nach Simbabwe in Gefahr. Ich werde nie vergessen, wie mir der simbabwische Geheimdienst mitteilte, dass ich auf einer Todesliste des südafrikanischen Regimes stand. In diesem Augenblick stand die Zeit für mich still, und ich kann mich noch lebhaft an die Einsamkeit erinnern, die ich verspürte. Es handelte sich hier nicht um irgendjemanden, von dem ich in der Zeitung gelesen hatte. Die waren hinter mir her! Manchmal wachte ich nachts durch ein Geräusch auf und dachte: ‚Warum bin ich wach geworden? Wird hier gerade ein Anschlag verübt?‘. Ich gewöhnte mir an, aus dem Bett auf den Boden zu rollen. Niemals sitzen oder aufstehen, denn genau dann wurde man zur Zielscheibe. [7]Nachdem herauskam, dass ich auf der Todesliste stand, stellte mich die simbabwische Regierung Tag und Nacht unter bewaffneten Schutz. Die Bewachung und die Tatsache, dass ich auf Beerdigungen von Kameraden sprach, erinnerten mich ständig daran, dass dieser Kampf mich jederzeit das Leben kosten konnte. Ich hatte lange mit dieser Gefahr gelebt, und das zwang mich dazu, mir Fragen zu stellen wie „Wofür lebe ich? Und was ist daran so schlimm, dass die südafrikanische Regierung mich umbringen will? Was sind meine ureigensten Werte? Woran glaube ich?“

      Ich wusste, dass ich bereit war, für die Befreiung zu sterben, aber Angst ist ein sehr menschliches Gefühl. Menschen, die keine Angst haben, sind meines Erachtens nicht ganz menschlich, und so habe ich immer gebetet, dass ich den Mut aufbringen möge, nach meinem Glauben zu handeln und mich nicht durch meine Angst einschüchtern zu lassen. Trotzdem hatte ich nie damit gerechnet, als Folge dieser Einstellung mit einer dauerhaften, schweren Körperbehinderung leben zu müssen. Aber so kam es nun mal. Das Schlimmste war eingetreten, aber mir war praktisch sofort klar, dass ich überleben würde. Deshalb fühlte ich mich trotz der großen Schmerzen siegreich.

      Ich dachte an die Folgen des furchtbaren Massakers von 1982 in Lesotho, als südafrikanische Soldaten nachts in das Land eindrangen und Bürger Lesothos sowie südafrikanische Mitglieder des ANC umbrachten, insgesamt 42 Menschen. Viele Kinder und Erwachsene starben in ihren Betten. Ich war damals im Ausland. Bei meiner Rückkehr merkte ich, dass manche Menschen andere des Verrats verdächtigten. Warum hatten manche überlebt? Warum wurden sie nicht umgebracht? Auf diese Fragen gab es keine Antwort, aber es war, als seien nur die Toten über jeden Verdacht erhaben. Phyllis Naidoo selbst wurde 1979 durch einen Briefbombenanschlag in Lesotho verletzt. Ein Jahr vor dem Anschlag auf mich wurde ihr Sohn Sahdhan in Lusaka von einem südafrikanischen Agenten kaltblütig ermordet. Phyllis wusste also, was Leiden bedeutet. An dem Abend, als sie mit mir im Krankenhaus betete, wurde mir klar, dass mein Anblick mit den blutgetränkten Verbänden schmerzliche Erinnerungen in ihr wecken musste. Trauer über ihren Verlust überkam mich, und ich hatte das Bedürfnis ihr zu sagen „Es tut mir leid, dass ich überlebt habe“, – ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich lebte, während ihr geliebter Sohn sterben musste, und dann weinten wir gemeinsam.

      Wenn man bedenkt, wie häufig Mordanschläge waren, ist es kaum verwunderlich, dass einer auf mich verübt wurde. Überraschend war jedoch der Zeitpunkt, denn Verhandlungen zwischen dem ANC und der Apartheid-Regierung standen unmittelbar bevor. Der südafrikanische Verteidigungsminister Magnus Malan hatte zudem versichert, dass es keine weiteren Attentate in Nachbarländern geben würde. Wir sagten uns immer wieder, dass wir nicht so gutgläubig sein dürften, ließen aber in unserer Wachsamkeit trotzdem [8]etwas nach, ebenso wie die Simbabwer, die meine Personenschützer abberiefen. Knapp drei Monate zuvor war Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen worden. Der ANC und andere politische Organisationen waren nicht mehr verboten. Nur vier Tage nach dem 28. April 1990, an dem ich die Briefbombe öffnete, setzten sich zum ersten Mal Vertreter des Apartheid-Regimes und des African National Congress (ANC) in Kapstadt zusammen, um Gespräche über die Normalisierung ihrer Beziehungen zu führen. Geheime Verhandlungen hatten schon vorher stattgefunden, doch dies waren die ersten offiziellen Gespräche. Damit gab man der Welt zu verstehen, dass beide Seiten ernsthaft eine einvernehmliche Lösung anstrebten. Als Höhepunkt dieser Gespräche wurde am 4. Mai das als Groote-Schuur-Protokoll bekannte Communiqué angenommen, das als Grundlage für die darauffolgenden Verhandlungen diente.

