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      Mehrere Sekunden Stille.

      Ich dachte nach.

      »Ich kann wieder nach Hause kommen und dich unterstützen«, sagte ich. »Was ich hier mache, ist sowieso völlig sinnfrei.«

      »Nein«, sagte Mama mit Nachdruck. »Ich will, dass du in Stockholm bleibst und dein Leben anfängst. Nach dem, was im Winter passiert ist, hast du …«

      Sie zögerte.

      »Ein bisschen neben dir gestanden«, vollendete ich den Satz.

      »Nein, aber es ist einfach verdammt viel auf der Arbeit, du weißt ja, wie das ist«, sagte Sixten.

      »So könnte man es nennen«, sagte Mama. »Und dann dazu noch das mit Papa. Du musst weg von zu Hause, das spüre ich. Sonst bleibst du in der Trauer hängen.«

      Ganz wie du, dachte ich, sprach es aber nicht aus.

      »Wie geht es Lina?«, fragte ich. »Ist sie im Stall?«

      »Ja«, sagte Mama. »Und gerade für sie ist es wichtig, dass du und ich weitermachen. Sonst droht die nächste Depression.«

      Lina, meine geliebte, pferdeverrückte Schwester. Ich sah sie vor mir, wie ich sie immer im Gedächtnis hatte: eine charmante, freche Zwölfjährige mit Lachgrübchen und blondem Pony, der unter der Reitkappe hervorlugte, ein kleiner Mensch, der fast alles tun würde, um andere froh zu machen, egal ob Mensch oder Tier. Lina riss es zwischen extremen Gefühlen hin und her: Freude und Verzweiflung, Hoffnung und Resignation, aber brachte man sie zum Lachen, kam sie sofort wieder in die Balance. Zwischen uns lagen sechs Jahre, mittlerweile war Lina jedoch keine kleine Mittelstufenschülerin mehr – sie war achtzehn Jahre alt und im letzten Jahr am Gymnasium. Im Herbst hatte sie mit den Vorbereitungen für die Schwedischen Meisterschaften im Vielseitigkeitsreiten begonnen, aber nach Papas Tod und allem Drumherum hatte sie aufgehört zu trainieren und war in eine Depression verfallen. Es war uns gerade erst geglückt, sie wieder in den Sattel zu setzen, insofern verstand ich sehr gut, was Mama meinte.

      »Aber ich dachte halt, scheiß drauf. Es wird wirklich Zeit, Tompa wiederzusehen und ein Bierchen zusammen zu trinken«, brüllte Sixten nebenan.

      Er klang sehr überzeugend.

      »Wer schreit denn da so?«, fragte Mama. »Hast du Besuch?«

      »Nein, das ist mein Nachbar im Zimmer nebenan«, erklärte ich. »Ist ziemlich hellhörig hier.«

      »Klingt nicht gut«, sagte Mama. »Ich mache mir trotz allem ein bisschen Sorgen. Ich habe mit Björn gesprochen, und er war auch betrübt über deine Situation.«

      Björn war einer von Papas Kollegen, der über die Jahre zu einem Freund der Familie geworden war. Eigentlich war er ein ziemlicher Playboy, aber nach Papas Tod hatte er sich sehr für uns eingesetzt. Trotzdem fand ich es nicht gerade toll, dass ich Thema zwischen ihr und Björn war.

      »Warum sprichst du mit Björn über mich?«, fragte ich. »Er hat doch nichts mit mir zu tun.«

      »Björn will nur das Beste für dich und Lina«, sagte Mama. »Er war eine wunderbare Hilfe, das musst du zugeben.«

      Nachdem Papa in unserem Sommerhaus verbrannt und die Familie zusammengebrochen war, hatte Björn das Ruder übernommen und sich um alles Schwierige gekümmert: die Identifizierung; den Kontakt mit der Polizei; die Traueranzeige in der Zeitung; die Beerdigung.

      »Genau wie Fabian«, fuhr Mama fort. »Ich bin so dankbar dafür, dass die alten Freunde deines Vaters uns unterstützen und noch immer an dich und Lina denken. Meiner Meinung nach sollten wir so viel Hilfe und Unterstützung annehmen, wie wir können!«

      Fabian war Papas bester Freund aus Studienzeiten und ihm viel ähnlicher, sowohl was das Aussehen als auch die Persönlichkeit anging. Das machte es leichter, ihm nahezukommen, auch wenn er etwas direkter sein konnte als Björn.

