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Dann würde ich auf die Transplantation der Negro-Melodie auf die Antillen und nach den beiden Amerikas eingehen, wo ihre eigenartigsten schwarzen Blüten von den Alchemisten der musika­lischen Wissenschaft gesammelt werden und Zauberer daraus ein Parfum extrahieren … (Wie ist das für den Anfang?)

      Lafcadio Hearn in einem Brief an Henry E. Krehbiel

      sie sass auf einer cremefarbenen Couch und hatte den Kopf mit den hell­blonden Haaren über ein Buch mit rotem Umschlag gebeugt. Ihre Beine waren übereinandergeschlagen und ein Absatz ruhte auf der Marmor­platte des Kaffeetisches. Im Panoramafenster hinter ihr war eine üppige grüne Hecke zu sehen und in der Entfernung, weit unten gelegen, die Stadt der Engel mit ihren knochenweißen Gebäuden bis hin zum Pazifi­schen Ozean. An einigermaßen klaren Tagen wie diesem konnte man ihn durch den giftigen Nebel, zu dem Land und Himmel am Horizont ver­schmolzen, hindurchschimmern sehen. Auf den farblich aufeinander ab­gestimmten Polstermöbeln in der Lobby dieses motelartigen Gebäudes hatten noch andere Leute Platz genommen – aber sie schaute nicht auf, nicht einmal, als ich „Entschuldigung“ sagte und über ihr ausgestrecktes Bein stieg, um mich neben ihren Gatten Charlie Watts, einen der Rolling Stones, zu setzen.

      „Erinnerst du dich an ihn, Shirley?“ fragte er.

      Ein kurzer Blick. „Nein.“

      „Ein Schriftsteller. Du weißt doch.“

      „Ich hoffe, er ist nicht so wie der, der uns zu Hause aufgesucht hat“, sagte sie. Dann schaute sie mich noch einmal an und irgend etwas ging in ihren grünen Augen vor. „Ach, Sie sind das.“ Sie klappte das Buch zu. „Sie haben über mich in der Küche geschrieben.“

      „Ein anderer“, sagte ich. „Sie lesen Priestley? ‚Prince Of Pleasure.‘ Ken­nen Sie die Bücher von Nancy Mitford?“

      „Sie haben behauptet, ich hätte das Geschirr abgewaschen. Ich wurde noch nie so beleidigt.“

      „Aber Shirley, Sie haben doch das Geschirr abgewaschen. Was hätte ich sonst sagen können?“

      „Sie hätten etwas erfinden sollen.“

      „Wo stand das?“ fragte Bill Wyman, ein weiterer Rolling Stone, der mit seiner Freundin Astrid Lindstrom, der schwedischen Eisprinzessin, weiter weg am anderen Ende der Couch saß. „Toller Bass-Sound, gell?“ Auf einem tragbaren Plattenspieler in einer Ecke des Raumes liefen Plat­ten der Kansas City Six aus den 30er Jahren.

      „Yeah, Walter Page, echt gut“, sagte Charlie. „In einem amerikanischen Magazin. Es lag im Büro rum.“

      „War das über uns alle? Wir haben es nie zu sehen bekommen“, sagte Astrid. Wyman sammelte Zeitungsausschnitte, die er in Kladden klebte.

      „Das würde ich mir an deiner Stelle auch nicht wünschen“, entgegne­te Shirley.

      „So einen Sound kriegt man mit einem elektrischen Bass nie hin“, sagte Wyman, ein Bassist, dessen Hände zu klein waren, um den akustischen Bass zu spielen.

      „Der elektrische Bass ist dafür flexibler“, sagte ich als Versuch, die Kon­versation in eine andere Richtung zu lenken. „Man kann mehr damit ma­chen.“

      „Das aber nicht“, sagte Wyman, „Oder, Charlie?“

      „Niemals“, sagte Charlie, während der Bass von Page und die Schlagzeugbesen von Jo Jones sich mit der Gitarre von Freddie Green mischten. Ihr Rhythmus war stabil wie ein gesunder Herzschlag.

      „Sony“, sagte ich.

      „Seit du hier angekommen bist, haben wir dich in die Defensive ge­bracht“, sagte Charlie. „Hast du vielleicht die Zeitung mit der Kritik von Ralph Gleason mitgebracht? Wir haben sie noch nicht bekommen.“

      „Ich hab’ sie unterwegs gelesen.“

      „War’s schlecht?“

      „Es hätte schlimmer sein können, aber nicht viel.“ Einmal fragte ich Charlie, wie er sich angesichts der unzähligen Presseattacken gegen die Stones fühle, und er meinte: „Es kommt mir nie so vor, als wäre von mir die Rede.“ Und Shirley fügte hinzu: „Charlie und Bill sind nicht wirklich die Stones, nicht wahr? Mick, Keith und Brian – das sind die großen, bösen Rolling Stones.“

