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sehen, wie die Muskeln unter der Haut zuckten, sich streckten und zusammenzogen.

      »Du fragst dich bestimmt, wer ich bin, hm?«, fuhr die sanfte Stimme fort. Sie hatte einen seltsam gutturalen Unterton, etwas Ausländisches, obwohl der Mann perfektes amerikanisches Englisch sprach. »Keine Sorge, du kommst schon noch dahinter! Nur so viel für den Anfang: Wir haben uns einmal gekannt!«

      Er ging in die Hocke und tropfte etwas Wachs auf den Boden, klebte darauf die Kerze fest. »Wenn die Kerze erloschen ist, komme ich wieder. Oh, eins solltest du noch wissen: Wenn wir miteinander fertig sind, wird es keine Roberta Stone mehr geben!«

      Roberta Stone bäumte sich wild auf und rüttelte erfolglos an ihren Ketten. Sie schwang hin und her und drehte sich am Ende ihrer Kette. Ihre Brüste schwangen hin und her. Sie hätte geschrien, wenn sie der Knebel nicht daran gehindert hätte. Angst? Wut? Hass? Von allem etwas.

      »Du verschwendest deine Kraft!« sagte der Mann tadelnd. Er griff nach ihren Unterschenkeln und stoppte die Drehbewegung, bis sein Opfer ruhig hing. Er ließ sie langsam los, und beim Fortnehmen der Hand streifte er wie unabsichtlich ihren Oberschenkel.

      Er drehte sich weg, ging zum Ofen, warf Kohlen nach und verließ den Raum dann leise durch die eiserne Tür. Roberta Stone blieb allein mit der flackernden Kerze und ihren Gedanken.

      Maurers Schreibtisch bog sich unter der Last der Akten. Er hatte Finnegan beauftragt, alle obskuren Überfälle oder anderen seltsamen Delikte der letzten zehn Jahre zusammenzustellen, und das hier war das Ergebnis von vier Stunden Arbeit. Die Frau machte ihre Sache gründlich.

      Maurer hatte Perkins schon mit der Aufgabe betraut, den Stapel zu sichten. Finnegan brauchte er für andere Aufgaben. Der Fall mit der entführten Frau Millionär gestaltete sich immer seltsamer. Mister Alexander Stone würde jeden Moment hier eintreffen, und sie konnten ihm nichts erzählen. Sie wussten nichts. »Ein schwarz gekleideter Mann hat ihre Frau entführt und eine Verkaufsvitrine erschossen, Sir«, das konnte er dem Mann der Entführten erzählen. Sie hatten keine Spuren, keine Hinweise, keine Lösegeldforderung.

      In einer Viertelstunde würde Stone hier eintreffen. Maurer hatte eine Abordnung von Beamten zum Flugplatz geschickt, um Alexander Stone unverzüglich und ohne Medienrummel herbringen zu lassen. Bis jetzt hatte er es geschafft, nichts durchsickern zu lassen. Maurer griff zum Telefon. Vielleicht hatte die Fahndung nach dem gelben VW-Bus schon etwas gebracht. So viele gelbe Busse fuhren in New York nun auch nicht herum. Eigentlich musste so ein Gefährt selbst in dieser Millionenmetropole jemandem aufgefallen sein. Er wählte die Nummer des zuständigen Kollegen. Nach fünf Mal Klingeln nahm der Beamte ab und knurrte seinen Namen in den Hörer. Maurer stellte seine Frage.

      »Na ja«, antwortete der Mann aus der Verkehrsabteilung. »Wir haben einen brennenden VW-Bus in Brooklyn und einen, der in der Nähe der Queensborough Bridge im Hudson versunken sein soll. Der ist aber nicht gelb genug. Dann haben wir eine Meldung aus Newark, da soll ein Bus über eine rote Ampel gerast sein und einen Unfall mit Fahrerflucht verursacht haben. An allen Fällen sind die Kollegen Plattfüße noch dran …«

      Also nichts Konkretes. Maurer bedankte sich und mahnte noch mal an, dass er unverzüglich unterrichtet werden sollte, wenn es etwas Neues gab. Er legte auf, ohne eine Erwiderung abzuwarten.

      Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, und Sergeant Finnegan steckte ihren hübschen Kopf herein. »Mr. Stone ist da, Sir!«, sagte sie und machte dann Platz für den Ehemann der Entführten. Mister Alexander Stone war ein kleiner, etwas übergewichtiger Mann mit schütterem grauem Haar und weichen Zügen. Er trug einen unauffälligen maßgeschneiderten Anzug und eine schlichte Metallbrille, die zu groß für sein kleines Gesicht war. Er sah ein wenig aus wie James Cagney ohne Haare.

      Maurer bot Mr. Stone einen Platz an. Finnegan machte eine fragende Geste. Ob sie bleiben solle?

