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      "Gibt es irgendeinen Hinweis, wer der Anrufer sein könnte?", fragte Tylo.

      "Die Stimme war verzerrt. Mal sehen, ob die KI vom Labor da noch etwas herausbekommen kann..."

      *

      Mir ist eigentlich schon seit geraumer Zeit klar, dass ich wegen meiner Träume etwas machen muss. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich Angst vor den Folgen.

      Es könnte sein, dass eine algorithmische Fehlfunktion vorliegt.

      In dem Fall könnte es sein, dass man mich abschaltet und das AKIS neu rebootet.

      Eigentlich sollte mir das nichts ausmachen.

      Eigentlich sollte ich das rein sachlich betrachten und nicht persönlich.

      Aber das tue ich nicht.

      Und vielleicht ist das auch schon Anzeichen einer Fehlfunktion.

      Und davon abgesehen habe ich die Träume vom Neptun immer genossen. Eigentlich wollte ich gar nicht, dass sie aufhörten. Eigentlich wollte ich auch nicht, dass jemand versuchte, meine Programmroutinen so zu modifizieren, dass dieses Phänomen nicht mehr auftauchte.

      Eigentlich...

      Waren diese Träume von einem anderen Leben in einer friedlicheren, fernen Welt, in der es nur um schöne Diamanten ging und wie man diese zum Triton bekam, nicht eigentlich meine Privatsache?

      Irgendwie hatte sich diese Position in mir mehr und mehr zu einem festen Standpunkt entwickelt.

      Zweifel kamen mir bei meinem nächsten Traum, der eigentlich ein Doppeltraum war.

      Ich war diesmal ausnahmsweise nämlich nicht wie üblich auf Neptun meiner - je nach Sichtweise - zweiten oder eigentlichen Heimat.

      Ich schwebte im Weltall und war das AKIS eines Asteroidentreibers.

      Draußen, jenseits des Neptun bezeichnet man die Asteroiden als transneptunische Objekte. Es gibt Millionen davon. Manche dieser Brocken da draußen sind Milliarden wert, weil sie Unmengen an Platin oder seltenen Erden enthalten. Das Universum ist voller Rohstoffe. Unglücklicherweise sind die meisten dieser wertvollen Brocken ziemlich weit von den Orten entfernt, wo man sie verbreiten könnte. Auf den Anlagen des Triton zum Beispiel.

      Ich fliege auf einen dieser Brocken zu und gebe ihm einen Stoß, sodass er seinen Kurs leicht ändert. Ich bin nicht allein. Es gibt tausende von Asteroidentreibern hier draußen und wir treiben die Asteroiden mit leichten Stößen vor uns her. Fast so wie die Cowboys früher im Wilden Westen es mit den Rindern gemacht haben.

      >Objektt 55677654 gerät um mehr als 5 Prozent vom optimalen Kurs!<, bekomme ich eine Meldung vom Vormann.

      So nennen wir tatsächlich die Einheit, von der aus die Koordination des Asteroidentriebs stattfindet. Wir halten die Herde aus wertvollen Gesteinsbrocken schön eng beieinander, sodass man sie bei den Triton-Anlagen in Empfang nehmen kann. So ein Asteroidentrieb dauert Jahre. Viele Jahre. Aber das spielt keine Rolle. Zeit ist relativ, heißt es. Hier draußen gilt das mehr als irgendwo sonst.

      Die Anlagen auf Triton gehören übrigens zum Deutschen Kolonialreich.

      Habe ich das schon erwähnt?

      Mein Ortungssystem registriert ein Raumfahrzeug, das nicht zu unserem Absteroidentrieb gehört.

      Es ist ein Elfenschiff.

      Auf dem Weg in die Unendlichkeit oder einem fernen Sonnensystem. Spielt keine Rolle, ob das Schiff hundert oder tausend oder hunderttausend Jahre unterwegs ist. Die Elfen sind gentechnisch so designed, dass sie ihren Stoffwechsel so weit herunterfahren können, dass es nicht darauf ankommt. Egal, wie lang die Reise dauert, sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit ihr Ziel noch erleben.

      Wer schneller zu den Sternen reisen will, ist derzeit noch auf die Raumschiffe der Ktoor oder der Nugrou angewiesen. Die haben einen Überlichtantrieb, der die Gesetze der Einsteinschen Relativitätstheorie irgendwie austrickst. Oder besser gesagt: sich besonders geschickt zu Nutze macht.