      »Björn möchte dich zum Mittagessen einladen«, fuhr Mama fort. »Und über deine Zukunft sprechen.«

      »Nein«, sagte ich bestimmt. »Ich habe gerade keine Lust, einen von ihnen zu treffen.«

      »Aber Sara …«, tadelte Mama.

      »Warum denn nicht jetzt sofort?«, brüllte Sixten. »Verdammte Olle …!«

      Er lachte heiser, aber laut durch die Wand. Es klang, als stünde er direkt neben mir.

      »Mach dir um mich keine Sorgen«, sagte ich. »Ich komme schon klar, bin schließlich Ex-Militär, schon vergessen? Ich schaff das.«

      »Du klingst genau wie dein Vater«, sagte Mama, ich konnte richtig hören, dass sie lächelte.

      Eine Sekunde später brach sie in Tränen aus.

      »Mama«, sagte ich hilflos.

      »Und wie ist es mit Mittwoch?«, dröhnte Sixten. »Oder Donnerstag? Sag ihr, dass es scheißwichtig ist.«

      »Alles in Ordnung«, nuschelte Mama. »Das geht vorbei.«

      Darauf konnte ich nichts erwidern, wünschte mir einfach nur, sie in den Arm nehmen zu können.

      Und dass dieser verdammte Tompa sich auf ein Treffen mit Sixten am Donnerstag einließ, damit ihr nervtötendes Telefonat endlich ein Ende fand.

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      Spät am Abend, als bei Sixten endlich Ruhe eingekehrt und ich fast eingeschlafen war, piepste mein Handy. Eine SMS von Mama.

       »Habe mit Björn und Fabian gesprochen. Fabian wollte wissen, wie es dir geht und was du machst. Ich hab ihm vom Café erzählt, und jetzt glaube ich, dass er vorbeischauen wird. Das ist doch wirklich nett von ihm!«

      Ich fluchte leise. Ich wollte keinen Besuch im Café, wollte nicht das geringste bisschen Aufmerksamkeit, bis ich aus der sonderbaren Blase aufgetaucht war, die mich umgab, seit an einem sonnigen Vormittag Ende Mai die Polizei vor der Tür stand. Und bereits lange davor. Aber das konnte ich Mama nicht erzählen. Wenigstens war Fabian ein bisschen besser als Björn.

      »Super«, schrieb ich zurück.

       »Und Björn möchte sich sehr gern mit dir in der Stadt treffen. Bitte, Sara! Tu’s für mich!«

      Ich murrte leise.

      In dem Moment kam fast das gleiche Murren von der anderen Seite der Wand. Ich blieb wie versteinert im Bett liegen, bis ich verstand, was es war: Sixten schnarchte.

      Ich legte das Handy auf den Boden, zog das Kissen über den Kopf und versuchte zu schlafen.

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      Es war schwer, Mama etwas abzuschlagen, besonders jetzt; also fuhr ich Samstagvormittag in die Stadt, um Björn zu treffen. Es war die erste Gelegenheit, mich in die Stadt zu begeben, und Mama hatte völlig recht: Was hatte ich diesen Tag herbeigesehnt. Deshalb plante ich großzügig Zeit ein. Björn und ich waren um ein Uhr verabredet, aber schon um halb zwölf verließ ich die U-Bahn-Station Stureplan und schlenderte über den Platz. Der Pilz sah aus wie bei all meinen früheren Stockholmbesuchen, aber das Gefühl war ein anderes: Das war jetzt meine Stadt, ich wohnte hier. Nicht direkt am Stureplan, sondern in Vällingby, achtzehn U-Bahn-Stationen entfernt, aber immerhin.

      Ich stellte mich unter den Pilz und beobachtete die Leute um mich herum. Überall coole, gut gekleidete, schöne Menschen, und ich musste an den Comedian Jim Jefferies denken, der mal gefragt haben soll: »Töten die Schweden eigentlich ihre hässlichen Babys?«

      Rechts von mir lag der Sturehof mit seiner voll besetzen Terrasse. Ich machte mich auf den Weg dorthin und warf einen Blick auf die Speisekarte. Gedünsteter Saibling für 320 Schwedische Kronen. Gegrillter Mälarzander für 360 Kronen. Steinbutt für 485 Kronen. Das konnte ich mir unter keinen Umständen leisten. Ich stöhnte leise, versuchte, unbeeindruckt zu wirken,

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