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weit­hin als der mächtigste Agent im Showbusiness galt. Als Akt der Selbstver­teidigung heuerte ich ebenfalls einen Agenten an, der auf dem Gebiet der Literatur das Gegenstück zu Klein darstellte. Er schickte Schneider einen Brief, den die Stones unterschreiben sollten. Aber Keith wiederum sagte, dass ich Klein überhaupt nicht brauchen würde. Warum erzählte Jo dann aber Klein oder seinem Neffen Schneider von meinem Buch?

      Jo saß in einer Schaukel und pendelte langsam hin und zurück. Es war, wie ich herausfinden sollte, typisch für die Art der Stones, Geschäfte ab­zuwickeln: dass ich, wie auch Jo selbst, nicht genau wusste, was sie eigent­lich für sie machte und dass die Stones das auch nicht wussten. Sie hatte in London einen Astrologen konsultiert, der ihr gesagt hatte, dass ich die­ses Buch schreiben, es mich aber alles außer meinem Leben kosten würde. Sie wusste die Details nicht – ich wurde, während ich dieses Buch schrieb, von den Hell’s Angels angegriffen, ich kam ins Gefängnis, wurde auf der Memphis-Arkansas-Brücke von einem Holztransporter angefahren, brach mir bei einem Sturz von einem Wasserfall in Georgia den Rücken und hatte epileptische Anfälle beim Entzug von Drogen. Aber selbst wenn sie das alles gewusst hätte, sie hätte es mir nicht erzählt. Sie erzählte mir auch nichts von dem Astrologen – bis sehr viel später, als es keine Möglichkeit zum Umkehren mehr gab. Ich erkletterte jetzt, eifrig wie ich war, nur mit meinen Händen die Kette einer Schaukel – erkletterte sie ohne Probleme, da ich monatelang nichts anderes getan hatte als Briefe in „Basic English“ an die Stones zu schreiben und Gewichte zu heben. Als ich oben war und mich wieder auf den Weg nach unten machte, flatterte mein Schal hoch und geriet zwischen meine Hand und die Kette. Die Seide war wie Öl, meine Hand bekam keinen Halt und ich krachte zu Boden, verbrannte die Hand, zerfleischte meinen kleinen Finger, schlug ihn mir bläulichweiß und große, dunkelrote Tropfen quollen dort, wo das Fleisch vom Nagel gerissen war, hervor und fielen in den Staub. „Ich dachte mir, dass dir das passieren würde“, sagte Jo, und ich dachte nur: „Wo bin ich hier eigent­lich? Was geschieht mit mir?“ Ich war in Kalifornien und wurde für das Tragen eines Schals bestraft.

      Mit einer Art psychischem Hinken ging ich vom Spielplatz weg. Al Steckler, ein Promotionmann von Kleins Büro in New York, kam am Hin­tereingang an und trug einen Diplomatenkoffer bei sich. Wir hatten ein­ander in London kennengelernt. Ich begrüßte ihn und ging hinein, um auf der Couch zu sitzen und an meinem kleinen Finger zu lutschen. Als nächstes nahm ich wahr, dass Jagger neben mir saß und fragte: „Was ist nun mit diesem Buch?“

      „Was soll damit sein?“ Ich schaute mich im Raum um. Steckler und ein paar andere Leute waren da; Jo saß mit einer Polaroidkamera auf dem Boden und machte ein Bild von Mick und mir.

      „Diese Bücher sind nie was wert“, sagte Mick.

      „Das stimmt“, antwortete ich und nahm an, dass er Bücher wie „My Story“ von Zsa Zsa Gabor, erzählt von Gerold Frank, meinte. „Aber ich werde kein solches Buch schreiben.“

      „Wovon würde dein Buch handeln?“

      „Wovon?“

      „Du weißt schon, was würde drinstehen?“

      „Wovon wird dein nächster Song handeln?“

      „Von einem Mädchen in einer Bar, Mann, ich weiß nicht. Es ist viel leichter, einen Song zu schreiben als ein Buch.“

      „Ich bin hip“, sagte ich. „Ich bin verdammt kompetent, Bucky.“ Er lachte so freundlich, dass ich sagte: „Na ja, vielleicht kann ich dir eine Idee davon vermitteln.“ Ich starrte in die Düsternis, runzelte die Stirn, und Mick sagte: „Du musst es mir nicht jetzt erzählen, denk ein wenig darüber nach, wenn du willst –“

      „Nein, wenn ich zu lange darüber nachdenke, wird es mir langweilig.“ Mick lachte wieder. Die anderen waren still und beobachteten uns. Jo wartete darauf, dass sich das Polaroidfoto entwickelte.