      Natürlich stemmten sich viele Weiße gegen diese Entwicklungen. Manche meinten, dass der Anschlag auf mich womöglich diese Gespräche verzögern oder gar verhindern sollte. Außerdem wurden damals Weiße wie ich von Anhängern der Apartheid als Volksverräter verachtet und gehasst. So schmeichelhaft diese Erklärungen auch sein mögen, denke ich, dass mir dadurch viel zu viel Bedeutung beigemessen wird. Ein völlig banaler Grund wäre genauso plausibel: Vielleicht stand ich auf einer Todesliste, und der Anschlag auf mich war für die Handlanger des Regimes ein bis dato unerledigter Job, den sie in dem Irrglauben zu Ende brachten, damit die Gespräche torpedieren zu können. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, der Anschlag auf mich war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommen sollte. In den folgenden Jahren war in Südafrika nämlich die Hölle los. Das Regime brachte eine beispiellose Zahl wehrloser Menschen um. Gleichzeitig wurden die Verhandlungen mit dem ANC fortgesetzt und führten schließlich zur Schaffung einer echten Demokratie.

      Unter diesen Umständen gingen die Simbabwer kein Risiko ein. Nachdem Dr. Gordon die Operationen abgeschlossen hatte, wurde ich in die Militärabteilung des Krankenhauses verlegt und ein Polizist wurde vor meiner Tür postiert. Da sie befürchteten, dass das Apartheidregime versuchen könnte, mich endgültig zu erledigen, hielten die simbabwischen Behörden – wie sie meinten zu meinem Besten – die meisten Besucher fern. Das war zwar verständlich, für mich war es jedoch eine zusätzliche Belastung, denn die wenigen Besucher, die es durch die Sicherheitssperren schafften, wirkten auf mich wie Medizin. Später erzählte mir eine Freundin, Geraldine Fraser-Moleketi, dass ihr in dem Augenblick klar wurde, dass ich es schaffen würde, als ich mich ihr zuwendete und sie fragte, wie ich aussähe. Als ich den Fehler beging, Phyllis Naidoo dieselbe Frage zu stellen, antwortete sie, dass ich genauso hässlich aussähe wie zuvor. In dem Moment wusste ich, dass sie von meiner Genesung überzeugt war. Einige meiner Besucher arbeiteten für den simbabwischen Geheimdienst. Es ist wohl ein Beispiel für die Ironie des [9]Schicksals, dass ich Jahre später eine Niederschrift meines Gesprächs mit ihnen im Krankenhaus in meiner südafrikanischen Sicherheitsakte fand. Mindestens einer von ihnen war also ein Doppelagent. So viel zu meiner Sicherheit!

      Von dem Briefbombenanschlag auf mich wurde im Radio in ganz Simbabwe, ja sogar weltweit berichtet. Während meines vierwöchigen Aufenthalts im Krankenhaus von Harare erreichten mich zahlreiche Nachrichten von Freunden und Unterstützern. Zusammen mit dem Oberhaupt meines Ordens und anderen Mitgliedern meiner Ordensgemeinschaft trafen meine beiden Schwestern, Helen und Irene, sowie ein enger Freund der Familie, Charles Hamilton, aus Australien und London ein. Eine Zeit lang war ich Pfarrer in einem kleinen Township außerhalb von Harare gewesen. Viele ehemalige Gemeindemitglieder kamen, besonders Jugendliche, aber auch einige ältere Menschen, die dafür einen langen Fußmarsch in der heißen afrikanischen Sonne auf sich nahmen. Leider wurden sie nicht zu mir gelassen.

      Einige Tage nach dem Anschlag fand in der anglikanischen Kathedrale von Harare ein Gottesdienst statt. Menschen aus dem ganzen Land kamen dorthin, um für meine Genesung zu beten. Ich schaffte es, eine Botschaft für die versammelte Gemeinde zu diktieren, die meine Schwester Helen vorlas. Beim Gottesdienst sagte ein Redner Folgendes über mich:

      Er kümmerte sich um südafrikanische Flüchtlinge in der ganzen Welt. Er sorgte für die Menschen des Landes, in dem er arbeitete. Er beerdigte unsere Verstorbenen, besuchte unsere Kranken, traute unsere Kameraden, taufte unsere Babys und besorgte so manchem Südafrikaner ein Stipendium. Er bot allen ein Zuhause. Er tröstete uns in guten wie in schlechten Zeiten. Vor allem aber kam dieser Unbekannte zu uns, schenkte uns seine Liebe und gewann die unsrige. Gemessen

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