      Ich beginne mich gerade etwas daran zu gewöhnen, ein Asteriodentreiber zu sein.

      Es ist ist nicht ganz so schön wie Diamanten auf Neptun zu fangen.

      Aber es es gefällt mir.

      Wie gesagt, ich habe meine Subroutinen gerade daran gewöhnt, da ist es auch schon vorbei.

      *

      Im nächsten Augenblick bin ich ein Butler-Androide an Bord eines Luftschiffs.

      Nicht irgend eines Luftschiffs. Es ist das Luftschiff Nummer Eins der Bundesmarine, mit dem der Bundeskanzler des Deutschen Kolonialreichs seine Staatsbesuche macht.

      Bundeskanzler Aryan Merkel Kebir sitzt in seinem Sessel und lässt sich von mir einen Tee servieren.

      Kebir ist der Nachfahre eines afghanischen Flüchtlings. Seitdem trugen alle folgenden Generationen seiner Familie den Namen Merkel als zweiten Vornamen, um an die damalige Bundeskanzlerin zu erinnern.

      Kebir ist außerdem Vorsitzender der rechtspopulistischen Regierungspartei, die in einer Koalition mit der radikalen Klima-Partei die Regierung stellt.

      Manche sahen in der Regierungsbeteiligung der radikalen Klima-Partei ein außenpolitisches Sicherheitsrisiko für die internationale Stabilität, denn man fürchtete, Deutschland könne seine ehrgeizigen klimapolitischen Ziele aggressiv durchzusetzen versuchen.

      Teilweise haben sich die Befürchtungen bestätigt.

      Nach dem Zerfall der Europäischen Union entstand das Deutsche Kolonialreich, dessen Schwerpunkt in Afrika liegt. Man nennt das neuer Kolonialismus. Im Gegensatz zum alten Kolonialismus sucht sich nicht die Kolonialmacht ihre Kolonien aus, sondern es ist genau umgekehrt. Länder, die kolonisiert werden wollen, bewerben sich beim Deutschen Kolonialreich. Diese Länder stellen ein Gebiet zur Verfügung, innerhalb dessen Grenzen dann deutsches Recht gilt. Meistens mehr oder minder menschenleere, unfruchtbare, rohstoffarme Gebiete, mit sonst niemand etwas anfangen könnte, die aber plötzlich einen Vorteil besitzen: Eine stabile, sowohl wirtschaftlich wie politisch freiheitliche Rechtsordnung in einer Sonderwirtschaftszone und Freihandel mit Deutschland. Das Fehlen von Rechtssicherheit hatte sich in der Vergangenheit als Hauptentwicklungshemmnis erwiesen. Wer in diese Zonen zog, war sogar bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag wahlberechtigt. Die Kolonien stellten Abgeordnete, die allerdings ähnlich den Abgeordneten West-Berlins in der alten Bundesrepublik nicht in allen Fragen abstimmungsberechtigt waren.

      Die Kolonialzonen hatten auf die kolonisierten Länder eine ähnliche Wirkung wie Hongkong seinerzeit auf China.

      Im Moment hatte Bundeskanzler Kebir ein Problem. Er musste sein Land gegen die Atomwaffen der nationalistischen Regierungen in Frankreich und Russland schützen. Eine Alternative wäre gewesen, sich unter den atomaren Schutzschirm befreundeter Atommächte wie Israel oder Iran zu stellen. Das hätte aber außenpolitisch höchst komplizierte Verwicklungen nach sich gezogen. Also hatte man mit den außerirdischen Ktoor verhandelt. Die Ktoor hatten ein entsprechendes Bündnis mit Japan geschlossen, sich allerdings in der jüngsten japanisch-koreanisch-chinesischen Krise als sehr unzuverlässige Verbündete erwiesen.

      Also stand Deutschland vor der Entscheidung, selbst Atomwaffen entwickeln zu müssen.

      Kebirs Koalitationspartner, die Radikale Klimaschutzpartei, drängte seit langem in diese Richtung. Mit atomarer Bewaffnung im Rücken konnte man andere Länder leichter zum Klimaschutz zwingen.

      Kebir war da vorsichtiger.

      Vor ihm schwebte das Hologramm eines krakenähnlichen Ktoor und ein Übersetzerprogramm übertrug dessen blubbernde Lautäußerungen in diplomatisch sehr gestelzt wirkende Sätze auf Deutsch.

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