      „Vielleicht kann ich einen Vergleich ziehen“, meinte ich und erzählte Mick von meiner Story über einen Blues-Sänger, der mehr als vierzig Jahre lang in Memphis die Straßen gefegt hatte. „Aber er ist mehr als nur ein Straßen­kehrer, weil er niemals zu spielen aufgehört hat, wenn du verstehst, was ich meine.“ Ich schaute Mick nicht an, um herauszufinden, ob er verstand. „Man schreibt“, erzählte ich ihm, „über Dinge, die das Herz bewegen, und in der Story über den alten Blues-Sänger habe ich darüber geschrieben, wo er lebt, und über die Songs, die er singt, und ich habe die Dinge aufge­listet, die er in den Straßen zusammengefegt hat, und ich kann ihm, Furry Lewis, nicht erklären, was an ihm ist, das mein Herz berührt, und genauso wenig kann ich dir sagen, was ich über die Rolling Stones schreiben würde. Und daher nehme ich an, dass ich deine Frage nicht beantworten kann.“ –„Nein“, sagte er, „du hast sie beantwortet“, und zum ersten Mal, seit es mir vor langen Monaten in den Sinn gekommen war, dieses Buch zu schreiben, hatte ich diesbezüglich ein gutes Gefühl. Das hätte mir eine Warnung sein sollen.

      Jo zeigte uns das Foto. Es war zu dunkel; Mick und ich waren nur zwei finstere Köpfe, wie Mount Rushmore als Ruine. Steckler öffnete seinen Aktenkoffer, um Mick das Cover des Konzertprogramms der Stones zur Zustimmung vorzulegen. Es zeigte ein Mädchen, das eine Empirefrisur auf dem Kopf, einen überraschten Ausdruck im Gesicht und ein im Wind flatterndes Cape trug, das die üppigen Formen enthüllte. Mick war ein­verstanden. Keith und Gram kamen vom Tennisplatz zurück und setzten sich ans Klavier. (Keiner der Stones konnte Tennis spielen und sie ver­schossen die Bälle, eine Dose nach der anderen, Tag für Tag; wer Doheney auf dem Oriole Drive kommend hinauffuhr, dem flogen Tennisbälle in Richtung Sonnenuntergang um die Ohren.) Mick sang mit ihnen mit. Der Nachmittag zog sich. Es war einer dieser Scott-Fitzgerald-Sonntagnachmittage in Hollywood, die sich einfach endlos hinziehen.

      Just a kid actin’ smart

      I went and broke my darlin’s heart

      I guess I was too young to know

      Die Kraft der romantischen Dichtung, deren Details von Coleridge und Wordsworth aus den Schriften von William Bartram über das Land und die Legenden rund um den Okefenokee-Sumpf geklaut waren, führ­te die beiden englischen Rhythm-&-Blues-Jungs Mick und Keith mit einem Country-Verrückten aus Georgia am Klavier zusammen, und gemeinsam sangen sie Songs von Hank Williams. Keiths Hund Okefenokee lernte ich erst später kennen; Mick schien sich nicht sicher zu sein, ob er an diesen Songs Gefallen fand.

      Steckler redete ins Telefon: „In einer Woche ist schlecht. Wir brau­chen bis morgen zusätzliche Leitungen. Würde es helfen, wenn ich den Gouverneur anrufe? Das meine ich ziemlich ernst, meine Liebe.“

      I’ll never see that gal of mine

      Lord, I’m in Georgia doin’ time

      I heard that long, lonesome whistle blow

      Im Büro gleich neben dem Wohnzimmer – dass diese Villa wie ein Motel wirkte, habe ich bereits erwähnt – hielt sich ein weiterer Promotionmann auf, David Sandison aus England. Er jagte eine Pressemeldung hinaus, die ich über seine Schulter hinweg las. Sie sagte nichts über Brian Jones, sondern hielt nur fest, dass diese Tour „Mick Taylors Amerika-Debüt mit den Stones darstellt“. Sie verfluchte, ohne seinen Namen zu nennen, Ralph Gleasons Attacke auf die Stones und versicherte der Presse, dass „alle die Band unter den besten Bedingungen sehen und hören“ würden. Die Aussendung teilte auch noch mit, dass „dreizehn Städte auf dem Plan“ standen, worauf eine Liste von vierzehn Städten folgte, in denen die Stones spielen würden. Es freute mich zu sehen, dass ich nicht der einzige war, der nicht so recht wusste, was vorging.

      In einem Alkoven des Büros gab es eine Bar mit Kühlschrank. „Willst du ein Bier?“ fragte Sandison und nahm sich selbst eins. „Nein, danke“, sagte ich. Das Büro war nicht schlecht, wie Büros halt so sind, mit Bücher­regalen rundherum an den Wänden und einem großen, von Papieren über­säten Tisch.

      „Zuerst war geplant, dass sie jeweils drei Tage lang in drei verschie­denen Städten spielen sollten“, sagte Sandison, wobei er die grüne Heineken-Flasche öffnete und sich ein Glas eingoss. „Dann waren es sie­ben Städte.“ Er nahm einen großen Schluck, und ich sah, dort auf dem Tisch, zum Teil von anderen Papieren zugedeckt, jenen Brief meines Agen­ten an „Mr. Ronny Schneider“,

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