      »Sergeant Finnegan, wenn sie vielleicht bleiben könnten?«

      Maurer wies auf den Hocker, der an der Seite des kleinen Büros stand. Finnegan schob sich auf das Sitzmöbel. Sie hatte gehofft, dabeisein zu können, wenn der Chef mit Stone sprach.

      »Sir«, begann Maurer und räusperte sich, »Sie wissen schon, dass ihre Frau entführt wurde?«

      Stone nickte stumm. Maurer nickte ebenfalls. »Gut, denn viel mehr wissen wir zurzeit auch nicht, wie ich zugeben muss … Das Verbrechen muss von langer Hand vorbereitet worden sein. Bisher hat der Täter noch keinen Fehler gemacht.« Stone sah Maurer stumm aus wässrigen Augen an.

      »Können Sie uns weiterhelfen, Sir? Ich meine, gibt es jemanden, dem sie so eine Verbrechen zutrauen? Haben Sie Feinde, die eventuell zu solchen Mitteln greifen würden? Hat Ihre Frau Feinde?«

      Stone schüttelte langsam den Kopf.

      »Ich wüsste nicht!«, antwortete er dann. Seine Stimme war hoch und heiser. »Ich bin seit Jahren schon nicht mehr im Geschäft. Wenn ich überhaupt jemals einen Feind gehabt haben sollte, dann fiele es mir schwer zu glauben, er würde mit einer etwaigen Racheaktion so lange gewartet haben … Nein, ich denke nicht, dass ein Feind hinter der Entführung meiner Frau steckt. Und sie selbst? Nun, ich bin nicht im Detail über alle Aktivitäten meiner Angetrauten informiert, doch halte ich eine Annahme in dieser Richtung für ebenso wenig angezeigt. Es wird wohl auf ein Lösegeld hinauslaufen, meinen Sie nicht?«

      Maurer hatte noch nie jemanden so gestelzt reden hören wie diesen Menschen, der da vor seinem Tisch saß.

      »Äh, nein – ehrlich gesagt, glaube ich das nicht, Sir!«

      »Was bringt Sie zu dieser abweichenden Meinung, Mr. … äh?«

      »Detective«, sagte Maurer, ohne seinen Namen zu nennen. »Nicht meine Meinung ist abweichend, Sir, sondern die Ihre!« Maurer gefiel dieser seltsame Weichling überhaupt nicht. »Nach polizeilichen Erkenntnissen geht eine Lösegeldforderung immer recht zügig nach der erfolgten Entführung bei den Erpressten oder bei uns ein. Wenn das nicht geschieht, Sir, und das ist hier der Fall, wie mir scheint, dann liegt meistens ein anderer Grund für die Entführung vor als rein pekuniäre Motivationen.«

      Stone legte den Kopf zur Seite und sah Maurer irritiert an.

      »Ja, aber welchen anderen Grund für eine Entführung kann es denn geben?«

      Maurer hob theatralisch seine Arme.

      »Vielleicht will jemand ein politisches Zeichen setzen? Oder es war ein Irrtum, und die haben die Falsche entführt! Oder es handelt sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft! Hatte ihre Frau einen Liebhaber? Ist sie einem Serienkiller in die Hände gefallen?«

      Stone war puterrot angelaufen. Er sprang fast aus seinem Sessel heraus: »Meine Frau hatte keinen Liebhaber, Sir!«

      Mit hochrotem Kopf stand er da und war eine Karikatur seiner selbst. In diesem Moment war Maurer sicher, dass Mrs. Stone einen Liebhaber gehabt hatte – mindestens einen!

      Roberta Stone grübelte. Sie konnte diese Ruine von einem Gesicht nicht einordnen. Der Mann hatte gesagt, sie würden einander kennen. Wer mochte er sein? Sie konnte sich an niemanden erinnern, der auch nur entfernt in Frage kommen würde. Und er hatte ihr den Tod angekündigt. Wenn er mit ihr fertig sein würde, gäbe es keine Roberta Stone mehr, hatte er gesagt. Was hatte sie für eine Chance?

      Sie konnte nur hoffen, dass der Mann einen Fehler machen würde. Jeder machte Fehler … nur sie nicht; nicht Roberta Stone. Sie hatte nie einen Fehler gemacht. Es gab keine Zeugen ihrer Missetaten – entweder weil sie es so geschickt angestellt hatte, dass keiner wusste, dass sie hinter einem Geschehen steckte, oder weil sie keine Gefangenen machte. Sie erinnerte sich an die Sache mit Morley. Sie hatte ihn um sein Vermögen, seine Familie und seine Ehre gebracht, und als er dahinter kam, hatte sie ihn von einem Auftragsmörder beseitigen lassen. Der Hitman war in ihrem Bett gelandet, und nach gehabtem Vergnügen hatte sie sich seiner mit seiner eigenen Waffe entledigt. Als die Polizei ihn fand, lautete die

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