      Charlie lächelte mit heruntergezogenen Mundwinkeln. „Gleasons Jazz-Artikel haben mir immer gefallen. Ich kenne ihn sogar persönlich. Ich habe ihn getroffen, als wir das letzte Mal in San Francisco spielten. Ich würde ihn gerne fragen, was ihn so gegen uns eingenommen hat.“

      Ein Mann mit sich lichtendem, schwarzem Kraushaar und buschigen, säbelförmigen Koteletten betrat den Raum durch den offenen Zugang am anderen Ende. Er hatte weiße Shorts an und trug zwei Tennisschläger und ein Handtuch mit sich. „Hat irgendwer Lust auf Tennis?“ fragte er mit einer Stimme, die wehtun würde, wenn man sich mit ihr rasieren müsste.

      Ich hatte ihn noch nie gesehen, aber ich kannte seine Stimme, die ich bereits am Telefon hatte ertragen müssen. Es war Ronnie Schneider, der Neffe von Allen Klein, dem Business-Manager der Rolling Stones. Bevor es mir selbst bewusst wurde, stand ich schon zwischen ihm und der Tür. „Haben Sie den Brief meines Agenten bekommen?“ fragte ich, nachdem ich mich vorgestellt hatte.

      „Yeah, ich hab’ ihn bekommen“, sagte er. „Es gibt da ein paar Sachen, die wir ändern müssen. Sag deinem Agenten, dass er mich anrufen soll.“

      „Er sagt, er habe schon versucht, Sie zu erreichen. Es ist dringend.“

      „Ich weiß“, sagte Ronnie mit der Stimme eines teuflischen Unholds, der jungmädchenhaftes Entzücken nachäfft. Er schenkte mir ein breites Lächeln, so als hätte er mich gerade am Angelhaken. „Will denn keiner hier Tennis spielen?“

      „Ich spiele“, sagte Wyman.

      „Der hier ist verzogen.“ Ronnie gab ihm einen Schläger von der Form eines Schuhlöffels und sie gingen über die Veranda und das saftige Saint-Augustine-Gras hinaus zum Tennisplatz. Ich beobachtete durch die Glastüre, wie sie gingen; dann fiel mir auf, dass ich meinen Hut in der Hand hielt und ich beschloss, mich wieder hinzusetzen und zu versuchen, mich zu entspannen.

      Serafina, die achtzehn Monate alte Tochter der Watts, kam mit ihrer Kinderschwester herein und Shirley nahm sie mit in die Küche, um etwas zu essen. Astrid ging auch mit, vielleicht um den Orangensaft kaltzustel­len. Die Kansas City Six spielten „Pagin’ The Devil“.

      „Was genau hat Gleason behauptet?“ fragte mich Charlie.

      „Er hat geschrieben, dass die Tickets zu teuer und die Sitzplätze schlecht sind, dass die Vorgruppen nicht genug bezahlt bekommen – und dass das alles beweist, dass die Rolling Stones ihr Publikum verschaukeln. Kann sein, dass ich etwas ausgelassen habe. Richtig. Er hat auch gemeint: ‚Sie ziehen eine gute Show ab.‘“

      Die Hintertür ging auf und eine Gang kam hereinspaziert. Groß und hager und langhaarig standen sie einen Moment lang mitten im Raum, als würden sie für eine verblasste, sepiafarbene Fotografie posieren, für jene Art von Fotos, die ihre Bestimmung letztlich auf an Bäume genagelten Pla­katen fanden. „Die Stones Gang: Wanted Dead Or Alive“, obwohl im Mo­ment nur Mick Jagger, der wie ein Model dastand und seinen schmalen Hintern seitwärts gereckt hatte, eine Gerichtsverhandlung erwartete. Neben ihm Keith Richards, sogar noch dünner und gar nicht wie ein Model, son­dern wie eine irre Werbung für einen gefährlichen, sorglosen Tod ausse­hend – schwarze zottige Haare, aschfahle Haut, mit einem Pumazahn an seinem rechten Ohrläppchen und einer Marihuanazigarette zwischen sei­nen verrottenden, gefletschten Hauern. Und mit blauem Zahnfleisch, der einzige Weiße auf der Welt mit blauem Zahnfleisch, giftig wie eine Klap­perschlange.

      Von den Fotos her erkannte ich den Ersatzmann für Brian Jones, Mick Taylor. Er wirkte rosig, blond und hübsch wie ein Püppchen neben Jag­ger und Richards, die, seit ich sie vor einem Jahr zum letzten Mal gesehen hatte, um mehr als nur ein Jahr gealtert waren. Einen der anderen, dessen schwarzes Haar mit blassgoldener Farbe wie von Reif bedeckt war und der klassische Country-&-Western-Bekleidung von Nudie, dem Rodeo-Schnei­der, trug, hatte ich, so erinnerte ich

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